Sol Gabetta und Patricia Kopatchinskaja, zwei Ausnahmekünstlerinnen, ergänzen sich ideal – und setzen gemeinsam musikalische Wildheit frei.
Klassische KonfrontationGabetta und Kopatchinskajas musikalischer Urwald in der Kölner Philharmonie
Das Konzert beginnt gleich ziemlich „crazy“. Die beiden Solistinnen schreiten nicht gesittet auf das Podium der Kölner Philharmonie, sondern platzen sozusagen herein, rhythmisch stampfend und rasselnd. Ein einziger Affront gegenüber den etablierten E-Musik-Ritualen. Und nach einem kurzen Überraschungsaugenblick springt das Publikum dieses Meisterkonzerts auf die gewaltsam etablierte neue Ebene, fällt in einen Klatschmarsch. Keine Frage: Da springt etwas über, kommt etwas spontan zusammen.
Darf man – als „Interpretament“ – Freuds „Unbehagen an der Kultur“ bemühen, das sich hier lustvoll und eben auch zur Gaudi der Zuhörer austobt? Vielleicht, das „Tambourin“ des französischen Barockmeisters Jean-Marie Leclair kann man zweifellos zivilisierter spielen, als es die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und die Cellistin Sol Gabetta tun. In dieser Performance lebt unbestreitbar auf höchstem spielerischem Niveau noch eine beträchtliche Portion Urwald.
Kölner Philharmonie: Das Duo Sol Gabetta und Patricia Kopatchinskaja ist herausgefordert
Gewaltsam – diese Vokabel drängt sich prima vista in mehrerer Hinsicht auf. Die Literatur für das Duo Violine und Cello ist überschaubar, und tatsächlich müssen sich Gabetta und Kopatchinskaja anstrengen, mit ihr einen ganzen Konzertabend zu füllen. Das Rückgrat des Konzerts liefern mit den Sonaten von Ravel und Kodály immerhin zwei ausgedehnte Originalkompositionen, die aber eingebettet werden (müssen) in ein buntes Kaleidoskop von kurzen, teils auf Bearbeitungen beruhenden Sätzen von Bach bis Widmann, Ligeti und Xenakis – nicht zu vergessen Kopatchinskaja selbst, die unter dem Namen PatKop auch als Komponistin eine respektable Figur macht.
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Vor allem aber: Die Musikerinnen scheinen von Haus aus so gar nicht zusammen zu passen: hier Gabetta als das „brave Mädchen“ eines kultivierten Schönklangs, dort die Krawallnudel Kopatchinskaja, der Bürgerschreck des städtischen Konzerthauses. Indes passen sie, die beide in der Schweiz wohnen und auch privat befreundet sind, eben doch zusammen – und sei es dergestalt, dass sie ihre vermeintliche Gegensätzlichkeit im Sinne eines szenischen Effekts genüsslich fingieren und zelebrieren.
Kölner Philharmonie: Konflikte und Langeweile auf der Bühne
Tatsächlich fetzen sie sich immer wieder auf der Bühne, da entspinnt sich ein veritabler Zickenkrieg: Die eine wird rein musikalisch zur Antagonistin, ja zur Feindin der anderen – etwa in dem Stück aus PatKops „Ghiribizzi“ mit dem für sich sprechenden Titel „Nein“. Und wenn sie sich nicht bekriegen – langweilen können sie sich aneinander auch, etwa wenn Gabetta am Schluss von C.P.E. Bachs „Presto“ spielerisch einschläft.
Dieses – dann noch einmal als Zugabe platzierte – Stück servieren beide übrigens in einem Pizzicato, dessen suggestiver Klangqualität sich so leicht wohl kein Zuhörer entziehen konnte.
Wie überhaupt nicht durchweg geholzt und geklotzt wird, dass man um die Instrumente fürchten muss. Bachs G-Dur-Präludium aus dem Ersten Wohltemperierten Klavier – eine duftige, luftige, von ätherischer Klarheit grundierte Darstellung inspirierter Zweistimmigkeit. Und Ravels Sonate – ein „Tombeau“ auf den verstorbenen Kollegen Debussy – geriet zu einem Paradefall von innen er- und ausgeleuchteter, durch den langen Atem der Zweisamkeit erfüllter Kargheit und Strenge.
Kurzum: Den Gang in den Urwald lässt man sich gefallen, wenn er – wie hier geschehen – seinerseits zu großer Kunst wird. Aber lauert da nicht auch die Gefahr der Marotte? Ja, irgendwann vielleicht, aber einstweilen können Gabetta und Kopatchinskaja noch getrost so weitermachen.