Köln – „Da singen die Kerls doch schon wieder“, beschwerte sich Richard Wagner einmal in schönstem Sächsisch bei der Probe zu einem seiner Musikdramen. Für seine Opernästhetik ist der Ausruf bezeichnend: Der Meister wollte die charakteristische Bühnendarstellung der Figuren, und die war mit „reinem“ Gesang oder gar Belcanto eben nicht zu erreichen. Nicht das Wagner prinzipiell Belcanto gehasst hätte, aber der war kein absoluter Wert mehr, keine unhinterfragte Richtschnur.
An die Anekdote mochte der eine oder andere Zuhörer jetzt anlässlich der fulminanten konzertanten Aufführung des „Rheingold“ durch das (über seine Standardbesetzung hinaus massiv aufgestockte) Originalklangensemble Concerto Köln unter Kent Nagano in der Philharmonie erinnert werden. Da wurde unter anderem auch – und zwar sehr schön – gesungen, doch halt nicht nur.
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Sicher griff immer wieder große melodische Emphase Platz – von Frickas Auftritt in der zweiten bis zu Frohs Gesang in der vierten Szene (es gibt, das wurde schlagend deutlich, im „Ring“ neben dem Leitmotivgepuzzle auch liedhafte Periodik). Ihr aber kontrastierte an vielen Stellen ein pointierender, teils melodramatischer Sprechgesang, im Extremfall ein plapperndes Parlando. Mit ihm warteten zumal Loge und Alberich auf, der seinerseits dem von ihm gequälten Mime sehr „unmusikalische“ Schreie entlockte.
An solchen Stellen wurde – ohne bebildernde Inszenierung, wohl aber mit einer gestisch ausgefeilten Personenführung – ein szenischer Verismus erreicht, der schon einer „Ästhetik des Hässlichen“ verpflichtet schien. Die 1500 Zuhörer im philharmonischen Rund zog er jedenfalls – ablesbar am Schlussjubel – auf eine Weise in Bann, wie es vielen Bühnenaufführungen nicht vergönnt ist.
Mit dieser „Rheingold“-Aufführung erklomm das von Nagano und Concerto Köln ins Werk gesetzte Projekt der „Wagner-Lesarten“ nach langem präludierenden Anlauf einen ersten Höhepunkt. Denn die Produktion und Einspielung des kompletten „Ring“ ist das Ziel des Unternehmens, das die Tetralogie erstmals nach Maßgabe der historischen Aufführungspraxis realisiert. Genauer: Es ging und geht dabei um die penible wissenschaftliche Erforschung der Aufführungsbedingungen zu Wagners Lebzeiten und deren „wiederaneignende“ Umsetzung im heutigen Konzertsaal.
Die einschlägigen Erkenntnisse zeitigten nicht nur eine Senkung des Kammertons auf 435 Hertz (eine spürbare Entlastung für alle Beteiligten), sondern auch die Rekonstruktion des Instrumentariums nach dem Modell der damaligen Münchner Hofkapelle und eben die Erarbeitung historischer und heute aus der Mode gekommener Stimmtechniken und Gesangsstile. Auf Anhieb erstaunlich: Im Unterschied zu über Generationen hinweg praktiziertem modernem Wagner-Gesang war der seinerzeitige einem Non-Vibrato-Ideal verpflichtet.
Es geht ohne Brüllstimmen
Die Zuhörer konnten den „Paradigmenwechsel“ jetzt unmittelbar mitbekommen: Durchweg mussten es da keine Brüllstimmen mit undifferenzierten Orchestermassen aufnehmen, vielmehr konnten alle Sänger und Sängerinnen es leicht und beweglich angehen lassen (was in der Strecke zu einer spektakulär kurzen Aufführungsdauer von lediglich zweieinviertel Stunden beitrug). Sie seien an dieser Stelle ob ihrer Gestaltungsintensität und ihres vokalen Charismas summarisch gepriesen: Derek Welton (Wotan), Thomas Mohr (Loge), Stefanie Irányi (Fricka), Sarah Wegener (Freia), Gerhild Romberger (Erda), Daniel Schmutzhard (Alberich), Thomas Ebenstein (Mime), Tijl Faveyts (Fasolt), Christoph Seidl (Fafner) sowie die Rheintöchter Ania Vegry, Ida Aldrian und Eva Vogel.
Großes Lob gebührt aber auch dem unter Naganos präzis-wissender Anleitung prägnant, durchhörbar, rhythmisch angespitzt und in den jeweiligen Klangfarben sehr spezifisch aufspielenden Orchester: Wie dort etwa die täppisch-dumpfe Brutalität der beiden Riesen zu Musik wurde, das war an plastischer Eindringlichkeit kaum zu überbieten.
Wer ist besser?
Ist Nagano nun „besser“ als, zum Beispiel, Thielemann? Diese Frage scheint irgendwie falsch gestellt, dennoch wird die Diskussion um einen zeitgemäßen Wagner-Stil und -Sound nach dem „Kölner Ereignis“ zweifellos entbrennen. Auf Verlauf und Ergebnis darf man gespannt sein.