In einem Gefangenenaustausch kommen Deutsche und Kremlkritiker frei. Während Medwedew droht, empfängt Putin den „Tiergartenmörder“.
Große Freude am FlughafenScholz empfängt Freigelassene in Köln – Putin umarmt Tiergartenmörder
Russland und der Westen haben einen spektakulären Gefangenenaustausch vereinbart, das bestätigte die Bundesregierung am Donnerstag. Unter den von Russland Freigelassenen befinden sich auch fünf deutsche Staatsbürger, darunter der einstige Kölner Jurist German Moyzhes. Die Rückkehrer sind am Donnerstagabend am Flughafen Köln/Bonn eingetroffen, zwei Flugzeuge mit Freigelassenen landeten kurz nach 23 Uhr in Köln. Olaf Scholz unterbrach seinen Urlaub und war am Flughafen vor Ort, um die Rückkehrer zu empfangen.
„Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht“, erklärte der Bundeskanzler mit Blick auf den sogenannten Tiergartenmörder Wadim K., der als Teil des Deals aus der Haft kam. In diesem Fall habe das staatliche Interesse an der Vollstreckung der Strafe abgewogen werden müssen „mit der Freiheitsgefahr für Leib und in einigen Fällen auch des Lebens unschuldig in Russland inhaftierter Personen und zu Unrecht politischen Inhaftierter“.
Olaf Scholz: „Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht“
Für die Bundesregierung sei entscheidend gewesen, „dass wir eine Schutzverpflichtung haben gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie auch die Solidarität mit den USA“, erklärte Scholz. Die Umsetzung sei „durch ein vom Generalbundesanwalt verfügtes Absehen von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe und anschließender Abschiebung“ erfolgt, so der Kanzler.
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Russland und mehrere westliche Länder haben bei dem Gefangenenaustausch 26 Männer und Frauen freigelassen. Im Gegenzug für eine Überstellung des sogenannten Tiergartenmörders aus Deutschland und weiterer neun in den USA, Norwegen, Polen und Slowenien bisher festgehaltener Personen kamen 16 westliche Staatsbürger und russische Oppositionelle frei.
Menschentraube am Flughafen Köln/Bonn: „Das ist ein Feiertag für uns“
Eine Stunde bevor der Flieger landete, versammelt sich in Köln bereits eine Menschentraube vor dem Zaun des militärischen Flughafens: Unterstützer der russischen Opposition, die die Gefangenen hier auf deutschem Boden begrüßen wollen. Dutzende sind schon da, einige weitere laufen auf die Gruppe zu, mit Regencapes, Schildern und Blumen.
„Das ist ein Feiertag für uns“, sagt Anastasia Hendzelewski. Sie hält Willkommensschild und Regenschirm in einer Hand, einen Strauß gelber Blumen in der anderen. In der Hektik hatte sie kurzerhand die Blumen aus der Vase in ihrer Wohnung eingesteckt – Zeit, neue zu kaufen, war nicht. „Es macht mir Hoffnung, dass das Putin-Regime irgendwann besiegt wird.“
Neben ihr hat sich Walerian Dunin-Barkowski auf den Straßenrand gestellt, eine Cap mit dem Logo der Organisation „Freies Russland NRW“ auf den nassen Haaren. In den letzten Wochen habe er viele Gerüchte gehört, dass russische Gefangene freikommen, sagt er. Sie ganz zu glauben, traute er sich nicht. „Wir sind sehr dankbar, dass dieser Deal zustande kam“, sagt er. „Es war ein harter Handel, aber ich bin froh, dass Russen, die für die Freiheit kämpften, nun selbst frei sind.“
Spektakulärer Gefangenenaustausch: Kölner Anwalt kommt frei
Unter den von Russland und dem verbündeten Belarus Freigelassenen sind fünf Deutsche, drei US-Bürger, eine Person mit US-Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis (Green Card) und sieben Russen, hieß es in einer Mitteilung aus dem Weißen Haus in Washington. Der Austausch fand am Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara statt. Unter den freigelassenen Russen waren laut türkischen Angaben prominente Kremlgegner wie Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin.
Bei einem der Deutschen handelt es sich um Rico K., der in Belarus zuerst wegen angeblicher Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag zum Tode verurteilt und dann begnadigt wurde. Russland übergab den USA unter anderem den wegen Spionage verurteilten Korrespondenten des „Wall Street Journal“, Evan Gershkovich, und den ehemaligen Soldaten Paul Whelan.
