Köln – Mehrere Chorkonzerte standen am Beginn des neuen Jahres in der Kölner Philharmonie. Ein gutes Zeichen in diesen Tagen: Gerade die reichhaltige hiesige Chorszene will sich von der Pandemie, die sie besonders beutelt, nicht unterkriegen lassen.
Im Fall der Kölner Kurrende, die, begleitet vom Gürzenich-Orchester, unter ihrem Leiter Michael Reif am Sonntagmorgen den Zuhörern aufwartete, hat dieser kollektive Selbstbehauptungswillen noch einen besonderen Aspekt: Es galt, das bislang durch Corona verhinderte zweite Konzert zum 50-jährigen Bestehen nachzuholen.
Das beinhaltete sogar eine Uraufführung: Stefan Heuckes (der 1959 geborene Komponist war anwesend) „Friede den Menschen“, eine Kantate für Soloalt, Chor und Orchester nach einem Gebet aus dem KZ Ravensbrück. Darin wird, in Kontrafaktur des Gloria der katholischen Messe, den Menschen Friede gewünscht, „die bösen Willens sind“; sprich: den unbarmherzigen Quälgeistern in der NS-Verfolgungsmaschinerie.
Die Komposition, von der Altistin Ingeborg Danz und den genannten Beteiligten hochengagiert und eindringlich ins Werk gesetzt, bewegt sich tonsprachlich im Spannungsfeld zwischen dem Frieden und dem unfassbaren Tun jener, die nach spontanem Empfinden eben keinen Frieden verdient haben. Heuckes Friede ist der einer kaum getrübten Tonalität, eines Idioms, das den Zuhörer in die Sphäre der Requiem-Kompositionen von Verdi und Brahms versetzt. Allemal begegnen einem hier gute alte Bekannte: die traditionelle Vorhaltsbehandlung, die sequenzierende und umstellende Verarbeitung eines zentralen (hier: diatonischen Viernoten-)Motivs, Fugen-Anläufe, Choralanmutungen. Auch das Trompetensignal aus „Fidelio“ darf als Zitat nicht fehlen.
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All diesem Wohllaut aber steht in sinnfälligstem Gegensatz harsche, atonal-dissonante Aggression gegenüber, an der sich auch das Orchester als „Unfriedensstifter“ beteiligt. Insgesamt repräsentiert das Werk nicht die Speerspitze der Musik-Avantgarde (das tut auch Pendereckis zu Beginn intoniertes „Lacrimosa“ nicht), aber seine griffige Semantik dürfte es – abgesehen davon, dass es dem Chor einen dankbaren Part zuweist – anschlussfähig machen für das Empfinden eines breiten Publikums. In diesem Sinn packt und ergreift es unmittelbar.
Beethovens Oratorium „Christus am Ölberg“ nach der Pause konnte diesen Eindruck nicht neutralisieren. Diesem Stück werden, es hilft nichts, wie gehabt sein miserabler Text und die – hier auch von den Solisten Angela Postweiler, Wolfgang Klose und Raimund Nolte kräftig bediente – Opernsignatur in der Umsetzung des Bibelgeschehens zum Verhängnis.
Dem Konzerttitel „Mit Bach ins Neue Jahr“ entsprechend hatten am Abend zuvor das Vokalensemble Kölner Dom und das Kölner Kammerorchester unter Domkapellmeister Eberhard Metternich mit zwei großartigen und in der Chorsatzanlage originellen Neujahrskantaten geglänzt: mit „Jesu, nun sei gepreiset“ und „Gott, wie dein Name, so ist auch dein Ruhm“. Überzeugte der Chor – in Sachen Deutlichkeit der Polyphonie, Fülle und Präsenz der Stimmgruppen, Artikulation und Phrasierung – genauso wie das Orchester nicht zuletzt durch die Solo-Auftritte seiner Mitglieder, so ergab sich bei den Gesangssolisten eine Zweiteilung: Elvira Bill (Mezzo) und Julian Popken (Bass) agierten souverän, aber der Tenor Ilya Dovnar blieb durchsetzungsschwach; und die Sopranistin Maria Portela Larisch ist sicher entwicklungsfähig, aber auch -bedürftig. Auf dem Status einer Unbedarftheit sollte sie sich jedenfalls nicht festsetzen.
Mangel an Spannung und Vitalität
Ergänzt wurden die Kantaten durch die Orchestersuiten BWV 1066 und 1068. Leider zeitigte deren Aufführung bei mäßigen Tempi, eher weichen Konturen und pauschalen Dynamik-Kontrasten einen fühlbaren Mangel an Vitalität und Spannung. Und warum wohl die Cembalistin ausgerechnet das entrückte „Air“ mit Arpeggien durchklimpern zu müssen meinte?