- Könnte er der erste grüne Bundeskanzler in der Geschichte der Republik werden? Zu dieser Frage möchte sich Robert Habeck anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl lieber nicht äußern.
- Umso ausführlicher spricht der Grünen-Chef bei seinem Redaktions-Besuch in Köln über die Themen, die ihn umtreiben: die Klimadebatte, Tempo-130 auf Autobahnen, die Sicherheit von Kommunalpolitikern und die Verrohung des Diskurses durch die AfD.
- Die Funktionärskader der AfD im Osten, sagt er, „vertreten ein faschistisches Weltbild. Bei Björn Höcke, muss man sagen, ist die Schwelle überschritten”.
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Herr Habeck, Sympathie- und Umfragewerte für die Grünen sind hoch. Wären die Grünen ohne Greta Thunberg und „Fridays for Future“ in den Umfragen da, wo sie heute stehen?
Wir wissen ja seit Jahren, dass die Erde sich erhitzt. Aber dieses Land war im Chill-Modus. Greta Thunberg und „Fridays for Future“ haben mit ihren Protesten dazu beigetragen, dass jetzt – fast - alle den Klima- und Umweltschutz in seiner Dringlichkeit begreifen. Unser hoher Zuspruch ist aber Ausdruck von mehr und setzt früher an. Wir leben in einer Umbruchphase. Es hat sich eine Zivilgesellschaft formiert, die für eine lebendige Demokratie eintritt. Menschen suchen einen Resonanzraum und eine Kraft, die Orientierung gibt. Das konnten wir schon bei der Bayern-und Hessen-Wahl 2018 deutlich spüren.
Die Flugleidenschaft der Deutschen ist ungebrochen, der SUV-Boom hält an. Wenn die Mobilität durch die Energiewende für den Einzelnen teurer wird, dürfte die Zustimmung auch zu den Grünen als den Treibern schnell sinken.
Das Tanken wird ein kleines bisschen teurer werden, gleichzeitig haben wir in den Verhandlungen um das Klimapaket dafür gesorgt, dass die Kosten für die Erneuerbaren Energien für jeden Haushalt, jeden Handwerksbetrieb sinken. Politik muss Regeln verändern. Sie kann nicht erwarten, dass der Verbraucher allein die Verantwortung trägt. Die Verlockung, zur billigsten Tankstelle fahren oder zum Sonderangebot im Supermarkt ist groß, und man muss moralisch aufs Höchste gerüstet sein, um dauernd zu widerstehen. Aber wer ist das schon immer und überall?
Zur Person
Robert Habeck ist seit Januar 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock Bundesvorsitzender der Grünen. Innerhalb der Partei wird der 50-Jährige dem sogenannten „Realo-Flügel“ zugeordnet.
Seit 1999 arbeitet der gebürtige Lübecker auch als Schriftsteller, gemeinsam mit seiner Ehefrau Andrea Paluch. Sieben Romane stehen bereits in seinem Portfolio, außerdem schrieb er Kinderbücher und übersetzte englische Lyrik.
Habeck wurde 2002 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und zog 2009 in den Landtag Schleswig-Holstein ein. Über sich selbst schreibt er auf seiner Homepage, dass ihn die Natur, Bücher und die Begegnung mit Menschen am meisten geprägt hätten. Einer seiner Leitsätze lautet: „Wir können nicht nicht politisch sein“. (mab)
Natürlich ist das Umsteuern nicht einfach. Aber die Auswirkungen der Klimakrise werden dramatisch. Wenn wir das System nicht grundlegendend verändern - Produktion, Energieverbrauch, Mobilität, Landwirtschaft, werden die die gesellschaftlichen Brüche, die sozialen Verwerfungen viel schärfer. Insofern ist Veränderung die Bedingung für gesellschaftliche Stabilität in der Zukunft.
Sie wollen das Ende des Verbrennungsmotors bis 2030. Die deutschen Autobauer sagen, das koste Hunderttausende von Jobs.
Nichts zu machen, das kostet erst recht Arbeitsplätze. Die Konzerne haben ihre Strategie ja deshalb selbst geändert. Inzwischen wollen VW, Daimler und andere 2030 in Deutschland und Westeuropa überwiegend Elektroautos verkaufen. Sie sind also auf dem Weg. Aber auch das braucht jetzt politische Begleitung und Planungssicherheit. Sonst bleiben die Prozesse stecken. Wenn am Ende E-Autos mit Kohlestrom fahren, ist auch nichts gewonnen.
Das hilft denen aber nicht, deren Jobs gefährdet sind.
