Für ihren persönlichen Rückblick auf die Flut und zwei Jahre Wiederaufbau besuchte NRW-Heimatministerin zusammen mit Christoph Heup Gemünd.
RedaktionsgesprächNRW-Ministerin Ina Scharrenbach schildert ihre Erlebnisse nach der Flut
So ist das in der Eifel: Als sich die Redaktion just am Montag des Schützenfestes mit Ina Scharrenbach in Gemünd für ein Interview zu „Zwei Jahre nach der Flut“ trifft, laufen die NRW-Ministerin und die Redakteure dem Festzug der Schützen in die Arme. Und kommen um einen „Marillen“ (Scharrenbach: „Schnappes“) auf dem Schützenplatz nicht herum. Zumal auch das Domizil der Schützen auf der Liste für den Wiederaufbau steht und die volksnahe Ministerin gerne den ein oder anderen Fördertipp gibt.
Mit kaum einem anderen Mitglied der amtierenden Landesregierung dürften so viele Menschen im Kreis Euskirchen persönlich bekannt sein. Für die Menschen in den Flutgebieten sind die Bewältigung der Katastrophe und der Wiederaufbau eng mit Heimatministerin Ina Scharrenbach verknüpft. Und das nicht erst, seit sie der damalige Ministerpräsident Armin Laschet am 7. August 2021 mit dem Wiederaufbau nach der Flut beauftragt hat.
Donnerstags war für Ina Scharrenbach klar: Es ist eine Katastrophe
Am Dienstag vor der Flutnacht zurückgekehrt von einem verregneten Wanderwochenende in Trier, hatte die Kamenerin zu Hause selbst Wasser im Keller: „Das war aber nix im Vergleich zu hier.“ Mittwochs sah sie erste Flutbilder in den Sozialen Netzwerken aufploppen. „Die Dimension konnte man da noch nicht greifen. Das waren ja immer nur Ausschnitte.“
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Donnerstags war für sie klar, dass Teile des Landes von einer Katastrophe heimgesucht worden waren. Sie simste Bürgermeister an, denen sie Tage zuvor nach den Problemen der Corona-Zeit einen erholsamen Sommerurlaub gewünscht hatte: „Wenn ihr wollt, komme ich zu euch.“ „Ja, komm“, lauteten die Antworten. Am Freitag, 16. Juli, packte sie die wetterfesten Schuhe ins Auto und fuhr los. Seitdem ist sie ungezählte Male in der Flutregion unterwegs gewesen.
Kall, Schleiden und Gemünd waren die ersten Flutorte, die sie aufsuchte. Samstags ging es dann nach Altena im Märkischen Kreis. Das, was sie sah, hat sich auch bei ihr eingebrannt. Verständlich, dass die Ministerin als Ort für ihren persönlichen Rückblick Gemünd wählte.
Am Nepomuk – dort, wo Urft und Olef zusammenfließen und in der Flutnacht ihre Zerstörungskraft verdoppelten – blickt sie über die Urft hinüber aufs Hotel Friedrichs. Das trägt auch zwei Jahre danach noch Wunden der Flut. Wo jetzt die Werke von „Kunst am Fluss“ den Menschen über schreckliche Erlebnisse und Verzweiflung hinweghelfen sollen, hatte das reißende Wasser Löcher in die Ufermauern gefräst. „Da lagen Autos drin, Mülltonnen, überall Zerstörung. Die Menschen wuselten nebeneinander, übereinander. Viel Schlamm ...“
Die Erinnerung an den aus den Häusern gespülten Hausrat und den alles beherrschenden Schlamm lässt sie einen Moment still werden. Und das Wissen, wie viele Menschenleben die Flut gekostet hat. Die neun in der Stadt Schleiden, derer sie später auf dem Gang durch die Fußgängerzone an dem mit Kerzen geschmückten Stein mit den Namen gedenkt. Der 26 Toten im Kreis Euskirchen, der 49 Opfer in NRW. Und der 136 an der Ahr.
