Bei der Restaurierung eines Barockgemäldes kam Verdrängtes ans Licht. Bald wird der Kampf gegen die Sünden im Kölner Wallraf-Richartz-Museum gezeigt.
Kölner BarockgemäldeWie man die Schönheit aus den Klauen eines Höllenhunds befreit
Es war früher nicht unüblich, dass Gemälde ihr Aussehen veränderten, während sie von Haus zu Haus gingen und die Zeit an ihnen vorüberzog. Meist ließen ihre neuen Besitzer Hand an sie legen, um dem eigenen Geschmack oder der gewandelten Moral zu huldigen: Ungezählte Männer und Frauen, die gemalt wurden, wie Gott sie schuf, bekamen später keusche Kleider angelegt, oder monströse Figuren wurden kaschiert, um ihrem Lebensraum den Schrecken zu nehmen. Unter der Farbe lebte das Verdrängte weiter und wartete scheinbar nur darauf, ans Licht zurückzukehren.
Offenbar wollte jemand die Frau aus den Klauen des geflügelten Höllenhundes befreien
Eine solche Auferstehung erlebte auch der Kölner Literaturhistoriker Dietz Bering mit, als er ein Gemälde, das sich seit rund 100 Jahren im Besitz seiner Familie befand, restaurieren ließ. Es wurde vom Barockmaler Otto van Veen (1556-1629), einem Lehrer Peter Paul Rubens', gemalt und zeigt einen jungen Mann in leuchtender Rüstung, der furchtlos die sieben Todsünden in menschlicher Gestalt bekämpft. An seiner Seite stehen die drei Kardinaltugenden Glaube, Liebe und Hoffnung, allesamt als keusche Schönheiten dargestellt, ihm gegenüber wüten Neid, Völlerei, Habgier, Wollust, Hochmut, Trägheit, Zorn – und der leibhaftige, die Sense über dem Kopf schwingende Tod höchstselbst.
Der beherzte Kampf des Soldaten Christi erstreckt sich über den gesamten Mittelgrund des prachtvollen Gemäldes. Vorder- und Hintergrund hat Otto van Veen für Himmel und Hölle reserviert, ganz so, als wäre der Ausgang des erbitterten Kampfes offen. Dabei setzt Christus dem siegreichen Helden im oberen Bildteil bereits die Krone auf. Gerahmt wird dieser Triumph von einem Dutzend flatterhafter Putten, die leicht beschwipst an einer Himmelsleiter zu bauen scheinen, tatsächlich aber den tapferen Tugendbold anfeuern, indem sie ihm die Marterwerkzeuge Christi präsentieren. Am unteren Bildrand haben es die auf dem Lasterpfad gewandelten Sünder weniger gut getroffen: Sie versuchen verzweifelt, ihrem Flammen schlagenden Schicksal zu entgehen. Die einzige Ausflucht wäre, aus dem Rahmen in die Wirklichkeit zu steigen; dafür war die Barockzeit aber noch nicht reif.
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Als das Gemälde in den Besitz der Familie Bering kam, hielt sich eine junge Frau etwas abseits von den versengten Sündern. Sie schaut am linken Bildrand zu ihnen herüber und scheint sich weder Sorgen um ihr langes blondes Haar noch ihren entblößten, vornehm-blassen Leib zu machen. Wie selbstvergessen lenkt sie unseren Blick auf einen lateinischen Sinnspruch, der den barocken Tumult bündig zusammenfasst: Der christliche Ritter erwirbt die Krone durch seinen Kampf gegen die Todsünden. Einige Kunsthistoriker haben die Dame daher als Fingerzeig darauf interpretiert, dass sich der Maler einiges auf seine Gelehrsamkeit zugute hielt.
