Die Kölner Oper brachte die Premiere von „Die lustige Witwe“ auf die Bühne. Das Stück spielt immer wieder auf die Sanierung der Oper und auf die schwierige Finanzsituation in Köln an.
Neues Stück in der Kölner Oper„Die lustige Witwe“ feiert Premiere
Diese neue Kölner „Lustige Witwe“ beginnt mit einem Begräbnis. Zur (hier übrigens nicht so recht passenden und deshalb wohl ironisch zu verstehenden) Musik von „Lippen schweigen“ – der Welthit vom Ende des dritten Akts der Lehár-Operette ist schließlich kein Sterbechoral, sondern ein Liebesduett – wird jemand unter dem unterdrückten Schluchzen der Beteiligten zu Grabe getragen. Tatsächlich ist das die Vorgeschichte der Handlung: Es ist der Ehemann der Titelfigur Hanna Glawari, der da in die Erde sinkt, jene als so schöne wie schwerreiche Erbin zurücklässt und solchermaßen das Geschehen um Geld und/oder Liebe überhaupt erst in Gang setzt.
Kaum ist der Sarg „unten“, löst sich das Trauerambiente schlagartig auf: Die originale, am Start der Operette platzierte Galoppattacke setzt ein, die schwarzen Gewänder fallen, es wird pinkig-poppig, Tanzwut bricht aus. Eine einprägsame Umsetzung der Paradoxie des Werktitels: Die Witwe ist eben wider die konventionelle Erwartung „lustig“.
Kölner Opernpremiere „Die lustige Witwe“
Dann läuft im Prinzip alles so ab, wie man es kennt. Das klingt jetzt übelwollender, als es gemeint ist. Bernd Mottl, an der Kölner Oper seit der Laufenberg-Ära mit wechselndem Glück als Gastregisseur tätig, verzichtet diesmal auf jene Art einer radikalen, aber eben auch gewaltsamen und daher misslingenden Aktualisierung, wie er sie etwa seiner schwulen „Csárdásfürstin“ von 2011 hatte zuteilwerden lassen. Die Motive von Queerness und Transvestitentum, der verflüssigten Gender-Zuordnungen also, fehlen nicht, sie werden aber aus der Haupthandlung ins Ballett abgedrängt, das hier, im Saal I des Deutzer Staatenhauses, immerhin massiv zum Einsatz kommt.
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Überhaupt lebt diese Inszenierung nicht aus einer innovativen Kernidee, sondern aus dem integrierten Fantasiereiz von Bewegungsintensität, Bühnenbild (Friedrich Eggert), Kostümen (Alfred Mayerhofer) und Farben. Ort des Geschehens ist, wie gehabt, der große Saal in der Pariser Residenz des imaginären Balkanstaates Pontevedro, dessen Schäbigkeit mit herabfallender Decke im ersten Akt unübersehbar ist, während er dank Glawaris Finanzspritze nach der Pause mit schwarz-goldenem, wenngleich etwas großmannssüchtigem Prunk aufwartet. Der Hinweis auf eine funktionsuntüchtige Klimaanlage situiert die Operette in einer unbestimmten Gegenwart, Anspielungen auf K.u.k, Jugendstil und Wiener Dekadenz sind weitestgehend vermieden.
Bernd Mottls Dialoge spielen auf Opernsanierung in Köln an
In diesem Saal, dessen Türen ein zügiges An- und Abfließen der chorischen Massen gestatten, wird nun ausgiebig und immer wieder in revuehaften Tableaus gewalzt, gefeiert, geliebt und betrogen, Mottl hat sich da einiges einfallen lassen. Und er setzt auch Distanzsignale – von Ironie war bereits die Rede. Exaltierte Übertreibungen etwa rücken die vorherrschende Doppelmoral in grelle Beleuchtung, ein permanenter Unterstrom erotischer Symbole zeigt an, worum es unter der dünnen Gesittungskruste de facto geht. Aufdringlich und dadurch lächerlich wirkt auch die folkloristische Selbstdarstellung des pleitebedrohten Zwergstaates mit Tamburizza-Kapelle und anderen Balkanismen. Zu den offensiven Kitschstrecken der Operette hingegen scheint die Regie einigermaßen vorbehaltlos zu stehen.
