Düsseldorf – Der Auftritt war wichtig. Die ersten Bilder des designierten CDU-Vorsitzenden Hendrik Wüst sollten Geschlossenheit symbolisieren. Die gesamte Fraktion der Christdemokraten hatte sich am Dienstagabend hinter dem Rednerpult von Wüst versammelt, als dieser im Landtag vor die Mikrofone trat. Der Münsterländer wirkte angespannt und demütig. „Die NRW-CDU ist ein starkes Team. Und sie wird ein starkes Team bleiben“, sagte Wüst mit belegter Stimme. „Ich verspreche, mich mit ganzer Kraft in den Dienst des Lands zu stellen. Dafür werbe ich um ihr Vertrauen.“
Der Düsseldorfer Landtag, Dienstagabend, kurz vor 19 Uhr. Soeben hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet den Verkehrsminister vor der Presse als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Die Proklamation war keine große Überraschung. Wüst galt als klarer Favorit. Der 46-Jährige verfügt als einziger Interessent über das nötige Landtagsmandat, um vor Ablauf der Legislaturperiode zum Ministerpräsidenten gewählt werden zu können. Seine Mitbewerber, NRW-Innenmister Herbert Reul und Bauministerin Ina Scharrenbach, hätten nur über den Umweg von Interimslösungen oder Neuwahlen ins Amt gelangen können.
Laschet konnte Reul und Scharrenbach überzeugen
„Eine monatelange Hängepartie wäre aber Harakiri gewesen“, heißt es in Düsseldorfer Regierungskreisen. Davon konnte Laschet am Ende wohl auch Reul und Scharrenbach überzeugen. Ein Mitglied des Landesvorstands sagte augenzwinkernd: „Man muss mit den Ochsen pflügen, die man hat.“ Dem Ministerpräsidenten war es offenbar gelungen, die Mitbewerber auf eine Konsens-Lösung einzuschwören. Die NRW-CDU dürfe die Fehler der Bundes-CDU nicht wiederholen, hieß es. Der monatelange Prozess bei der Suche nach Parteichef und Kanzlerkandidat habe die Partei zermürbt.
Wüst hatte sich in den vergangenen Wochen mit öffentlichen Äußerungen bewusst zurückgehalten. Im CDU-Landesvorstand und in der Fraktion überließ er seinen Fürsprechern die Bühne. Nicht aus Höflichkeit, sondern aus taktischem Kalkül. Der 46-Jährige wollte seine Gegner wohl nicht unnötig provozieren.
Wüst begegnet den Menschen meist freundlich und hält auch schon mal mit den Oppositionspolitikern auf den Landtagsfluren einen Plausch. Er wirkt stets seriös und akkurat, radelt gerne mit dem Zweirad zum Landtag. Der gut sitzende Anzug mit modisch abgestimmter Krawatte ist im Dienst sein Markenzeichen. Früher wurde er von SPD und Grünen als „Peek-und-Cloppenburg-Model“ verulkt. In der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers war Wüst für sie als „Scharfmacher“ der Prototyp eines jungen Neoliberalen.
Wüst war 2005 zum CDU-Generalsekretär geworden
Wer dem Wüst von heute gerecht werden will, der muss zunächst den „alten Wüst“ vorstellen. 2005 war der damalige Chef der Jungen Union nach dem Wahlsieg von Rüttgers überraschend zum CDU-Generalsekretär befördert worden. Mit seiner forschen Art („Ich riskiere auch schon einmal eine schlechte Überschrift, wenn ich mir in der Sache sicher bin“) eckte er aber auch in den eigenen Reihen an.