Die Sorge ist da, und sie ist nicht unberechtigt. Aber noch einmal: Die Autoindustrie ist schon im Umbruch – auch ohne irgendwelche Ausstiegsdaten. Wenn man nichts tut, werden die Einschnitte noch viel schmerzhafter sein. Der Handelsminister Neuseelands hat mir neulich gesagt, vor 20 Jahren seien fast alle Autos aus Deutschland gekommen, heute fast keines mehr. Das zeigt das Problem im Brennglas. Im Übrigen hat zum Beispiel das Ruhrgebiet doch vorgemacht, wie Strukturwandel geht. Altes vergeht, Neues entsteht. Die Autokonzerne sind selbst ein gutes Beispiel: Obwohl am Fließband zunehmend Arbeiter durch Technik ersetzt werden, beschäftigt etwa Audi heute mehr Menschen als früher. Und die Konzerne arbeiten längst an neuen Geschäftsmodellen mit innovativen Mobilitätskonzepten für die Innenstädte.
Soll es ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen geben?
Ich bin für Tempo 130. Das ist vor allem eine Frage der Sicherheit. Strecken ohne Tempolimit laden zum aggressiven Fahren ein. Ich wohne in Flensburg. Ein paar Kilometer weiter, in Dänemark, gilt ein Tempolimit. Der Verkehr fließt ruhiger, man steigt viel entspannter aus dem Auto. Umgekehrt ist die Strecke zwischen dem Nordostsee-Kanal und der dänischen Grenze eine der längsten Strecke in Deutschland ohne jede Geschwindigkeitsbegrenzung. Dort gibt es einen Raser-Tourismus. Ich frage mich, wieso in ganz Europa ein Tempolimit gilt – nur wir tun so, als sei Freiheit nur ohne möglich. Während wir beim Autofahren ein trügerisches Freiheitspathos hochhalten, schränken wir uns anderweitig unnötig ein.
Woran denken Sie?
In Deutschland administrieren wir uns zu Tode. Planungsrecht, Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und Rechtsschutz sind wichtig. Aber viele Planungen dauern zu lange, sind zu sperrig, und wir kriegen zu wenig gewuppt. Wenn wir in den nächsten zehn Jahre eine klimafreundliche Infrastruktur aufbauen wollen, in den Städten, bei den Stromnetzen, dann können wir so nicht weitermachen. Ich begreife es als Aufgabe für die Grünen, zu effizienteren, schnelleren Verfahren unter Beibehaltung der Schutzgüter – Naturschutz, Artenschutz, Lärmschutz – zu kommen.
Das ist eine interessante Volte, wo die Grünen doch sonst immer als Regulierungspartei wahrgenommen werden.
Vielleicht sind wir mit diesem Ansatz einfach noch nicht gut genug durchgedrungen. Ich glaube, die Erfolgslogik liegt in der Wahrnehmung politischer Verantwortung. Dass man sich traut, mal neue Wege zu gehen. In meiner Zeit als Umwelt- und Energiewendeminister in Schleswig-Holstein haben wir beim Stromnetzausbau zwei Verfahren zusammengelegt: Planfeststellung und Raumordnung.
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Wir haben die Bürger und Verbände eher als sonst beteiligt. So konnten wir Probleme früh erkennen und lösen. Das war am Anfang intensiv, führte aber dazu, dass es schneller ging und Umweltverbände nicht geklagt haben. Das natürlich auf dem Boden des Rechts, sonst hätten wir eine Chaos-Republik. Aber im Rahmen des rechtlich Möglichen müssen Ministerpräsidenten, Minister, Staatssekretäre sagen: „Wir klemmen uns voll dahinter, versuchen was Neues, und wenn etwas schief geht, nehmen wir das auf unsere Kappe.“
Setzt aber Regierungsämter voraus. Im Bund wollen die Grünen 2021 endlich wieder an die Macht. Derzeit wäre ein schwarz-grünes oder gar ein grün-schwarzes Bündnis drin. Ist die Zeit, ist das Land reif dafür?
Ich habe großen Respekt, dass die SPD sich nach dem Scheitern von Jamaika in der Pflicht sah, obwohl sie ein Bündnis mit der Union ja ausgeschlossen hatte. Aber die Große Koalition agiert seit Beginn in einer Art Krisenmodus. Daher würde ich sagen, das Land könnte gut eine neue Regierung vertragen, aber ich gehe davon aus, dass darüber erst 2021 abgestimmt wird. Bis dahin sehen wir es als unsere Aufgabe, mit unseren Möglichkeiten die anstehenden Aufgaben zu lösen, wie kürzlich im Vermittlungsausschuss beim Klimaschutz.
Wenn Sie die Chance hätten, mit Schwarz-Grün Vizekanzler zu werden oder aber Kanzler mit Grün-Rot-Rot – was würden Sie tun?
Wir sind mehr als eineinhalb Jahre von der Bundestagswahl entfernt. Wir haben uns fest vorgenommen, nicht in diese Rituale einzusteigen. Politik ist ja nicht primär, wer-bekommt-welchen-Posten?, sondern: Wie bringen wir die Wirtschaft auf den Weg der Klimaneutralität, damit sie wettbewerbsfähig bleibt, wie trocken wir den Niedriglohnsektor aus, wie stärken wir unsere liberale Demokratie? Bei aller Sympathie für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und seinem Interesse an einer Schlagzeile.
