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Gisbert zu Knyphausen in der PhilharmonieBloß keine Angst vor Pathos

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Gisbert zu Knyphausen (r.) und Kai Schumacher in der Philharmonie

Köln – Gerade einmal 17 Jahre alt und sehr verliebt war Franz Schubert, als er Goethes Gedicht „Nähe des Geliebten“ vertonte. Und weil man vor gut 200 Jahren eben noch keinen Streaming-Link verschicken konnte, ließ er dem damals schon berühmten Dichter sein Werk per Depesche zukommen. Nur um sie wenig später ungeöffnet zurückzuerhalten.

Seine Enttäuschung war verständlicherweise groß, wie der Pianist Kai Schumacher am Mittwochabend in der Philharmonie berichtet. Schumacher selbst fasste sich vor einiger Zeit ebenfalls ein Herz und schickte dem Musiker Gisbert zu Knyphausen eine Aufnahme seiner Neuinterpretation von Schubert-Liedern. Und anders als Goethe hat zu Knyphausen glücklicherweise geantwortet.

Auf Risiko eingelassen

Zu Beginn war er zwar etwas zögerlich, ob er sich eine Annäherung an Schubert zutraut, aber er ließ sich überzeugen. „Franz Schubert hat so wundervolle Melodiebögen erschaffen und Harmoniewechsel, die ich mir bislang noch nicht ausdenken konnte“, sagt er über seine Gründe, sich auf das Risiko einzulassen.

„Lass irre Hunde heulen“, eine Zeile aus „Gute Nacht“ aus der „Winterreise“ (Texte: Wilhelm Müller), haben die beiden ihr Album mit zehn Neuinterpretationen Schuberts genannt, das im September erscheint. Eine Bandbesetzung aus Drums und Gitarren bildet das klangliche Fundament, Streicher und die häufig im Vordergrund stehende Posaune ergänzen die Arrangements.

Mehr als 600 Lieder hat Schubert in seinem nur 31 Jahre währenden Leben komponiert, manche wie „Der Leiermann“ auch heute noch sehr bekannt, andere in Vergessenheit geraten.

Schöne Melancholie

Dieser Mittwoch im August, der sich mit Kälte und Nieselregen gebärdet wie ein Herbsttag, schafft den perfekten Rahmen für ein knapp zweistündiges Konzert voller Weltschmerz, in den die Musiker ebenso wie das Publikum mit Inbrunst eintauchen. Melancholie kann so schön sein.

Jeder, der schon einmal Liebeskummer hatte, kennt dieses Gefühl: Eben erstrahlte noch alles in rosarotem Glanz, nun erscheint die Welt grau. Bei Schubert geht es um Liebe – meist unerfüllte -, um die Suche nach sich selbst, den Sinn des Lebens, um den Tod und die große Frage nach dem Warum.

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Man muss sich schon trauen, das Pathos, das seinen Kompositionen inne ist, nicht zu ironisieren. Aber da hat Kai Schumacher mit Gisbert zu Knyphausen den richtigen Mann gefunden. Vor Pathos hat der bekanntlich keine Angst.

Und weil das eben universelle Menschheitsfragen sind, die hier verhandelt werden, erscheinen Schuberts Lieder erstaunlich heutig. Gut, von einem „fein Liebchen“ würde in unseren Tagen vermutlich niemand mehr sprechen, aber davon abgesehen könnte auch jeder aufstrebende Singer-Songwriter Anfang 20 diese Zeilen schmachten.

Romantik und Popsongs

Zu Knyphausen, Schumacher und ihre achtköpfige Band holen die Kunstlieder in die Gegenwart. Und weil sie auch Stücke von zu Knyphausen („Auch alt, aber nicht 200 Jahre“) spielen, versuchen sie den Brückenschlag zwischen der Romantik und modernen Popsongs. Ein auf den ersten Blick gewagtes Unterfangen, das aber erstaunlich gut funktioniert. Da gibt es Momente, in denen man kurz überlegen muss, wessen Werk man da gerade hört. Oder man schreckt auf, weil ein Wort wie „Autobahn“ so unvermittelt in die Gegenwart zurückholt.

Gerade durch das Nebeneinander von zu Knyphausens eigenen Stücken und den Schubert-Kompositionen erscheint das Werk des Meisters des romantischen Kunstliedes so heutig. Vielleicht vernuschelt zu Knyphausen die ein oder andere Zeile etwas, vielleicht hätte man sich die Streicher – die Musiker überzeugen allerdings alle – manchmal etwas mehr im Vordergrund des Arrangements gewünscht, aber das sind Kleinigkeiten.

Wenn das Mutti wüsste

Schumacher am Steinway ist ohnehin ein fabelhafter Begleiter. An dem Flügel nimmt auch zu Knyphausen einmal Platz. „Wenn das meine Mutter geahnt hätte, als sie mich mit sechs Jahren zum Klavierunterricht geschickt hat, dass ich mal an einem Steinway in der Kölner Philharmonie sitzen werde“, sagt der Musiker, dem man die Freude über den Auftritt vor Publikum in jedem Moment ansieht. Die meiste Zeit bleibt er aber der Akustik-Gitarre treu. Und das ist auch gut so.

„Sie werden melancholisiert und glückselig nach Hause gehen“, hatte Knyphausen am Beginn des Abends versprochen. Er hat sein Versprechen gehalten.