Was sind die Bilder, die sich ihr in den ersten Tagen nach der Flut eingebrannt haben? „Es sind so ganz verschiedene Sachen. Die große Betroffenheit der Leute. Und dann natürlich, wie Menschen damit umgehen. Einige, die alle Kraft zusammennehmen, aufräumen und wegschieben. Und andere, die lethargisch da sitzen und weinen ... natürlich.“ Sie macht wieder eine Pause: „Da vorne in der Straße, da stand eine Gruppe Frauen. Die weinten. Die sagten: ‚Unsere Heimat ist zerstört. Wie soll das mal wieder werden?‘“
Dann erzählt sie von den Feuerwehrleuten in Altena, bei denen sie gesessen hat, als sie um den bei einem Rettungsversuch ums Leben gekommenen Feuerwehrkameraden trauerten. Einer habe gesagt: „Wir machen weiter, wir sind halt Feuerwehr.“
Von den alten Leuten, die seinerzeit aus Schlesien geflohen sind und gesagt haben: „Wir haben nicht mehr die Kraft, das alles aufzubauen.“ Von der Familie aus Kall, die auf dem Fußboden mit den Kindern Karten spielte, um sie ein bisschen abzulenken: „Es waren ja Ferien ...“
Scharrenbach: „Jeder hat so seine Bilder, die sich tief einbrennen. Das ist eine Herausforderung für viele, weil damit ja immer so viel persönliches Schicksal verbunden ist. Das muss man ja selbst auch verkraften können.“
Das wird ihr später im Gespräch noch mal bewusst, als sie die Dringlichkeit der schnellen Beseitigung der Berge von Flutmüll – schon aus Angst vor Seuchen – schildert. „Abfall? Das ist ja Leben, was da weggespült ist.“
Scharrenbach: „Es gab immer wieder Menschen, die verzweifelt waren. In diesem Moment, wenn man vor dem Nichts steht. Alles ist weg, Erinnerungen, Fotos. Das persönliche Leben ist binnen Sekunden im Wasser. Man steht dann da und weiß nicht: Was soll ich als Erstes und als Letztes machen?“
Auch mit Wut wurde sie konfrontiert. Und verstand das in vielen Fällen: „Eine Feuerwehr, die für die Aufrechterhaltung der Sicherheit zuständig ist, hilft vielleicht nicht im eigenen Keller, weil die Gefahr woanders größer ist. Dann entzündet sich aus so einer Hilflosigkeit heraus sogar eine gewisse Wut.“
Ina Scharrenbach: „Die vielen Helfer nach der Flut waren ein Segen“
Die Öffentliche Hand habe in solchen Katastrophensituationen immer eine besondere Aufgabe: die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Und die Abwehr der Gefahr: „Mancher war dann schnell dabei zu sagen: Da fehlen sie, da sind sie nicht.“ Es sei aber auch nicht das erste Mal, dass Menschen nicht mehr wissen, wer in einer Katastrophe wie zu agieren habe. Es sei auch eine Aufgabe, diesen Wissensverlust wieder aufzubauen.
Doch die Katastrophe hat ihr nicht nur das hässliche Gesicht gezeigt. Da sind die Helfer, die kamen. Scharrenbach: „Die waren ein Segen. Ganz einfach schon wegen der Manpower. Diese Helfer waren unersetzlich. Das hätte die Öffentliche Hand alleine ja gar nicht stemmen können.“ Aber nicht nur deshalb: „Die technische Hilfe ist immer das eine. Das andere ist, dass die Menschen gespürt haben, sie sind nicht alleine. Da sind andere, die sind da.“ Und es seien so viele junge Leute unter den Helfern gewesen.
Diese Solidarität, so Scharrenbach, habe in dieser Zeit auch die politischen Debatten verändert: „Dann ist die Politik mal wieder geerdet und beschäftigt sich mit den wichtigen Dingen im Leben.“ Etwa damit, möglichst schnell und umfassend zu helfen. Zum Beispiel durch die 65 Millionen an Soforthilfen, die schon am 22. Juli in Auszahlung gewesen seien.
