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Oper KölnSo brutal kann ein lustiges Aschenputtel-Märchen sein

Lesezeit 4 Minuten
Adriana Bastidas-Gamboa kniet als Aschenputtel vor einem Wassereimer

Adriana Bastidas-Gamboa als Aschenputtel in der Kölner Oper

Zum Jahresende hatte Rossinis „La Cenerentola“ an der Kölner Oper Premiere. Adriana Bastidas-Gamboa glänzte als Angelina, einer modernen Version des märchenhaften Aschenputtels.

Ein Aufstand, eine Revolte des Personals gegen den Dichter? Tatsächlich wollen in einer Schlüsselszene des zweiten Aktes die Figuren nicht einfach mehr das Libretto – das eh noch nicht fertig ist – exekutieren, sondern sie umlagern Alidoro mit gegensätzlichen Forderungen, wie die Sache ihrer Meinung nach weiterzugehen habe.

Nein, wir befinden uns hier nicht einer Aufführung von Luigi Pirandellos legendärem Theaterstück „Sechs Personen suchen einen Autor“, sondern in der neuen „Cenerentola“ an der Kölner Oper. Aber das Prinzip ist das nämliche: Die italienische Regisseurin Cecilia Ligorio lässt in ihrem Deutschland-Debüt im Saal I des Staatenhauses Rossinis originalen „Philosophen“ Alidoro zum Librettisten der Oper selbst mutieren. Der sitzt, zur Ouvertüre noch von Einfallslosigkeit gequält, an seinem Schreibpult, ehe sich dann seine Fantasie mit den Gestalten des Werkes füllt. Man könnte dieses beziehungsweise die Aufführung auch als die Versinnlichung seines Kopftheaters auffassen.

Cecilia Ligorio versetzt die Handlung an den Broadway

Aus all dem jedenfalls ergeben sich zwanglos jene Spiel-im-Spiel-Effekte, Spiegelungen und Vermischungen der Sphären, jene Abgründe von Theatralität, die man im Prinzip nicht erst seit Pirandello, sondern schon von Shakespeare und der romantischen Komödie her kennt. Mitunter – etwa im neuen Bonner „Maskenball“ – geht die gerade in der neueren Geschichte der Operninszenierung außerordentlich beliebte Etablierung neuer Fiktionsebenen seitens eines ambitionierten Regietheaters auch daneben. Diesmal aber gelingt sie in hohem Maße: Ligorio verstärkt vielmehr durch ihren konsequent durchgehaltenen Kunstgriff kongenial noch die realitätsfernen Spieleffekte dieser maschinellen Aschenputtel-Komödie – die übrigens in ihrer brutalen Zurschaustellung von Sadismus, Habgier und Unmenschlichkeit so „lustig“ gar nicht mal ist.

Die Bühne (Gregorio Zurla) vollzieht all das einprägsam nach: Puppenhausartige Module, in einem schwarzen Raum mit Vorhang platziert, lassen eine illusionistische Wirkung gar nicht erst aufkommen. Und immer wieder wird durch ihre Zweiteilung – rechts die Spielebene der Opernhandlung, links der über seinem Opus brütende Alidoro – das Regiekonzept ins Auge und ins Gedächtnis gerückt. Auch eine andere Übertragung funktioniert bemerkenswert gut: Ligorio schickt die Handlung aus dem frühen 19. Jahrhundert in die New Yorker Theatersphäre der 30er bis 50er Jahre und ihr Umfeld (in das auch Angelinas Aufstiegstraum gut hineinpasst) – mit ihren ziemlich genau kopierten Posen, Moden, Modellen und Ikonen samt Anspielungen auf Fred Astaire und Marilyn Monroe. Alidoro ist streng genommen auch kein „klassischer“ Librettist mehr, sondern Scriptwriter für eine Broadway-Produktion.

Diese Verlagerung macht nicht zuletzt den massiven Einbau von Revue-Elementen möglich: Tanzende Kellner und Kehrer, auch Alidoro-Vervielfachungen vitalisieren die Bühnenaktion noch effektvoll über das hinaus, was die so geschmeidig geführten wie spielfreudigen Darsteller von sich aus leisten.

Das sängerische Niveau ist insgesamt hoch, aber unterschiedlich. Star der Produktion ist wohl unstrittig Adriana Bastidas-Gamboa in der Titelpartie. In ihrer auf dem Laufsteg vor dem Orchester gesungenen Finalszene „Non più mesta accanto al fuoco“ gelang ihr etwas, was sich bei dieser Oper sonst nur selten ereignen will: das Herz des Zuhörers zu rühren. Und das lag nicht nur an der selbstverständlichen Brillanz, mit der sie das Feuerwerk ihrer Koloraturen zündete. Vielmehr verbindet sich die füllige Sinnlichkeit ihrer Altlage immer wieder mit jener Melancholie, die die eingefahrene Typik der Opera buffa immer wieder sprengt. Ohne dass es dabei zu einem Stilbruch käme.

Pablo Martinez fehlen als Ramiro Power, Glanz und Aura

Pablo Martinez als Ramiro erreicht dieses sängerische und darstellerische Intensitätsniveau leider nicht. Dass er seinen Tenor nicht zum Stierkampf schickt, sondern mit feinem, hellem und flexiblem Wohlklang füllt, ist begrüßenswert – so erwartet man es von den lateinamerikanischen Belcanto-Stimmen unserer Tage. Aber es fehlt an Power, Raum, Glanz und Legato-Aura – wenn Martinez etwas von „Rache“ singt, nimmt man ihm das einfach nicht ab. Glatt überfordert hingegen wirkte Christoph Seidl als Alidoro.

Einnehmend aber alle anderen Solisten: Jennifer Zein und Charlotte Quadt als exaltiert-fiese Grafentöchter, Wolfgang Stefan Schwaiger als eleganter Diener Dandini, Omar Montanari als Don Magnifico – ein in Timbre und Ausstrahlung mit allen Wassern gewaschener Buffa-Bariton. Der Männerchor kommt opulent, wenngleich einzelne Stimmen herausfallen.

Das Gürzenich-Orchester legt unter dem italienischen Gastdirigenten Matteo Beltrami eine bemerkenswerte Agilität, Spritzigkeit und rhythmische Prägnanz an den Tag. Den Klangkern liefert das Streicher-Brio, auf das die einzelnen Bläser ihre Glanzlichter setzen. Diese Leistung ist zumal angesichts der Tatsache zu loben, dass die trockene Akustik falsche Töne (von denen es immer noch einige gab) gnadenlos aufdeckt. Darunter geht es freilich auch nicht: Bei mäßiger Performance büßt Rossinis Maschinenmusik jeden Reiz ein. Einhelliger Beifall für eine insgesamt erfreuliche Jahresend-Produktion.

Nächste Aufführungen: 21., 23., 25., 27., 29., 31. Dezember