Bei der Restaurierung ergab sich dann buchstäblich ein anderes Bild. Hinter der nackten Schönen tauchte ein übermalter Höllenknecht auf, der sie mit einer Klaue am Kopf packt und gewaltsam nach unten in Richtung Verdammnis drückt. Zwar kommt es vor, dass sich Maler selbst korrigieren; doch in diesem Fall lässt sich das ausschließen. Der Dämon wurde erstaunlich ungelenk und zudem wohl nach der Entstehungszeit des auf etwa 1610 datierten Gemäldes aus diesem getilgt. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Offenbar wollte jemand die Frau aus den Klauen des geflügelten Höllenhundes befreien.
Dietz Bering war jedenfalls perplex. Das üppige Riesenformat (mit Rahmen 183 mal 140 Zentimeter) mit dem kriegerischen Ringen um das menschliche Seelenheil hatte auf ihn anfangs vor allem monströs gewirkt. Wer wächst schon gerne zwischen Himmel und Hölle baumelnd auf? Als sich der Höllenhund mit dem Feueratem dann auf der Leinwand materialisierte, erschien es ihm beinahe, als würde ein altes Familiengeheimnis aufgedeckt. Bering, 1935 in Münster geboren, ist vor allem für seine Untersuchungen zur Begriffs- und sonstigen Geschichte des „Intellektuellen“ bekannt, verfasste aber auch bedeutende Bücher zu Martin Luther und zum alltäglichen Antisemitismus. Es liegt auf der Hand, dass einen derart versierten Historiker eine „Umschrift“ der eigenen Vergangenheit nicht unbeeindruckt lässt.
Das Gemälde kam wohl im Krisenjahr 1923 in den Besitz der Familie Bering
Das Gemälde kam wohl im Krisenjahr 1923 in den Besitz der Familie Bering und sollte an bessere Zeiten erinnern, einen erlittenen Statusverlust wenigstens symbolisch ausgleichen. Die Besitzverhältnisse vor dieser Zeit liegen weitgehend im Dunkel. Otto van Veen stand zeitweilig in Kölner Diensten und malte seinen „Miles Christianus“ vermutlich für ein Mitglied des lokalen Domkapitels. Auf ungewissen Wegen gelangte es im 19. Jahrhundert in den Besitz des Kölner Sammlers und Gelehrten Johann Jacob Merlo, der es wohl bereits im zensierten Zustand übernahm. Jedenfalls hätte Merlo, Verfasser einer Kölner Kunstgeschichte, den Dämon in seinen Schilderungen des Veen-Gemäldes kaum ausgespart. Seinen genauen Aufzeichnungen ist es zu verdanken, dass wir den Soldaten Christi heute seinem Schöpfer zuordnen können. Als Merlo 1890 starb, wurde sein Bild versteigert; von wem es die Familie Bering übernahm, ist unbekannt.
Ab 6. Juni ist das restaurierte Gemälde dauerhaft als Leihgabe der Familie Bering im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen. Die Familiengeschichte tritt dann hinter allgemeine kunsthistorische Aspekte zurück: Veens Vorbilder, das Verhältnis zu seinem berühmten Schüler Rubens oder sein Wirken in Köln. Auch malerisch hat das Bild viel zu bieten, angefangen bei der dezenten Farbdramaturgie (das himmlische Blau gegen das höllische Rot) bis hin zur virtuosen Darstellung einer biblischen Szene (Abraham opfert aus Gehorsam gegenüber Gott seinen Sohn) auf dem Schild des kämpfenden Soldaten.
Beinahe übersehen lässt sich eine weitere Entdeckung. Der Anführer der Sündenhorde, ein derber Geselle mit Ziegenkopf, trug lange einen Stiefel über dem linken Fuß. Die Restauratoren haben ihm diesen ausgezogen und darunter formvollendete Krallen freigelegt. Die Gründe für diese Übermalung bleiben vollends rätselhaft. Wenn dem Auftraggeber die Kreuzung von Mensch und Tier unziemlich erschien, warum tastete er dann den gehörnten Kopf nicht an? Vielleicht störte ihn aber auch, wie leichthändig Veen die Attribute von Teufel und Todsünde vermengte.