So forderte er Arbeitslose auf, Hundekot, Drogenspritzen und Glasscherben auf Kinderspielplätzen aufzusammeln. Wüst, der schon mit 16 Jahren seinen Jagdschein gemacht hat, verstand sich als Chef der „Abteilung Attacke “. So ging er die damalige Oppositionsführerin Hannelore Kraft mit einer „Kraftilanti“-Kampagne hart an. Darin wurde Kraft unterstellt, sie plane ein Rot-Rot-Grünes Linksbündnis. Gemeinsam mit dem damaligen CSU-Generalsekretär Markus Söder verfasste er ein Positionspapier zur Zukunft des „modernen Konservatismus“, Titel: „Warum die CDU wieder mehr an ihre Wurzeln denken muss.“
Zum Ende der Legislaturperiode sorgte Wüst durch eigene Fehler für schlechte Schlagzeilen. So kam ans Licht, dass er vom Land überhöhte Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung bekommen hatte. Die „Rent-a-Rüttgers“-Affäre sorgt bis heute für Kopfschütteln in der NRW-CDU. Kurz vor der Landtagswahl 2010 kam heraus, dass die CDU versucht hatte, sich Auftritte des damaligen Regierungschefs bei Firmenständen am Rande des CDU-Parteitags versilbern zu lassen. Wüst trat zurück.
Wenige Wochen später ging die Landtagswahl 2010 für die CDU verloren. Viele in der Partei gaben Wüst eine Mitschuld an der schmerzhaften Niederlage. Der Ex-Generalsekretär akzeptierte die Rolle des Sündenbocks, zog sich aus der ersten Reihe zurück und begab sich – wie er selbst formulierte – in ein „Abklingbecken“. Der Münsterländer konzentrierte sich auf eine neue Aufgabe als Geschäftsführer des Landesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger. Als Armin Laschet die Landtagswahl 2017 knapp gewann, wurde Wüst zu seiner eigenen Überraschung ins Kabinett berufen. Laschet überantwortete ihm das vergleichsweise kleine Verkehrsministerium – wohl auch, um mit dem Wirtschaftsmann einen potenziellen Kritiker in die Kabinettsdisziplin einzubinden.
Wüst als Verkehrsminister gereift
Als Verkehrsminister zeigte sich Wüst gereift und gab sich fortschrittlich. Er wollte die Mobilitätswende nicht den Grünen überlassen, baute das Radschnellwegnetz aus und brachte ein Fahrradgesetz auf den Weg – ohne die Autofahrer gegen sich aufzubringen. „Früher war Wüst mit dem Image behaftet, ein junger Konservativer zu sein“, sagte Eckhard Uhlenberg, früherer NRW-Umweltminister der CDU, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Jetzt sei er „viel breiter aufgestellt“. „Als Hendrik Wüst 2005 zum Generalsekretär berufen wurde, war er noch sehr jung, vielleicht zu jung. Er hat damals auch die Verantwortung für Fehler übernommen, die nicht auf seine Kappe gegangen sind. Das muss man ihm anrechnen“, sagte Uhlenberg.
Der ehemalige Heißsporn habe gelernt und sei ruhiger geworden, heißt es in der CDU. Das liege wohl auch daran, dass der Volljurist geheiratet habe und Vater einer kleinen Tochter geworden sei. Die junge Familie lebt in Wüsts Heimatort Rhede, wo er als 15-Jähriger mit Freunden die Junge Union gegründet hatte, in einem Einfamilienhaus.
Der Münsterländer wird von der Mittelstandsvereinigung MIT, deren Vorsitzender er ist, der Jungen Union, der Arbeitnehmerbewegung CDA und von der CDU-Landtagsfraktion unterstützt. Wüst pflegt ein gutes Verhältnis zu den CDU-Landtagsabgeordneten. „Das kommt gut an. In der Fraktion beliebt zu sein, gelingt nicht jedem Minister automatisch“, sagte Uhlenberg. Wüst nun als Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vorzuschlagen, sei „logisch, gut und richtig“.
So stehen jetzt weitere große Entscheidungen an: Beim Landesparteitag geht es für den Verkehrsminister darum, von den Delegierten als neuer CDU-Chef bestätigt zu werden. Kurz darauf könnte er Ministerpräsident werden – wenn der Landtag Wüst wählt. Die schwarz-gelbe Koalition verfügt im Parlament nur über eine Ein-Stimmen-Mehrheit. Ein Risiko, dem die CDU nicht ausweichen will. „Es ist wichtig, dass Wüst mit einem Amtsbonus in die Landtagswahl ziehen kann“, sagte Eckhard Uhlenberg. „Je früher er den Menschen zeigen kann, was er draufhat, umso besser für die CDU.“