In Wagners „Holländer“ zeigten Sänger und Orchester unter Roth eine tolle Leistung in Köln, die Regie lässt dagegen zu Wünschen übrig.
Wagners „Holländer“ an der Kölner OperMit Senta im Karnevalstrubel
Ist das etwa die herbeigeträumte und -ersehnte Erlösung? Der Ahasver der Meere bleibt am Schluss depressiv am Tisch sitzen, während Senta die Puppe, die sie selbst darstellen soll, anzündet und dann ins Off entschwindet. Was es mit der brennenden Puppe auf sich hat, erfährt der Leser aus dem Programmheft. Es handle sich, lässt der französische Regisseur Benjamin Lazar verlauten, um eine Karnevalstradition aus slawischen Ländern. Das ist also keine ostische Nubbel-Version, sondern ein ins Symbolische zurückgenommenes Frühlingsopfer auf der Linie von „Le sacre du printemps“.
Aber unabhängig davon, dass es problematisch ist, wenn das Publikum eigens Hilfe zum Verständnis der Bühnenvorgänge braucht – was in aller Welt hat diese „Masleniza“ mit Wagners „Fliegendem Holländer“ zu tun, der – in Lazars Inszenierung – soeben im Kölner Staatenhaus (Saal 1) seine Premiere erlebte?
Benjamin Lazars Inszenierung von „Der fliegende Holländer“ dimmt die Romantik ab
Nichts, und diese ernüchternde Erkenntnis neutralisiert auch die Plausibilität des gedanklichen Ansatzes: Den im Kern tristanesken und doch plakativ-kitschigen Liebes- und Erlösungstod im Meer, der dem Komponisten vorschwebte, dimmt Lazar gnadenlos herab zum relativ alltäglichen Scheitern einer illusionären Beziehung. Von Sentas Schwur ewiger Treue bleibt übrig, dass sie nach dieser jugendlichen Verirrung keinen Mann mehr in ihr Leben lässt.
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Das legt wenigstens eine weitere Regiezutat nahe: Noch vor der Ouvertüre spricht eine Stimme (Silke Natho) einen Prolog der reifen Senta, die die nachfolgende Oper sozusagen auf eine Erinnerungsbühne holt. Das damit angelegte Motiv einer Verdopplung der Zeit- und Handlungsebenen wird aber in der Folge nicht weiter entfaltet. Auch dies eine jener sich verlaufenden Spuren, denen sich die Inkonsistenz der Regie verdankt.
Oper wird in Köln vom Mythos zum Gegenwartsgeschehen
Lazar hat die Oper aus einer quasi-mythischen Vorzeit in die Gegenwart geholt: Die Kostüme (Adeline Caron, die auch das Bühnenbild verantwortet) sind danach, Relinge und Geländer evozieren ein Hafenambiente, und das Schiff des Holländers links auf der Bühne gegenüber von Dalands angedeutetem Heim ist zum Frachter mit roten Containern mutiert. Dass des Holländers kostbare Fracht nun aus Maschinengewehren besteht und der Verdammte der Meere also zum Waffenhändler wird – man darf es eine Aktualisierung mit dem Holzhammer nennen. Genauso wie die Idee, Dalands Schiffsbesatzung die armen Holländer-Zombies verprügeln zu lassen. Wenn man bei all dem an Dietrich Hilsdorfs Kölner Inszenierung von 2012 mit ihrer wuchtigen, aus der Alptraumwelt der Frühromantik gewonnenen Bildlichkeit zurückdenkt, können einem glatt die Tränen kommen.
Wenn sich allerdings diese Defizite im Gang des Abends (es wird die pausenfreie Fassung von 1860 gespielt) nicht durchweg störend aufdrängen, dann deshalb, weil Lazars Personen- und Szenenführung immerhin die Musik nicht vergewaltigt, sondern ihre Impulse adäquat aufgreift und umsetzt. Das gelingt auch dank einer effektvollen Raumdramaturgie, die die Spielzone um den in der Mitte aufgerissenen Orchestergraben herumführt. Da begibt sich ein Nach- und Mit- und Gegeneinander, das das Ganze über zweieinhalb Stunden hinweg wie ein Feuerwerk abbrennen lässt. Langeweile stellt sich trotz der abwegigen Regieeinfälle nicht ein.
Besonders die Sopranistin Ingela Brimberg hinterlässt einen starken Eindruck
Groß heraus kommt dabei vor allem der Chor, den Lazar zu teils orgiastischen Auftritten animiert. Die Gewalt des vokalen Outputs sprengt dabei immer wieder die Grenzen des im engeren Sinn „Schönen“, aber in diesem Kontext macht das nichts. Verlangt jemand im Ernst von alkoholisierten Seeleuten, dass sie zivilisiert singen?
In der insgesamt imposanten Sängerriege hinterlässt die Schwedin Ingela Brimberg, derzeit eine der international meistbeschäftigten Sentas, womöglich den stärksten Eindruck. Das hat nicht nur mit ihrem mühelos raumfüllenden, kristallklaren, dabei in der Höhe leicht metallischem Timbre zu tun, sondern vor allem mit einer imposanten Breite der Charakterdarstellung, die Extreme zwischen Leidenschaft und Lyrik meistert. Ihre für den Werkaufbau zentrale Ballade im zweiten Akt, in der Gesang gesungen wird und sich damit potenziert, ist bekanntlich ein Strophenlied, bei dem die Gefahr eines wiederholten Einerlei auf der Hand liegt. Sie indes wäre für dieses Stück tödlich. Brimberg aber führt fesselnd vor, wie das Sujet der Ballade, die Holländer-Vision, von ihrer Sängerin Besitz ergreift, bis Senta und das Balladen-Ich identisch werden.
Das Gürzenich-Orchester ist die Seele der Produktion
Ein ebenbürtiger Partner ist ihr James Rutherford als Holländer: ein agiler, dunkler Bariton, ausdrucksstark im depressiven Arioso, emphatisch im Duett mit Brimberg. Karl-Heinz Lehner gibt seinem Daland, der die Tochter verkaufen will, in präsenter Artikulation jene leicht buffonesken Züge mit, die die offenbar werdende Habgier nahelegt. Eindrucksvoll in erbitterter Verzweiflung ist Maximilian Schmitt als Erik, tadellos sind auch Dalia Schaechter als Mary und Seung Jick Kim als Steuermann.
Die Seele der Produktion aber ist das Gürzenich-Orchester, das unter François-Xavier Roth die schwierigen akustischen Verhältnisse in bemerkenswert guter Koordination mit der Bühne bewältigt: Präsent und plastisch leuchten die Farben der Instrumente, und die insgesamt kammermusikalische Auffassung macht versteckte Details hörbar. Von wegen mystische Wagner-Wolke, die bei diesem Frühwerk auch noch nicht angezeigt ist. Immer wieder dämpft Roth auch die Dynamik zugunsten der Sänger, und wenn dann mal ein Forte oder Fortissimo kommt, wirkt es umso befreiender. Die Erlösung, die es für den Holländer und Senta hier nicht gibt – im Orchester ereignet sie sich.
Zum Stück
Musikalische Leitung: François-Xavier Roth. Inszenierung: Benjamin Lazar. Bühne/Kostüme: Adeline Caron. Darsteller: Karl-Heinz Lehner, IIngela Brimberg, Maximilian Schmitt, Dalia Schaechter, Seung Jick Kim, James Rutherford. Dauer: 2 1/2 Stunden – ohne Pause. Nächste Aufführungen: 4., 8., 10., 15., 19., 21., 23. April