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Wahlkrimi im Landtag drohtAbweichler könnten Hendrik Wüst den Triumph verhageln

Lesezeit 6 Minuten

Verkehrsminister Hendrik Wüst will Nachfolger von Armin Laschet als Ministerpräsident werden.

Düsseldorf – Zum Abendessen in der Hotel-Residence „Klosterpforte“ gab es Steinpilzravioli, Roastbeef und Lachs. Die 28 Abgeordneten der FDP-Fraktion lauschten dem Dinner-Speaker, der aus Düsseldorf angereist war. Hendrik Wüst machte der Runde bei der Klausurtagung der Liberalen im ostwestfälischen Harsewinkel seine Aufwartung.

Es habe langen Beifall für die Rede des neuen CDU-Vorsitzenden gegeben, in der er für die Fortsetzung der Zusammenarbeit von CDU und FDP warb, berichten Teilnehmer. Sollte es unter den Liberalen Kritiker des Noch-Verkehrsministers geben, so hätten sich diese gut getarnt, hieß es.

Die Spannung ist greifbar. Im politischen Düsseldorf gibt es seit Tagen nur noch ein Thema. Kommt Hendrik Wüst bei der Wahl zum Ministerpräsidenten glatt durch? Oder verhageln ihm Abweichler aus den eigenen Reihen den von langer Hand geplanten Karrieresprung? Die Koalition von CDU und FDP verfügt nur über die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Wüst hatte sich in seiner politischen Vergangenheit als Vertreter des konservativen Wirtschaftsflügels profiliert und war nicht zuletzt wegen seiner oft schneidigen Art mit Parteifreunden aneinandergeraten.

Angst vor Racheakten gegen Wüst

Bei der Suche nach einem Nachfolger für den früheren NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet hatten prominente CDU-Mitglieder vor der Gefahr möglicher Racheakte gegen Wüst gewarnt. Zu den ranghohen Kritikern gehörte bis zum Herbst auch CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen, der die Geschlossenheit der Koalitionsabgeordneten in Frage stellte. Die dramatische Wahlschlappe von Laschet bei der Bundestagswahl und der damit verbundene Ruf nach Einigkeit überlagerte aber die Bedenken.

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Schließlich ist der Münsterländer der einzige Bewerber, der über das von der Landesverfassung geforderte Landtagsmandat verfügt, um Ministerpräsident werden zu können. „Jetzt heißt es Augen zu und durch“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands. „Man muss mit den Ochsen Pflügen, die man hat.“

Spekulation über abtrünnige Liberale

Bei einem Medientreff in der Landeshauptstadt wurde von FDP-Politikern in dieser Woche über zwei mögliche Abweichler in den eigenen Reihen spekuliert. Die Nein-Stimmen würden aber wahrscheinlich nicht ins Gewicht fallen, weil mit der Unterstützung von drei früheren AfD-Politikern zu rechnen sei, die derzeit als Fraktionslose im Landtag sitzen, wurde getuschelt. Diese hätten Interesse an einem Durchkommen Wüsts, würden sie doch bei Neuwahlen ihre lukrativen Mandate verlieren, hieß es.

Die 13 verbliebenen AfD-Politiker wollen Wüst dagegen angeblich nicht unterstützen. „Die AfD-Fraktion versteht sich nicht als Steigbügelhalter von Hendrik Wüst und wird daher mit Nein stimmen", sagte AfD-Fraktionschef Markus Wagner dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Auch Neuwahlen sind möglich

Wahlkrimi in Düsseldorf: Sollte Wüst die erforderliche Mehrheit von 100 Stimmen verfehlen, wird die Landtagssitzung aller Voraussicht nach unterbrochen. CDU und FDP müssten beraten, wie es weitergehen soll. Dann stehen die Zeichen möglicherweise auf Neuwahlen. Denn: Eine Mehrheit im zweiten Wahlgang käme wohl nur mit Unterstützung der AfD beziehungsweise der Fraktionslosen zu Stande. Diesen Imageschaden wird Wüst, so glauben viele, nicht riskieren.

Vielleicht, und das halten die meisten Beobachter für die wahrscheinlichere Variante, stellen die Wüst-Kritiker bei CDU und FDP aber ihre Bedenken zurück und sorgen dafür, dass alles glatt läuft. Dann wäre Wüst, der 46 Jahre alt ist, der jüngste Ministerpräsident in der Landesgeschichte von NRW.

Wüst soll Amtsbonus erhalten

Bei einem Empfang des Landtagspräsidenten werden die Koalitionäre in diesem Fall voller Erleichterung auf den Fortbestand der schwarz-gelben Landesregierung bis zur Landtagswahl anstoßen.