Die Dialoge hat Mottl auch dergestalt bearbeitet, dass es laufend Anspielungen auf das Desaster der Opernsanierung und eine dem Fürstentum Pontevedro vergleichbare – sprich: schwierige – Finanzsituation der Stadt Köln gibt. Das ist voraussehbar und insgesamt mäßig lustig, aber auch nicht peinlich, hält insgesamt das Humorniveau eines karnevalesk angehauchten Juste Milieu.
Die Sängerinnen und Sänger sind auf einem guten Level
Mottl geht also, wie gesagt, auf Nummer Sicher, verzichtet auf krampfigen Tiefsinn und fährt deshalb den Laden auch nicht gegen die Wand. Vielleicht könnte man gerade heute aber doch noch mehr aus dem Stück machen, als im Staatenhaus herausgeholt wird. Von 1905, dem Jahr der Uraufführung, bis zum Ersten Weltkrieg hatte es noch neun Jahre. Das Geschehen in der Pariser Botschaft wird darob im Nachhinein zum Tanz auf einem Vulkan. Wäre dieser „Deutungshebel“ eine diskussionswürdige Alternative zu fastnachtlicher Harmlosigkeit?
Gesungen wird auf gutem, wenn auch nicht durchweg überragendem Level. Wobei den Darstellern teils – etwa Ralph Morgenstern in der Rolle des Njegus – ein ausgeprägt komödiantisches Talent zugutekommt. Elissa Huber in der Titelpartie überzeugt durch eine rollenfüllende Präsenz mit Durchsetzungsfähigkeit, Beweglichkeit und schöner Höhe, und das tun auch die beiden Tenöre Adrian Eröd als Danilo und Maximilian Mayer als Camille, die hier nicht auf Wagner machen, sondern mit Leichtigkeit und Eleganz aufwarten. Ralf Lukas als Zeta und Rebecca Nelsen als „anständ’ge“ Ehefrau erfüllen ebenfalls die Erwartungen. Alle miteinander kommen aber im Ensemble besser denn in ihren Einzelleistungen herüber, hier gibt es mitunter Brüche in der Linie und eine stimmlich eigentümlich defensive Raumfüllung. Wie zu hören ist, war das Ensemble allerdings im Vorfeld der Premiere von erkältungsbedingter Indisponiertheit geschlagen. Der vitale und sichtlich mit Spaß agierende Chor schien davon nicht betroffen.
Andrea Sanguineti am Pult hatte zunächst mit der koordinationsungünstigen Breite des Grabens zu kämpfen, führte mit kleinteilig-genauem und die vielen szenisch-musikalischen Umschwünge exakt abpassendem Dirigat das Gürzenich-Orchester dann aber zu einer auch idiomatisch ansprechenden Leistung auf einem Feld, auf dem es bekanntlich nicht eben zuhause ist. Der Schmelz der Violinen und der charismatische Sound des Solo-Cellos aktivierten stets aufs Neue wirkungsvoll den sentimentalen Schmäh aus der Silbernen Ära der Wiener Operette. Das Publikum bedachte die Premiere mit vielleicht nicht überschwänglichem, aber zufriedenem Beifall.
Stückbrief und nächste Aufführungen
Musikalische Leitung: Andrea Sanguineti. Inszenierung: Bernd Mottl. Bühne: Friedrich Eggert. Kostüme: Alfred Mayerhofer. Darsteller: Ralf Lukas, Rebecca Nelsen, Adrian Eröd, Elissa Huber, Maximilian Mayer, Ralph Morgenstern
Nächste Aufführungen: 5., 7. , 10., 13., 16., 21. Dezember. Dauer: gut 2 ½ Stunden inklusive Pause.