Die Uraufführung von Frank Pescis „The Strangers“ an der Oper Köln kann nicht überzeugen, aber zumindest die Sänger sind gut.
„The Strangers“ an der Kölner OperDünne Partitur, schnulziges Libretto
Das Gute vorweg: die Sängerinnen und Sänger agieren szenisch und musikalisch ausgezeichnet; zudem macht die Regie das Beste aus Frank Pescis dünner Partitur und Andrew Altenbachs schnulzigem Libretto. Maria Lamont inszeniert die Uraufführung von „The Strangers“ im Staatenhaus auf mobilen Podesten von Bühnenbildner Luis Carvalho.
Um das zentral platzierte sechzehnköpfige Instrumentalensemble unter Leitung von Harry Ogg bilden sich immer wieder neue Bühneninseln, sodass das im Kreis sitzende Publikum die Akteure mal von ferne, mal aus unmittelbarer Nähe mit aller Mimik, Varianz und Kraft der Stimmen erlebt. Das ist eindrücklich.
Die aktuelle Brisanz erschließt sich nicht
Der Stoff der Oper ist hochaktuell, doch das englischsprachige Libretto mit all seinen abgegriffenen Romantizismen und Metaphern unsäglich, zumindest in deutscher Übersetzung. Im Jahr 1890 führte in New Orleans der Mord am Polizeichef zur Lynchjustiz an sizilianischen Einwanderern. Diese waren zuvor systematisch als dreckiges Ungeziefer diffamiert worden, das Jobs wegnimmt, sich wie Karnickel vermehrt und die angloamerikanische Mehrheitsgesellschaft überfremdet.
Alles zum Thema Oper Köln
- „Orlando“-Premiere in Köln Spiegelbilder ohne Tiefenschärfe
- Was in der Region bemängelt wird Kölner Oper zählt zu den Stammkunden im Schwarzbuch
- Eine „Tragödie“ Bund der Steuerzahler prangert Steuergeld-Verschwendung in Köln und Region an
- Kölner „Elektra“-Premiere Oper als blutige Apokalypse
- Haydns „Schöpfung“ an der Oper Köln Irgendwann wird es auch Satan zu viel
- Budget um 90 Millionen erhöht Kölner Stadtrat gibt erneut Aufklärung des Bühnen-Desasters in Auftrag
- Satirischer Wochenrückblick Der kölsche Banksy
Die damals geschürten Ängste gleichen der Xenophobie, mit der heutige Politiker in den USA, Europa und Deutschland wieder Wahlen gewinnen möchten. Diese aktuelle Brisanz erschließt sich jedoch nicht, weil es Komponist und Librettist an dramaturgischem Instinkt mangelt.
Die zentrale Konfliktlinie zwischen Bürgerschaft und neu eingewanderten Sizilianern wird ständig durch Privatgefühle, Liebes- und Klagelieder unterbrochen, die weder ergreifen noch die Handlung kommentieren oder vorantreiben. Emily Hindrichs und John Heuzenroeder können als sizilianisches Paar noch so schön singen, doch alle Linien zerfließen zu ewigen Ariosi ohne Melodie, Prägnanz und emotionale Kraft.
Wechselnde Instrumentation, Dynamik und Tempi schaffen immerhin etwas Varianz an Stimmungen: träumendes Vibraphon, lamentierende Streicher, zackige Bläser, jazzig synkopierte Figuren, Anklänge an Hymnen und Ragtime.
Manches wirkt unfreiwillig komisch
Manches wirkt regelrecht widersinnig oder unfreiwillig komisch. Ausgerechnet Free-Jazz-Elemente erklingen zur Szene im Gefängnis. Ein Traum des rassistischen Polizeioberen (Martin Koch), der alle Sizilianer auf offener See zu versenken wünscht, verdämmert in belanglosem Vibraphon-Geklingel.
Und die mit Choral und Weihrauch gefeierte Beisetzung des Polizeichefs (Miljenko Turk) artet plötzlich zur wilden Zombie-Parade aus, deren Lärmen und Gospels das biedere Gleichmaß zwar endlich durchbrechen, als surreale Einlage aber unmotiviert bleiben. Ungenutzt blieb auch die Möglichkeit der beweglichen Bühnenelemente zu spannungsvollen Simultanszenen: etwa hetzende Polizei versus verängstigte Italiener.
Das Stück des 1974 in Washington geborenen Komponisten ähnelt in Plot und angestrebter Verbindung von Klassik und Jazz Leonard Bernsteins „Westside Story“. Doch mit dem packenden Musical kann sich diese zwei Stunden lange dröge plätschernde Musik nicht messen. Schließlich vermengt ein matter Schlusschor Täter und Opfer durch pseudopoetisch verschwurbelte Verharmlosung: „Ebbe und Flut, Lichter hell, Lichter dunkel, Macht kommt, Macht geht“. Den beschworenen Aktualitätsbezug hat man da ohnehin längst aus Augen und Ohren verloren.
Immerhin sah man zu Beginn die historischen Hauptfiguren wie im Museum ausgestellt und von heutigen Menschen besichtigt, die anschließend zur Bürgerschaft und den Sizilianern von New Orleans des Jahres 1890 wurden. Doch am Ende werden die Protagonisten wieder in die Museumsvitrinen einsortiert, wie singende Wachsfiguren.
Stückbrief
Musikalische Leitung: Harry Ogg
Inszenierung: Maria Lamont
Bühne/Kostüme: Luis F. Carvalho
Dramaturgie: Stephen Steinmetz, Svenja Gottsmann
Darstellerinnen und Darsteller: Emily Hindrichs, John Heuzenroeder, Miljenko Turk, Regina Richter, Martin Koch, David Howes, Dalia Schaechter, Maria Koroleva, Adriana Bastidas-Gamboa
Nächste Aufführungen: 04., 06., 12., 14. und 15. Oktober