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Heftige Kritik an VerteidigungsetatGeneralinspekteur warnt vor russischem Angriff ab 2029 – „Wir müssen vorbereitet sein“

Lesezeit 4 Minuten
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, spricht zum Abschluss der Nato-Übung Quadriga 2024.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, spricht zum Abschluss der Nato-Übung Quadriga 2024.

Die Kritik an fehlenden Investitionen in Sicherheit wächst. Experten schlagen Alarm, Russland könne Nato-Länder ins Visier nehmen.

Nach der Einigung der Ampel-Spitzen auf einen Haushaltsentwurf hat Verteidigungsminister Boris Pistorius die geringen Steigerungen für die Bundeswehr deutlich kritisiert. „Ja, ich habe deutlich weniger bekommen, als ich angemeldet habe. Das ist ärgerlich für mich, weil ich bestimmte Dinge dann nicht in der Geschwindigkeit anstoßen kann, wie es Zeitenwende und Bedrohungslage erforderlich machen“, sagte Pistorius, der in Alaska die Übung Arctic Defender 2024 besuchte und dann zum Nato-Gipfel nach Washington weiterreisen wollte.

Boris Pistorius und Experten äußern scharfe Kritik an Verteidigungsetat

An der Entscheidung der Bundesregierung, den Verteidigungsetat nur um 1,2 Milliarden Euro anzuheben, hat nach Bekanntgabe nicht nur Pistorius massive Kritik geäußert. Generalinspekteur Carsten Breuer erwartet Garantien für eine deutliche Aufstockung in den kommenden Jahren.

„Angesichts der Bedrohungslage brauchen wir eine Verstetigung“, sagte Generalinspekteur Breuer der „Süddeutschen Zeitung“. Das 100-Milliarden-Sondervermögen werde bis Ende des Jahres vertraglich komplett gebunden sein. Mit der Anschaffung von neuen Waffensystemen stiegen auch die Betriebskosten.

Warnung vor russischem Angriff auf NATO-Staaten

„Was nützt neues Gerät, wenn die Soldaten es nicht betreiben können?“, so Breuer. Er warnt, Russland könne sich um das Jahr 2029 herum auch gegen Nato-Staaten wenden, daher sei die Abschreckung so wichtig.

„Russland baut derzeit ein Potenzial auf, das weit über das hinausgeht, was es für den Angriffskrieg in der Ukraine bräuchte. Die russischen Streitkräfte planen einen Aufwuchs auf 1,5 Millionen Soldaten, das sind mehr Soldatinnen und Soldaten als in der gesamten EU“, so Breuer.

Generalinspekteur Carsten Breuer warnt vor Wladimir Putin und Gefahr aus Russland

Zudem produziere Russland jedes Jahr zwischen 1000 und 1500 Panzer. „Wenn sie die fünf größten Nato-Armeen in Europa nehmen, dann haben sie dort im Bestand gerade einmal die Hälfte dessen, was Russland nun pro Jahr an Panzern aufbringt. Wir müssen vorbereitet sein.“

Andre Wüstner, Bundesvorsitzender des Bundeswehrverbands, verfolgt von der Besuchertribüne die Debatte zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik im Bundestag.

André Wüstner, Bundesvorsitzender des Bundeswehrverbands, ist ebenso wie Boris Pistorius nicht einverstanden mit dem Wehretat.

Eine nur unzureichende Schlagkraft der Bundeswehr moniert auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner. „Mit diesem Haushalt mag sich die Bundesregierung zwar durch diese Legislaturperiode hangeln wollen, aber die Bundeswehr als wesentlicher Teil unserer Sicherheitsarchitektur – und damit wir alle – zahlt den Preis dafür“, sagte Wüstner. Ein Zuwachs von 1,2 Milliarden Euro werde „keinesfalls der aktuellen Bedrohungslage und erst recht nicht Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht“.