Oberstes Ziel der CDU ist es, in der kurzen Zeit bis zum 15. Mai 2022 einen Amtsbonus für Hendrik Wüst zu schaffen. Dabei setzen die Planer in der Düsseldorfer Parteizentrale vor allem auf zwei Themen, bei denen dem Familienvater eine besondere Glaubwürdigkeit zugerechnet wird: Dem Kinderschutz und der Hilfe für junge Familien beim Erwerb von Eigentum. Außerdem wird darüber nachgedacht, wie man die von den hohen Energiepreisen betroffenen Berufspendlern in NRW entlasten kann.

Kinderschutzgesetz in Planung

Das Kinderschutzgesetz soll die Erkenntnisse bündeln, die durch die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale von Münster, Lügde und Bergisch Gladbach gewonnen wurden. Das Land soll künftig mehr Möglichkeiten erhalten, um die Arbeit der 186 Jugendämter in NRW besser kontrollieren zu können. Das Thema Kinderschutz soll zudem in der Aus- und Weiterbildung von Erzieherinnen eine zentrale Rolle spielen. Auch Polizei und Justiz sollen besser für den Umgang mit Verdachtsfällen geschult werden.

Die Schussfolgerunen aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses, der sich seit Sommer 2019 mit den Missbrauchsskandalen in NRW befasst, sollen ebenfalls in den Gesetzentwurf einfließen. Ziel sei es, das Kinderschutzgesetz bis zum Frühjahr 2022 zu verabschieden, heißt es in CDU-Kreisen.

Hilfe für junge Familien

Die Unterstützung von jungen Familien beim Immobilienerwerb steht seit langem auf der Agenda der schwarz-gelben NRW-Koalition. Nachdem der Plan, eine Senkung der Grunderwerbssteuer für den Kauf einer ersten, selbstgenutzten Immobilie bundeseinheitlich in einer Bundesregierung unter Führung der CDU zu regeln, geplatzt ist, will die CDU das Thema in eigener Zuständigkeit lösen. Ein Freibetragsmodell soll jungen Familien, bei denen das Eigenkapital knapp ist, den Traum vom Eigenheim ermöglichen.

Zu den Themen, die Wüst abarbeiten muss, zählt auch die Einigung mit der FDP über das Versammlungsgesetz. Das Gesetz soll ein Verbot von militantem Auftreten, etwa durch uniformes Aufmarschieren rechts- und linksextremer Gruppierungen, ermöglichen. Die Liberalen lehnen die Ausweitung bestimmter polizeilicher Befugnisse, wie zum Beispiel die Erlaubnis für verdeckte Bild- und Tonaufnahmen, aber bislang ab.

Entscheidung über Maskenpflicht an Schulen

Auch die Entwicklung der Pandemie wird Wüst in Atem halten. Die Landesregierung will in dieser Woche darüber entscheiden, ob die Maskenpflicht an den Schulen gelockert wird. Wüst hatte sich vor einigen Tagen zurückhaltend gezeigt. Der Gesundheitsschutz habe oberste Priorität, stellte der Volljurist klar.

Im Kampf gegen die Staus und beim Ausbau der Infrasruktur wird Wüst seinen Kurs als NRW-Verkehrsminister fortsetzen. Eine spürbare Entlastung der Autofahrer ist aber in den kommenden Jahren noch nicht in Sicht. Wegen der vermehrten Bautätigkeit nahm die Staulänge vor Ausbruch der Pandemie sogar um elf Prozent zu. Laut ADAC steckten die Menschen in NRW im Jahr 2019 rund 171.000 Stunden im stockenden Verkehr fest.

Mehr Tempo beim Klimaschutz

Für den Erfolg bei den jungen Wählerinnen und Wählern wird von Wüst eine stärkere Profilierung beim Thema Klimaschutz erwartet. In der CDU denkt man offenbar jetzt darüber nach, das Abstandsgebot zwischen Wohnbebauung und Windrädern zu verringern, um den Ausbau der Windenergie forcieren zu können. Als Verkehrsminister hatte Wüst bei der Förderung des Baus von Radwegen versucht, sich einen grünen Anstrich zu geben.

Laschet ist bei der Wahl mit dabei

Der Showdown für die Ministerpräsidentenwahl beginnt am Mittwoch um 13 Uhr. Erster Tagesordnungspunkt der Sondersitzung ist die offizielle Verabschiedung von Armin Laschet. Der unterlegene Kanzlerkandidat der Union hatte am Montag beim Landtagspräsidenten bereits seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklärt. Als einfacher Landtagsabgeordneter kann er Wüst aber noch mitwählen. Ohne Laschets Unterstützung käme die Mehrheit für seinen Nachfolger nicht zu Stande.