Köln – Gerhard Richter nennt das Kölner Museum Ludwig gerne sein „Heimatmuseum“, zwar mehr im Scherz, aber es versteht sich eigentlich von selbst, dass im Ludwig nun beinahe alles zu sehen ist, was die Sammlung an Werken des Kölner Ehrenbürgers hergibt. Am 9. Februar feiert Richter, einer der berühmtesten Maler der Welt, seinen 90. Geburtstag, und das städtische Museum gratuliert mit einer kleinen Ausstellung weltbekannter (die nackte Ema, eine Treppe hinabsteigend) und beinahe unbekannter Werke. Es sind unter anderem ein abstrakter „Krieg“ zu sehen, dazu „Fünf Türen“ aus dem Frühwerk, zwei graue Glasscheiben und neun Offsetdrucke nach Fotografien. Alles sehr schön und mehr als andere Museen haben. Aber eben auch nicht das, was den Befürwortern eines Kölner Gerhard-Richter-Museums an Glanz und Gloria vorschwebte.
Im November letzten Jahres wurde es offiziell: Es wird in Köln kein Gerhard-Richter-Museum geben, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Stattdessen sollen die rund 100 Werke, die Gerhard Richter selbst besitzt und in eine Stiftung eingebracht hat, fortan in Berlin zu sehen sein, und zwar in mehreren, dafür eigens reservierten Räumen im zukünftigen Museum der Moderne. Vereinbart wurde zudem ein „intensiver Austausch“ mit dem Gerhard-Richter-Archiv in Richters Geburtsort Dresden. Die Stadt Köln, in der Richter seit mehreren Jahrzehnten lebt und arbeitet, geht dabei leer aus.
Fritz Schramma wollte retten, was nicht mehr zu retten war
Im Sommer 2019 hatte der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma einen letzten, etwas verzweifelt anmutenden Versuch unternommen, die Werke aus Richters Stiftung in der Stadt zu halten. Er regte ein Gerhard Richter gewidmetes Museum an und wollte dieses am liebsten neben den Dom stellen, an genau jenen Platz in der „Historischen Mitte“, der für den Neubau des Stadtmuseums reserviert war. „Ich habe die Sorge, dass die Stadt durch Nichthandeln eine einmalige Chance vergibt", sagte Schramma damals dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, und dass Richter der Sache grundsätzlich wohlwollend gegenüber stehe. Allerdings stellte sich dann bald heraus, dass der Maler wohl einfach nur zu höflich war, das freundliche Ansinnen rundheraus abzulehnen.
Auf Anfrage dieser Zeitung bestätigte Dietmar Elger, Autor einer maßgeblichen Richter-Biografie und Leiter des Dresdner Richter-Archivs, dass sich der Maler nie ernsthaft mit der Vorstellung eines ihm gewidmeten Museums beschäftigt hat. „Im Laufe der Jahre haben viele Städte bei Richter angefragt“, so Elger, „aber er hat die Idee eines eigenen Museums nie favorisiert. Er will nicht für sich allein sein, sondern dort, wo die anderen Künstler sind.“ Gewohnt direkt äußerte sich Kasper König, langjähriger Direktor des Kölner Museum Ludwig: „Ein Richter-Museum wäre Käse, egal wo es steht“, so König. „Dafür ist Gerhard Richter auch viel zu intelligent, so ein Solomuseum funktioniert nur in seltenen Ausnahmen.“ Ohnehin habe Richter das nötige Selbstbewusstsein, um die Nachbarschaft der Größten der Kunstgeschichte zu suchen.
In der Theorie wäre die Berliner Lösung mit mehreren, in die Sammlungspräsentation integrierten Richter-Räumen auch im Museum Ludwig möglich gewesen – doch hätte das Kölner Haus dafür seine Sammlungspolitik gleich in doppelter Hinsicht ändern müssen. Es ist am Ludwig lange geübte Praxis, ausschließlich Schenkungen und keine Dauerleihgaben, wie es Richters Stiftung gewesen wäre, anzunehmen, um zu vermeiden, dass Werke der Sammlung nach Ablauf der Leihvereinbarung wieder abgezogen werden. Und selbst Pablo Picasso erhält im Haus keine Sonderstellung von der Art, wie sie mit einer Folge von ständigen Richter-Räumen zum Ausdruck gekommen wäre.
Für Gerhard Richter kommt die Dauerleihgabe nach Berlin ohnehin einer Ideallösung gleich. Sein Werk ist dadurch nicht nur in seiner Geburtsstadt Dresden prominent vertreten, sondern auch in der Weltkunstmetropole Berlin. Und Köln, seit bald 40 Jahren seine Heimatstadt, sollte sich nicht grämen, da es doch bereits über sein Domfenster und im Museum Ludwig über eine der wichtigsten Richter-Sammlungen weltweit verfügt. Lediglich Düsseldorf, Richters Heimathafen nach seiner Flucht aus der DDR, steht in dieser Hinsicht etwas abgeschlagen da.
Trotzdem bleibt der schale Nachgeschmack einer verpassten Gelegenheit. Es ist schließlich kein Geheimnis, dass Richter seit Jahren für seinen Nachruhm sorgt und man ihn nicht lange überreden muss, wenn man ihn erst einmal für etwas begeistert hat. Seine Zusage für das Kölner Domfenster gab er spontan, und auch im Museum Ludwig schwärmt man davon, wie unkompliziert das Arbeiten mit dem Künstler sei. Es wäre also kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, wenigstens einen kleinen Teil der Richter-Sammlung für Köln zu gewinnen, wenn es frühzeitig ein überzeugendes politisches Konzept gegeben hätte.
Das passt ins Bild einer Stadt, die sich als Kunstmetropole versteht, aus ihrem reichen Erbe aber zu zuletzt selten die nötige Inspiration zu ziehen wusste. Dabei liegen die großen Leistungen auf diesem Feld nicht allzu lange zurück: Die Kunstmesse Art Cologne wurde 1967 gegründet, das Museum Ludwig im Jahr 1986 eröffnet. Heute gibt es zwar ambitionierte Projekte wie die „Historische Mitte“ oder die Via Culturalis. Aber das Vertrauen in die Fähigkeiten der Stadt, solche Ideen auch zu verwirklichen, hat nach den Skandalen um die Oper, den Archiveinsturz und allzu viele aufgeschobene Vorhaben zu Recht gelitten.
Sammlungspräsentation zu Gerhard Richters 90. Geburtstag, Museum Ludwig, Köln, bis 1. Mai 2022