André Wüstner: Verteidigungsetat steht im Widerspruch zu Bedrohungslage

Wüstner sprach davon, dass die Truppe „verwundert, größtenteils schockiert“ über den angepassten Etat sei. „Gerade nach der Aussage des Bundeskanzlers während der Münchner Sicherheitskonferenz – ‚Ohne Sicherheit ist alles nichts‘ – hätte niemand mit einer derartigen Unterdeckung des Verteidigungsetats gerechnet“, sagte Wüstner. „Trotz Ausrufung der Zeitenwende ist leider keine Erkenntniswende eingetreten.“

Trotz Ausrufung der Zeitenwende ist leider keine Erkenntniswende eingetreten.
André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): „Wir bräuchten eine Diskussion darüber, wie viel uns Sicherheit wert ist und worauf wir verzichten wollen, wenn wir die zwei Prozent langfristig im Haushalt verankern.“ Gemeint ist die Vorgabe der Nato an ihre Mitgliedstaaten, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.

Doch auch innerhalb der Ampel gibt es Kritik. Der SPD-Haushaltsexperte Andreas Schwarz sprach im „Tagesspiegel“ von einer „ernüchternden Zahl“. „Das Ergebnis der regierungsinternen Haushaltsgespräche entspricht nicht dem, was wir im Verteidigungsbereich brauchen.“ Nun hätten die Abgeordneten im parlamentarischen Verfahren die Aufgabe, „deutliche Nachbesserungen vorzunehmen“.

Auch Opposition schlägt Alarm

Nachbesserungen hält auch die Union für nötig. „Was wir jetzt brauchen, sind rasch echte Umpriorisierungen im Haushalt, die einen verstetigten und erhöhten Verteidigungsetat ermöglichen“, sagte der CDU-Sicherheitsexperte Roderich Kiesewetter der „Augsburger Allgemeinen“.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten in der Nacht zum Freitag den seit Monaten schwelenden Haushaltsstreit beigelegt und sich auf Eckpunkte für den Bundeshaushalt 2025 geeinigt. Die Schuldenbremse wird eingehalten, eine Haushaltsnotlage etwa wegen der Ausgaben für die militärische und humanitäre Unterstützung der Ukraine wird nicht festgestellt. Dies war der FDP und ihrem Finanzminister Christian Lindner wichtig.

Verteidigungsetat wächst nur um 1,2 Milliarden Euro

Der Verteidigungshaushalt von derzeit rund 52 Milliarden Euro soll demnach nur um etwa 1,2 Milliarden Euro aufwachsen. Pistorius hatte mehr als 6 Milliarden Euro zusätzlich und eine Ausnahme dieser Ausgaben von der Schuldenbremse gefordert.

„Wir reden von 6,5 bis 7 Milliarden Euro Zusatzbedarf für das kommende Jahr. Der Mehrbedarf wird auch in den Jahren danach weiter aufwachsen, weil das Sondervermögen schon ab Ende dieses Jahres vertraglich gebunden und damit ausgeschöpft sein wird“, hatte er im Mai am Rande eines Besuchs in den USA gefordert. Und: „Wir müssen uns ehrlich machen: Ab 2028 wird eine nicht unbeträchtliche zweistellige Milliardenbetragserhöhung nötig sein.“

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, geht vor der Delegation nach der Landung mit dem Airbus A350 der Luftwaffe auf dem Internationalen Flughafen von Fairbanks in Alaska.

Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, geht vor der Delegation nach der Landung mit dem Airbus A350 der Luftwaffe auf dem Internationalen Flughafen von Fairbanks in Alaska.

Pistorius gab nach Bekanntwerden seines Etats an, er werde schauen müssen, „was sich in den nächsten Wochen und Monaten weiter ergibt“. Offenbar hat der Minister die Hoffnung noch nicht gänzlich aufgegeben, dass die Ampel noch Nachbesserungen zugunsten der Verteidigung vornimmt. (pst mit dpa)