Viele Gebäude an den Flussufern sind völlig zerstört. Sollen Sie dort wieder aufgebaut werden – oder raten Sie zur Umsiedlung?
Scharrenbach: Das hängt immer vom Einzelfall ab. Man muss sich das vor Ort anschauen und dann entscheiden. Man würde den betroffenen Familien nicht gerecht, wenn man eine pauschale Antwort geben würde. Ich kann gut verstehen, dass Menschen ihre Heimat trotz des Risikos, dass es erneut zu einer schweren Flut kommt, nicht verlassen wollen. Wenn völlig zerstörte Gebäude an alter Stelle wieder neu errichtet werden sollen, müssen sie jedenfalls besser gegen künftige Hochwasser gewappnet werden. Am Ende können wir die Menschen aber nur mit einem Gesamtkonzept für den Hochwasserschutz schützen.
Viele Flüsse, die jetzt massive Probleme bereitet haben, sind aber schon renaturiert und verfügen über Überflutungsflächen…
Das stimmt, viele Gemeinden haben in Folge von Starkregenereignissen wie zum Beispiel in Dortmund 2008 oder Münster 2014 intensiv in den Hochwasserschutz wie Regenrückhaltebecken investiert. Beim technischen Hochwasserschutz haben wir aber noch Luft nach oben. Das liegt auch daran, dass die Planungsprozesse beim Hochwasserschutz viel zu lange dauern.
Wie wollen Sie das ändern?
Hier ist der Bundesgesetzgeber gefragt. Ich hoffe, der Bundestag geht jetzt mit Mut in den Wiederaufbau und schafft auch Erleichterungen im Planungsrecht. Wir brauchen zum Beispiel schnelle Ersatzraumlösungen für Schulen, Kitas, Senioreneinrichtungen oder Rathäuser. Wenn ich dafür jetzt erst die erforderlichen Ersatzflächen ausweisen muss, stellt das die Kommunen vor große Probleme.
Wenn Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt werden müssen, dann kommen wir zu keinen schnellen Lösungen. Zudem brauchen wir Änderungen im Bauplanungsrecht. Wenn durch das Baurecht erst wieder alle Gutachten eingeholt werden müssen zum Beispiel für die Neuerrichtung einer Schule, dann habe ich die in fünf Jahren noch nicht stehen. Wir brauchen jetzt Mut für den Wiederaufbau.
Wo gibt es die größten Schäden?
Wir haben 180 betroffene Kommunen. Am schlimmsten betroffen sind der Kreis Euskirchen, die Städteregion Aachen, der Rhein-Sieg-Kreis, der Rhein-Erft-Kreis, die Stadt Hagen und der Märkische Kreis. Alleine für Hagen sind das etwa 200 Millionen Euro, in Solingen rund 30 Millionen Euro.
Sollten Gewerbegebiete aus Hochwassergebieten verlegt werden?
Manche Firmen überlegen, ihren Firmensitz zu verlegen. Es gibt auch viele Unternehmen, die historisch bedingt ihrem Standort treu bleiben möchten. Wir unterstützen in beide Richtungen. Wenn eine Umsiedlung Sinn macht, braucht es natürlich finanzielle Mittel. Die Mittel im Aufbaufonds sind begrenzt. Ich würde mir aber wünschen, dass der Bund unter bestimmten Voraussetzungen auch den Wiederaufbau an neuen Standorten unterstützt. Deshalb muss der Wiederaufbaufonds auf die Zukunft ausgerichtet sein.
Der Bund will 30 Milliarden Euro für den Wiederaufbau bereitstellen. Die Schadenssumme ist aber um ein Vielfaches höher. Bleiben die Flutopfer auf den Kosten sitzen?
Ein Großteil der Schäden wird von den Versicherungen übernommen. Ich rechne damit, dass NRW zwischen 12 und 13 Milliarden aus dem Aufbaufonds bekommen wird. Der Aufbaufonds sieht auch einen Schadenausgleich für Nichtversicherte vor.
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Wie sollen sich Flussanlieger künftig versichern? Die Grünen fordern, die Elementarversicherung zur Pflicht zu machen….
Die Grünen fordern viel, wenn der Tag lang ist; nur Planungserleichterungen für den schnellen Wiederaufbau fordern sie leider nicht. Ob man eine Elementarversicherung zur Pflicht machen sollte, ist aus meiner Sicht noch offen. Zielführend wird in Zukunft sein, dass man direkt verpflichtend den Hochwasserschutz bei Neubauten mitdenkt.
Wie lange wird der Wiederaufbau in den Flutgebieten dauern?
Das hängt entscheidend davon ab, ob wir das Planungsrecht beschleunigen können. Wenn wir alle Baumaßnahmen zum Beispiel nach dem EU-Vergaberecht ausschreiben müssen, wird der Wiederaufbau innerhalb von fünf Jahren nicht gelingen.
Ein Problem ist ja, dass die Bauämter in den am stärksten betroffenen Kreisen zum Teil nur eine Handvoll Mitarbeiter haben. Wie sollen die das stemmen, wenn es jetzt keine Erleichterungen gibt? Das ist mir schleierhaft. Deshalb brauchen wir jetzt schnelle Lösungen und weniger bürokratische Hürden. Wir haben das Ziel, dass die Schäden bis 2026 beseitigt sind.
Was soll aus dem ganzen Flutschutt werden?
Wir haben alleine in Hagen noch 100.000 Tonnen Bauschutt liegen. Den kann man zum Teil wieder im Straßentiefbau wieder verwenden. Das ist für die Recyclingwirtschaft eine spannende Chance. Baustoffe sind knapp.
Rechnen Sie mit einem Modernisierungsschub durch den Wiederaufbau?
Ja, vor allem bei der energetischen Erneuerung der Gebäude. Wir hatten nach den Überflutungen ganz häufig Öl im Wasser, weil die Häuser mit alten Heizungen betrieben wurden. In NRW gibt es noch rund 80.000 Ölheizungen, die älter als 30 Jahre alt sind. Ich gehe davon aus, dass ein gewisser Anteil in den betroffenen Gebieten gestanden hat und durch die Flut zerstört wurde.
Jetzt haben wir die Chance, die Häuser mit klimaneutraler Technik - wie Photovoltaik und anderen Energieträgern - auszurüsten. Die sollten wir uns nicht entgehen lassen. Wir wollen mit dem Wiederaufbau zurück in die Zukunft, damit die wiedererrichteten Gebäude direkt fit für 2050 werden.