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Oper „Fin de Partie“ in der Kölner PhilharmonieNichts ist komischer als das Unglück

Lesezeit 3 Minuten
Stenz steht in einem kargen Raum, an dessen Wände einige Rohre sichtbar sind. Er trägt einen Frack, eine weiße Fliege und hält seinen Taktstock.

Der Dirigent Markus Stenz führte „Fin de Partie“ in Köln auf

In der Kölner Philharmonie dirigierte Markus Stenz die Oper „Fin de Partie“ von György Kurtág. Das Werk basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Samuel Beckett.

Dass Menschen singen, wirkt entweder natürlich oder absurd. Doch was geschieht, wenn als Grundlage einer Oper ein absurdes Theater genommen wird? Steigert das die Absurdität oder zerstört es sie? György Kurtág beschäftigte sich spätestens seit „What is the Word?“ von 1991 mit Samuel Becketts literarisch gestalteter Sprachlosigkeit.

Erst im hohen Alter von 91 Jahren vollendete der 1926 geborene ungarische Komponist seine erste abendfüllende Oper „Fin de Partie“ nach Becketts gleichnamigem Theaterstück „Endspiel“ von 1956. Der Uraufführung 2018 an der Mailänder Scala folgten Aufführungen in Antwerpen, Budapest, Dortmund, Paris und Amsterdam. Nun war das Stück konzertant in der Kölner Philharmonie zu erleben.

Ehemaliger Kölner Musikdirektor Markus Stenz in der Philharmonie

Nach kurzem Prolog überrascht der Beginn der ersten von 14 Episoden mit einer zünftigen Hüttenmusi des Akkordeons, die freilich rasch in Düsternis umschlägt. Die überwiegend kammermusikalische Musik changiert zwischen Tragik, Komik, Lyrik und Pathetik. Die wechselnden Tonfälle sind ungemein expressiv und sprechend. Da sie sich gegenseitig durchkreuzen, wirken sie im Moment sowohl echt empfunden als auch wie reflexhafte Phantomschmerzen inmitten existentieller Sinnlosigkeit und Todesverfallenheit. Weil es in der postapokalyptischen Szenerie wie nach einem Atomkrieg nichts mehr zu essen, retten, hoffen, machen und sagen gibt, wiederholen die vier Überlebenden alte Rituale und Geschichten als Beruhigungsmittel zu eigenem Zeitvertreib.

Kurtág setzt Becketts Text erstaunlich direkt und lautmalerisch um. Hamms auskomponiertes Gähnen findet ein Echo in schlaffen Posaunenglissandi. Das geahnte finale „Gemurmel“ hört man in gedämpft nuschelnden Bläsern. Die Schreckensvision wuselnder Ratten äußert sich in huschenden Repetitionen der Streicher. Leises Flatterzungenspiel tiefer Flöten schafft leitmotivisch eine vage Grundstimmung aus verheißungsvollem Glanz und ungewissem Grauen. Immer wieder gibt es tonale Melodien, Akkorde, verbeulte Choräle und Trauermärsche. Das quälende Erwachen der alten Eltern Nagg und Nell in Mülltonnen begleitet in Höchstlage fistelnd ein klagendes Fagott. Dann erzählt sich das Paar in heiterem Parlando von seinem Tandem-Unfall in den Ardennen und lacht sich schepps darüber, dass man dabei beide Beine verlor, denn: „Nichts ist komischer als das Unglück.“

Ungarisches Orchester spielt „Fin de Partie“

Das ungarische Danubia Orchestra unter Leitung von Markus Stenz gestaltete wunderschöne Soli und fein ausgehörte Farb- und Klangwerte. Schwierigkeiten machten abrupt ein- und aussetzenden Figuren größerer Gruppen, die nicht synchron erfolgten. Die Vokalsolisten agierten allesamt ausgezeichnet. Der norwegische Bassist Frode Olsen sang, spielte und mimte den im Rollstuhl sitzenden blinden Hamm mit faszinierender Präsenz. Altistin Hilary Summers zauberte sanfte Ariosi in Erinnerung an glückliche Tage am Comer See, um mit verklärtem Blick ihren Liebestod zu finden. Tenor Leonardo Cortelazzi sang und spielte bravourös den als Buffo-Partie angelegten Nagg, der einzig selbst über seine traurigen Witze über die missratene Welt lacht. Zolt Haja gestaltete den von Hamm mit Trillerpfeife umhergescheuchten Ziehsohn Clov mit kraftvoll strahlendem Heldenbariton.

Nachdem die Eltern tot sind und Clov gegangen ist, sieht Hamm seinem Ende allein entgegen. Wiederkehrende Trommelwirbel wecken die Erwartung, es möge endlich enden oder sich etwas ereignen. Doch wie zuvor während der zweistündigen Aufführung gerät die Musik nur ins Stocken, um dann doch weiterzugehen. Die Pausen erzeugen Leere, Lähmung, Stille und eine Ahnung des ebenso drohenden wie sehnsüchtig erwarteten Endes. Das Orchesternachspiel ballt katastrophische Dissonanzen und deutet zugleich mit weichem Orgelpunkt und perfekten Einklängen die Lösung alle Spannung an. Das Ende vom Ende des „Endspiels“ setzt endlich ein dumpfer Schlag auf Großer Trommel und Tamtam als lange ausschwingendem Todessymbol.