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Info-Veranstaltung zur RäumungKaum Ruhe vor dem Sturm in Lützerath

Lesezeit 4 Minuten
Polizeiautos und Polizisten stehen vor der Ortschaft Lützerath - eine Luftaufnahme zeigt die Szenerie. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden.

Polizeiaufgebot in Lützerath

Am Dienstag entfernt die Polizei schon Barrikaden in Lützerath - am Mittwoch könnte die Räumung beginnen. Aktivisten stemmen sich mit aller Macht dagegen. Ein Ortsbesuch in Erkelenz

Es ist der letzte Versuch vor der Räumung des Braunkohledorfs Lützerath, die ab dem heutigen Mittwoch beginnen kann, eine mögliche Eskalation zu verhindern. Im Erkelenzer Berufskolleg stellen sich am Dienstagabend Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach, Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg und der Erkelenzer Bürgermeister Stephan Muckel den Fragen der Bürger und Klimaaktivisten. Und appellieren an die Besetzer, auf gewaltsame Aktionen zu verzichten.

Vor allem Pusch findet klare Worte. „Ich kann nicht entscheiden, ob die Kohle unter Lützerath noch gebraucht wird. Aber was jetzt dort passiert und an Gewalt vorbereitet wird, überschreitet das Maß, wie man Konflikte austragen sollte. Die Mittel, die man dazu wählt, müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.“

Er habe den Eindruck, Lützerath sei „eine Art Armageddon“, dort entscheide sich anscheinend die Geschichte der Menschheit. Die Aktivisten hätten mit der Rettung von fünf Dörfern doch sehr viel erreicht, auch die mediale Aufmerksamkeit. „Man braucht nicht mehr für einen Kampf, der rechtlich nicht abgesichert ist, Menschenleben zu riskieren. Mein Appell ist: Gehen Sie, räumen Sie das Feld.“

Klimaaktivist kritisiert: Räumung am Dienstag faktisch begonnen

Die Polizei habe doch am Dienstag schon mit der Räumung begonnen, kritisiert der Klimaaktivist Winfried Bernhard, und entgegen eigenen Aussagen damit bereits Fakten geschaffen. Das sei nicht der Fall, entgegnet der Polizeipräsident. Man habe die Ortslage Lützerath noch nicht betreten, bereite seit einer Woche lediglich den Einsatz vor. Dazu gehöre auch die Befestigung eines Geländes in unmittelbarer Nähe zu Lützerath für die geplante Großdemonstration am kommenden Samstag. Die gesamte Infrastruktur und alle Einsatzmittel werde man nur dann einsetzen, wenn man mit der Deeskalation nicht erfolgreich sei und es zu Straftaten komme.

Er habe nicht die persönliche Kompetenz zu entscheiden, welches der vielen Gutachten zu den Kohlemengen das Richtige sei, sagt Dirk Weinspach, den „als Privatmann“, wie er betont, die gleichen Unsicherheiten wie viele Menschen plagen, die sich um die Folgen des Klimawandels Sorgen machen.

Eigentlich müssten hier heute Klimaministerin Mona Neubaur und Innenminister Herbert Reul sitzen
Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg

„Eigentlich müssten hier heute Klimaministerin Mona Neubaur und Innenminister Herbert Reul sitzen“, antwortet Landrat Pusch auf den Vorhalt von David Dresen aus dem geretteten Dorf Kuckum, der sich seit Jahren für „Alle Dörfer bleiben“ engagiert und bezweifelt, dass die Kohle unter Lützerath in den beiden nächsten Jahren nocht benötigt wird. „Das sagt sogar Ministerin Neubaur. Also warum sagen Sie die Räumung nicht vorläufig ab. Die Kohle unter Lützerath kann doch frühestens in drei Jahren gefördert werden.“

Immerhin: Die Versammlung streitet über Inhalte, über Kohlemengen und über die Frage, ob Deutschland auf dem richtigen Klimapfad ist. Die Atmosphäre ist emotional sehr aufgeladen, aber die Auseinandersetzung bleibt sachlich. Selten hat man einen Polizeipräsidenten erlebt, der sich auch auf inhaltliche Fragen zur Klimadiskussion auf den Konflikt vorbereitet hat.

„Können wir nicht gemeinsam einen Korridor finden, um eine gemeinsame Lösung zu finden?“, fragt ein Aktivist. „Der Klimawandel verschärft sich doch gerade dramatisch, die Kipppunkte kommen immer näher.“ Es müsse doch möglich sein, den Einsatz durch ein Moratorium noch zu verhindern.

Im Laufe des Dienstags hatte die Polizei auf der Zufahrtsstraße nach Lützerath erste Barrikaden weggeräumt. Über Lautsprecher erging der Appell: „Greifen Sie die Polizei-Einsatzkräfte nicht an!“ Damit könne man sich strafbar machen.

Bei dem Versuch der Polizei, Blockaden aufzulösen, kam es vereinzelt zu Handgreiflichkeiten. In mehreren Reihen stemmten sich Aktivisten gegen die Einsatzkräfte, es wurde geschubst und gebrüllt. Ein Aktivist mit Blut im Gesicht sagte, er sei an der Nase verletzt worden, als er von seiner Sitzblockade weggetragen worden sei. Mit einer Hebebühne holte die Polizei zwei Aktivisten von einem sogenannten Monopod, einer Art Hochsitz, herunter.

„Die Polizei ist jetzt massiv vorgerückt und hat massiv gedrückt“, sagte Johanna Inkermann von der Initiative „Lützerath lebt“. „Wir lassen uns aber nicht wegdrängen. Es ist eine extrem dynamische Situation.“

Aktivisten harren bei strömenden Regen am Rand von Lützerath aus. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden.

Aktivisten harrten bei strömenden Regen am Rand von Lützerath aus.

In unübersichtlicher Formation hatten etwa 300 Aktivisten am Vormittag Menschenketten gebildet und eine Sitzblockade errichtet, bei der sich einige Beteiligte etwa einen halben Meter tief in die Erde eingegraben hatten. „Es geht darum, dass wir die Zufahrt zu Lützi versperren“, sagte eine Aktivistin.

Die Aktivisten riefen unter anderem „Haut ab!“, „Schämt euch!“, „Auf die Barrikaden!“ und „Klima schützen ist kein Verbrechen!“. Der Ton gegenüber der Polizei war teils aggressiv, die Atmosphäre aufgeheizt. Die meisten Aktivisten waren vermummt. Manche sprachen Englisch, andere Französisch, Italienisch oder Niederländisch. (mit dpa)