In der CDU wird NRW-Ministerpräsident als Kanzlerkandidat gehandelt. Er gilt als Sympathisant und Brückenbauer für Schwarz-Grün. Ist er für Sie jemand, mit dem Sie gut könnten?
Anderer Versuch, gleiche Falle. Wen die Union zum Kanzlerkandidaten macht, soll die Union entscheiden. Wir nehmen es, wie es kommt, und konzentrieren uns auf die Sachthemen.
Aber Laschets Blinken in Richtung Schwarz-Grün ist Ihnen schon aufgefallen, oder?
Also, wenn es Sie zufrieden macht: Ich schätze Armin Laschet durchaus – als netten, freundlichen Menschen, mit dem ich gut diskutieren kann. Inhaltlich gibt es viele Punkte, wo wir auseinanderliegen. Aber das war's jetzt meinerseits zu Personalfragen.
Sie haben die GroKo-SPD gerade für ihr Pflichtbewusstsein gelobt. Bloß hat all das der Partei nicht genutzt.
Wir leben in einer Zeit dramatischer Veränderungen. Aber politisch kriegen wir scheinbar immer dasselbe: die Große Koalition. Das hat bei vielen Bürgern zu einem Überdruss geführt, den hat vor allem die SPD abbekommen.
Seit 2017 sitzt die AfD im Bundestag. Erwartungen, dass der parlamentarische Betrieb zu einer Domestizierung oder zum Verschleiß führen würde, sind nicht aufgegangen. Wie lautet Ihre Strategie für den Umgang mit der AfD?
Die AfD ist radikal. Funktionärskader im Osten, die der bisherige AfD-Chef Alexander Gauland „in der Mitte der Partei“ ansiedelt, vertreten ein faschistisches Weltbild. Bei Björn Höcke, muss man sagen, ist die Schwelle überschritten. Es darf nicht sein, dass unter dem Deckmantel der Demokratie die Demokratie ausgehöhlt und in Frage gestellt wird.
Wie denn?
Ich hielte es für richtig, dass die gesamte AfD vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird. Dadurch kann sie effektiver beobachtet werden.
Wäre ein Parteiverbot die letzte Konsequenz?
Darüber spekuliere ich nicht. Es gibt in Deutschland zu Recht hohe Hürden für ein Parteienverbot. Ich sage nur: Wir müssen wissen, was in der AfD los ist, und es muss sichergestellt sein, dass weder im Parlament noch in staatlichen Behörde Leute daran arbeiten dürfen, die Demokratie zu zerstören.
Sehen Sie Anschläge auf Politiker – Walter Lübcke in Kassel, Henriette Reker in Köln, Andreas Hollstein in Altena, Karamba Diaby von der SPD in Halle – als Folge des Wirkens der AfD?
Eindeutig. Mit ihrer Sprache vergiftet die AfD die Diskurse. Und die Verrohung der Sprache bereitet der Gewalt den Weg. Es wird zu Jagd auf Menschen aufgerufen, dann werden Menschen durch Chemnitz gehetzt, weil sie anders aussehen. Im Netz steht unter einem Tweet zum Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke: „Landesverrat. An die Wand mit dem“ – Walter Lübcke wurde erschossen. Das besonders Perfide ist, dass die Strategie der Bedrohung und Einschüchterung auf die kommunale Ebene zielt – dort, wo Politikerinnen und Politiker zugleich am selbstlosesten und am schutzlosesten sind. Kommunalpolitiker sind die eigentlichen Helden der Demokratie. Wenn die sich nicht mehr trauen, ihre Arbeit zu machen und sich öffentlich hinzustellen, bricht uns die Basis der Demokratie weg.
Sie halten das für Strategie?
Ja. Anschlagspläne gegen die Kanzlerin, einen Minister, prominente Politiker auf Bundesebene würde der Verfassungsschutz – hoffentlich – mitbekommen und vereiteln. Zudem gibt es für Spitzenpolitiker Personenschutz. Das alles gilt für Kommunalpolitiker nicht. Umso mehr muss der Staat mit voller Härte gegen Täter vorgehen, derer er habhaft wird. Gewaltandrohungen sind keine Dumme-Jungen-Sprüche. Wer so etwas tut, muss wissen: Wenn wir dich kriegen, musst du dich verantworten.
Was halten Sie von einer Bewaffnung von Politikern zum Selbstschutz, wie das am Beispiel des Bürgermeisters von Kamp-Lintfort gerade diskutiert wird?
Davon halte ich gar nichts. Das Gewaltmonopol muss beim Staat liegen. Alles andere ist Wilder Westen.