Die Tagesordnung sah anderes vor, aber die Plenarsitzung im Düsseldorfer Landtag war geprägt von den Nachwirkungen der Migrationsabstimmung.
Nach MigrationsabstimmungCDU-Fraktion in NRW „überrascht und verstört“ – Güler rechtfertigt Merz
Hendrik Wüst (CDU) wurde von dem Schachzug kalt erwischt. Eigentlich sollte der Landtag nach der Eröffnung der Plenarsitzung über Gewalt an den Schulen debattieren, aber Landtagspräsident André Kuper kündigte eine kurzfristige Änderung der Tagesordnung an. Der Abgeordnete Jochen Ott habe beantragt, eine persönliche Erklärung nach Paragraf 31 der Geschäftsordnung abgeben zu wollen, sagte Kuper.
Der Chef der SPD-Fraktion schritt sogleich ans Mikrofon. „Es ist mir unmöglich, parlamentarische Normalität vorzuspielen, während in Berlin der Konsens der Demokraten zerstört wird“, sagte Ott. Die Entscheidung der CDU, gemeinsam mit der AfD einen Antrag zur Begrenzung der Migration zu beschließen, sei ein historischer Fehler. NRW-Ministerpräsident Wüst müsse dazu Stellung beziehen. „Stellen Sie unmissverständlich klar, dass NRW ein Bollwerk gegen Rechts war, ist und immer bleiben wird“, verlangte der SPD-Fraktionsvorsitzende unter Beifall.
Das umstrittene Vorgehen von CDU-Bundeskanzlerkandidat Friedrich Merz hat auch in der Landespolitik ein tektonisches Beben ausgelöst. In den Reihen der CDU-Fraktion wurde mit Sorgen registriert, dass es auch bei den Grünen Beifall für die Ott-Rede gab. Eine solch offenkundige Distanzierung hat es seit der Bildung der schwarz-grünen Koalition im Sommer 2022 noch nicht gegeben. Wüst machte sich handschriftliche Notizen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die erwartete Gegenrede zu halten. „Nach Solingen haben wir in Nordrhein-Westfalen mit einer starken Allianz der Mitte geantwortet“, sagte der Ministerpräsident. Die großen Probleme der Zeit müssen jetzt durch einen Konsens in der demokratischen Mitte gelöst werden. Er wolle den Aufstieg der AfD mit ihren menschen- und europafeindlichen Positionen verhindern.
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Den Namen Friedrich Merz nahm Wüst nicht in den Mund. In CDU-Kreisen heißt es, der Ministerpräsident habe angesichts der Merz-Strategie „die Faust in der Tasche geballt“. In Düsseldorf sei man „überrascht und verstört“ gewesen, war zu erfahren. „Merz hat einen Bumerang geworfen, der uns jetzt allen gegen den Kopf knallt“, hieß es.
Grüne kamen mit Grabesmine nach Migrationsabstimmung
Vertreter der Grünen in der Landesregierung waren mit Grabesmine zur Sitzung des Landtags gekommen. In einer Erklärung der Parteispitze wurde am Vormittag gegen Merz ausgeteilt. Der Sauerländer müsse „zum politischen Anstand zurückkehren“, so NRW-Parteichef Tim Achtermeyer. Er habe „ohne Not der AfD die Macht gegeben, die Demokraten im Parlament gegeneinander auszuspielen“. Wo Konservative sich den Rechtsextremen angenähert hätten, wären am Ende immer die Rechtsextremen erfolgreich gewesen: „Das ist nicht die CDU, die wir kennen und mit der wir hier zusammenarbeiten.“
Bei den Grünen zeigte man sich überrascht, dass auch die als progressiv geltenden CDU-Bundestagsabgeordneten aus NRW für den Merz-Antrag stimmten. Armin Laschet hatte erst in dieser Woche in Aachen eine flammende Rede zum Holocaust-Gedenktag gehalten und davor gewarnt, die Demokraten dürften die AfD nicht stark machen. Serap Güler, Bundestagsabgeordnete aus Köln, erklärte: „Ich habe, seitdem es die AfD gibt, sie stets bekämpft und werde es auch weiterhin tun.“
Merz sei seiner Überzeugung gefolgt, deutlich zu machen, dass „sich mit ihm etwas ändern wird“, sagte Güler dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es werde keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben: „Das muss jeder wissen. Jede Stimme für die AfD ist somit eine verschenkte Stimme.“
Serap Güler: Keine Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD
Auch in der CDU-Landtagsfraktion löste der Merz-Vorstoß Irritationen aus. „Wir dachten eigentlich, mit dem Thema Migration punkten zu können. Jetzt redet niemand mehr über unsere Forderungen, sondern nur noch über die angebliche Nähe zur AfD“, sagte eine Abgeordnete. „Ich weiß nicht, was in den Friedrich gefahren ist.“ Das sei „genau der Fehler gewesen, auf den seine Gegner die ganze Zeit gewartet“ hätten.
Mit Spannung werde nun erwartet, ob die politische Debatte sich tatsächlich negativ auf die Umfragewerte der Union auswirken. Notfalls müsse das Thema Wirtschaft jetzt zu einem neuen Schwerpunkt der CDU-Kampagne werden. Ein Austausch des Spitzenkandidaten auf den letzten Metern sei „jedenfalls Harakiri“.
Die Junge Union in NRW ging mit der Minderheitsregierung in Berlin ins Gericht. „Die von SPD und Grünen vorgetragene ahistorischen NS-Vergleiche, die Friedrich Merz und die Union in die Situation vor der Machtergreifung 1933 rücken, sind unsäglich und selbst in einer aufgeheizten Debatte untragbar“, sagte der Landesvorsitzende Kevin Gniosdorz. Die Begrenzung der irregulären Migration werde von den Bürgerinnen und Bürgern nachweislich seit Jahren gefordert.
Die SPD nutze das Vorgehen der CDU im Bundestag erwartungsgemäß auch schon im Straßenwahlkampf aus. Die Landesvorsitzende Sarah Philipp verteilte am Morgen Flugblätter in der Düsseldorfer U-Bahn. „Mitte statt Merz“, lautete die Botschaft.