In Belarus inhaftierter Deutscher Rico K. Teil von Gefangenenaustausch
Auch German Moyzhes, ein ehemals in Köln als Anwalt tätiger Deutsch-Russe, kam nach Angaben der „Jüdischen Allgemeinen“ bei dem Gefangenenaustausch frei. Noch am Flughafen in Ankara habe er seine Familie kontaktiert, hieß es. Anfang Mai war Moyzhes in St. Petersburg inhaftiert worden, ihm wurde „Landesverrat“ vorgeworfen. Der deutsch-russische Jude war im Kölner Gemeinderat aktiv, zog vor wenigen Jahren jedoch zurück nach St. Petersburg.
Der in Belarus zum Tode verurteilte Deutsche Rico K., der von Diktator Alexander Lukaschenko am Mittwoch begnadigt worden war, ist ebenfalls unter den Rückkehrern. „Wir haben die Freilassung von 16 Personen aus Russland ausgehandelt, darunter fünf Deutsche und sieben russische Staatsbürger, die in ihrem eigenen Land politische Gefangene waren.“
Putin begrüßt „Tiergartenmörder “mit Handschlag und Umarmung
Insbesondere die Freilassung von Wladimir Kara-Mursa ist bemerkenswert. Der 42-Jährige, der nach Giftattacken gesundheitlich schwer angeschlagen ist, war zu 25 Jahren Haft verurteilt worden. Nach dem Tod von Alexej Nawalny gilt Kara-Mursa als der prominenteste Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der Oppositionelle ist ein Weggefährte des 2015 in Moskau erschossenen Kremlkritikers Boris Nemzow.
Der Kreml verweigerte zunächst lange einen Kommentar. Am Abend begnadigte Präsident Wladimir Putin schließlich die ausgetauschten Gefangenen und nahm sie dann persönlich am Flughafen in Moskau in Empfang. Tiergartenmörder Wadim K. begrüßte der Kremlchef mit Handschlag und Umarmung.
Drohungen aus Russland nach Gefangenenaustausch
Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew drohte nach dem Gefangenenaustausch derweil den Freigelassenen und bezeichnete sie bei Telegram als „Verräter Russlands“. Es sei jedoch „sinnvoller, unsere eigenen Leute herauszuholen, die für das Land, für das Vaterland, für uns alle gearbeitet haben“, fügte der enge Vertraute von Putin an.
Der heutige Vize-Vorsitzende des russischen Nationalen Sicherheitsrats empfahl den „Verrätern“ zudem, sich neue Namen zuzulegen und sich „aktiv im Rahmen des Zeugenschutzprogramms zu tarnen“. Damit deutete er an, dass Moskau die freigelassenen Kremlkritiker im Ausland verfolgen könnte.
Joe Biden: „Ich bin dem Bundeskanzler zu großem Dank verpflichtet“
„Ich bin vor allem dem Bundeskanzler zu großem Dank verpflichtet“, sagte unterdessen US-Präsident Biden bei einer Ansprache im Weißen Haus in Washington. Angesichts der Forderungen aus Russland habe er „erhebliche Zugeständnisse“ von Deutschland erbitten müssen. Ursprünglich habe Deutschland diese „wegen der fraglichen Person“ nicht erfüllen können. Doch am Ende habe Deutschland seinen Beitrag geleistet, ebenso wie mehrere andere Länder, die an den Verhandlungen beteiligt gewesen seien.
Bei der „fraglichen Person“ handelt es sich um den sogenannten Tiergartenmörder. Kremlchef Wladimir Putin hatte immer wieder besonderes Interesse an dem in Deutschland inhaftierten Russen erkennen lassen, der wegen eines Mordes an einem Exil-Tschetschenen im Kleinen Tiergarten in Berlin verurteilt worden war. Wadim K. soll die Tat im Auftrag staatlicher russischer Stellen verübt haben.
Prominente Gefangene in Russland aus Haftanstalten verlegt
Man habe sich „diese Entscheidung nicht leicht gemacht“, hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Nachmittag in Berlin bereits erklärt. Denn im Gegenzug hätten auch in Europa verurteilte russische Staatsangehörige freigelassen werden müssen, darunter auch K.
Der Gefangenenaustausch hatte sich in den letzten Tagen bereits angedeutet. Mehrere in Russland inhaftierte Oppositionelle wurden aus ihren bisherigen Haftanstalten verlegt, darunter auch Kara-Mursa. Die Verlegung mehrerer bekannter Gefängnisinsassen zur gleichen Zeit gilt in Russland als extrem selten. Die Vorgänge hatten deshalb die Spekulationen über einen großangelegten Gefangenenaustausch ausgelöst, diese haben sich nun bestätigt. (mit dpa)