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Dramatische Lage an SchulenLehrer haben die Belastungsgrenze erreicht

Lesezeit 4 Minuten
Schule NRW Corona 291020

Ein Klassenraum mit geöffneten Fenstern (Archivbild)

Köln/Düsseldorf – Als am späten Freitagvormittag die Nachricht über die Schulen in Nordrhein-Westfalen hereinbricht, dass die Präsenzpflicht für Schülerinnen und Schüler schon ab kommendem Montag vorerst ausgesetzt werde, ist das Chaos am Gymnasium Kreuzgasse in Köln-Ehrenfeld groß. Das Schulgebäude verfügt nur über eine Klingel aus den 50er-Jahren und so laufen Lehrkräfte von Klassenzimmer zu Klassenzimmer, um die fast 1 000 Schüler über den Beschluss zu informieren. Auch am Gymnasium Thusneldastraße in Köln-Deutz schlägt die Nachricht überraschend ein: Noch am Morgen hatte Schulleiter André Szymkowiak seiner Klasse versichert, die Landesregierung werde so schnell nicht von ihrem Kurs abweichen, die Schulen offen zu halten. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell. Nun stehen die Schulen vor der Herausforderung, ihren Schülern binnen kürzester Zeit Hybridunterricht zu ermöglichen. Eine Lösung, die viele lange gefordert hatten, die Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) trotz der dramatisch steigenden Infektionszahlen im Land aber bis zuletzt ausschloss.

Dramatischer Anstieg der Infektionszahlen

Auch die Zahl der Corona-Infektionen bei den Lehrkräften in NRW ist seit Anfang Oktober dramatisch anstiegen. Aus Angaben des NRW-Schulministeriums geht hervor, dass sich die Zahl der Infizierten zum Stichtag 12. Dezember vervierfacht hat. 2 611 Pädagogen befinden sich in Quarantäne, bei 632 wurde Covid-19 nachgewiesen. Politik und Lehrerverbände befürchten, dass es angesichts der Lockdown-Regelungen zu einer Überlastung kommt. „Wieder einmal stellt die kurzfristige Ankündigung über die Aufhebung der Präsenzpflicht und die Umstellung auf den Distanzunterricht die Schulen und die Familien vor immense Herausforderungen“, sagte Stefan Behlau, Landesvorsitzender der Bildungsgewerkschaft VBE, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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Die Lehrkräfte seien zerrissen zwischen der Verantwortung und der Sorge, die sie um die Gesundheit und die Bildung ihrer Schülerinnen und Schüler hätten, sowie der Sorge um ihre eigene Familie. „Denn in den Schulen passiert, was eigentlich woanders nicht erlaubt ist: Auf engstem Raum trifft sich eine Unzahl an Menschen“, sagte Behlau. Vor allem an den Grundschulen ist oft zu wenig Platz vorhanden, um die vorgeschriebenen Mindestabstände einzuhalten. Dort kennen die jüngeren Schüler zudem häufig die Hygieneregeln nicht. Das geht aus einer Umfrage des NRW Schulministeriums zum Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen vom 2. Dezember hervor, die unserer Zeitung vorliegt. „Die Lehrkräfte stehen aktuell unter einer enormen Belastung“, erklärte Sigrid Beer, schulpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. Das gelte vor allem „für Kollegien an Schulen in herausfordernden Lagen“. Lehrer müssten oftmals auch die Aufgabe der Kontaktverfolgung für die überlasteten Gesundheitsämter übernehmen. Viele seien besorgt, „über Weihnachten komplett in Quarantäne zu sitzen – isoliert sogar von den Familienmitgliedern, mit denen sie zusammenleben“, so Beer.

Alles zum Thema Jochen Ott

Kritik an Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP)

Sven Christoffer, Vorsitzender des Verbands LehrerNRW, erklärte, es räche sich nun, dass der Digitalisierungsprozess in den vergangenen Jahren verschlafen worden sei. Die Lehrkräfte würden daher unter schwierigsten Bedingungen und unter Inkaufnahme eigener gesundheitlicher Risiken am Limit arbeiten. „Ich würde mir wünschen, dass dieser Einsatz in der Öffentlichkeit mehr gewürdigt würde“, sagte der Realschullehrer unserer Zeitung. Auch Andreas Niessen, Schulleiter der Heliosschule in Köln-Ehrenfeld findet: „Die Belastung der Lehrkräfte kommt in der öffentlichen Debatte kaum vor.“

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Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierte, die schwarz-gelbe Landesregierung habe es im Sommer und Herbst verpasst, wirksame Konzepte zu entwickeln. Stattdessen sei den Schulen verboten worden, „konstruktiv und verantwortungsvoll“ mit der Pandemie umzugehen. „Glücklicherweise gibt es aber engagierte Schulleitungen und Lehrkräfte, die die Situation vor Ort super im Griff haben“, ergänzte Jochen Ott, schulpolitscher Sprecher der SPD im Landtag. Das gelte „insbesondere auch für Schulen in Stadtteilen mit besonderen Herausforderungen“.

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer wies die Vorwürfe zurück. „Die Aufrechterhaltung des Präsenzbetriebs war erfolgreich, richtig und wichtig, um in den vergangenen Monaten Bildungschancen von Millionen Schülerinnen und Schülern zu sichern“, sagte die FDP-Politikerin unserer Zeitung. „Ich unterstütze jede Maßnahme, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes notwendig und ist und Chancen auf Bildung und Aufstieg ermöglicht“, fügte Gebauer hinzu.