Scharrenbach: „Dieses Geld über 100 Kommunen zu verteilen? Das war zum damaligen Zeitpunkt aussichtslos. Ich habe bei ganz vielen Leuten angerufen und gesagt: ‚Leute, ich brauche das Geld für die Eifel. Und den Märkischen Kreis.‘ Und alle haben gesagt: ‚Bei uns ist das kein Vergleich zu dem, was da passiert ist. Verteil‘ das Geld erst mal da hin'.“
Oder der 30 Milliarden schwere Aufbauhilfefonds: „Bundestag, Bundesrat – am 10. September war alles durch. Nur acht Wochen. Das war irre schnell im Vergleich zur Oder-Flut 2013, wo es Monate gedauert hat.“
Die betroffenen Kommunen wären mit den Anträgen überfordert gewesen
Schnell und unbürokratisch, diese Maxime gab sich Scharrenbach, als sie in Düsseldorf den Wiederaufbau übernahm. Ursprünglich habe sie es die Städte und Gemeinden machen lassen wollen: „Die kennen ja die Leute, die kennen die Straßenzüge.“ Doch als diese vom Landesbeauftragten gehört hätten, dass es bis zu 80 000 Anträge sein könnten, hätten sie abgewehrt: „Das schaffen wir nicht.“
Also mussten die Bezirksregierungen ran. „Und als Erstes musste das EDV-Programm her.“ Es sei klar gewesen, dass es nur online zu schaffen gewesen sei: „Auf Papier ging nicht, weil das in dieser Menge nicht zu bearbeiten gewesen wäre.“
Bürgerfreundlich war das EDV-Programm zur Antragstellung nicht
Sie habe gesagt, der Antrag müsse einfach sein. „Aus meinen Besuchen war klar: Es ist ein Großteil älterer Menschen betroffen. Und die Menschen haben andere Sorgen, als irgendeinen aufwendigen Kram zu machen.“ Ein neues Programm aufzusetzen, hätte in der kurzen Zeit nicht funktioniert, da es ja in die Arbeitsabläufe hätte angebunden werden müssen.
Daher habe ein Privatunternehmen ein vorhandenes System umprogrammiert. Der Auftrag, es bürgerverständlich zu machen, sei aber nicht wirklich gelungen. Scharrenbach: „Das war mehr eine Verwaltungssicht auf solch einen Antrag. Und das war irre aufwendig. Ich habe da echt Blutdruck gehabt.“
Vor allem die westfälischen Bezirksregierungen in Arnsberg, Münster und Detmold, die die beiden rheinischen unterstützten, seien die Sache aber recht pragmatisch angegangen. Die Ministerin: „Ohne das wären wir heute noch nicht so weit.“ Und auch das Ministerium selbst unterstützte. „Wir haben anfangs auch vieles aus dem Ministerium direkt gemacht, wo wir gesagt haben, das dauert zu lange über die Bezirksregierung. Wir ziehen das vor, wir bescheiden es aus dem Ministerium.“
Trotzdem ärgert sie heute immer noch, dass vor allem von der SPD, aber auch in Medien das Verfahren öffentlich schlechtgeredet worden sei. „Die SPD ist mir schon ziemlich auf den Keks gegangen mit dem Schlechtmachen des Antragsverfahrens. Das war nicht klug.“ Denn das habe mit dazu geführt, dass viele Menschen erst gar keinen Antrag gestellt hätten.
„In Mechernich war ich bei einer älteren Dame, die war 2016 schon mal abgesoffen. Ich habe gefragt: ‚Haben Sie schon einen Antrag gestellt?‘ Da hat sie gesagt: ‚Nein, man liest ja, das ist alles so kompliziert.‘ Dann müssen Sie die Frau erst mal davon überzeugen und sagen: 'Nee, das ist nur eine politische Schlägerei. Stellen Sie den Antrag, machen Sie das'!“
Youtube-Tutorials und FAQ-Hinweise? Super. Aber der Großteil der Menschen brauchte Hilfe. „Das musste sich einspielen. Und brauchte Zeit. Denn viele Menschen wollten sich bei der Antragsstellung erst mal alles von der Seele reden.“ Dank der Hilfestellung der Verwaltungen, der Rheinischen Sparkassen, der Hilfsorganisationen und der Wohlfahrtsverbände habe das Antragsverfahren aber funktioniert. Und tue es bis heute.
Auch die Ministerin kämpfte mit bürokratischen Hindernissen
Auch bürokratische Hindernisse lagen auf dem Weg. Da habe auch sie manchmal geflucht. Etwa, als es in den Förderrichtlinien um die Auftragsvergaben ging. Es habe große Sorge vor ungeheuer viel Missbrauch gegeben.
„Ich habe gesagt, unbürokratische Lösungen sind wichtig. Erst mal wollen die Leute wieder aufbauen. Wir vertrauen dem, was sie uns vorlegen, und arbeiten mit Abschlägen. Und ich hab' auch gesagt, wir warten nicht, bis ein Gutachten vorliegt. Ich weiß gar nicht, ob es so viele Gutachter gibt. Die Leute werden es beantragen, und wenn sie sagen, wir liefern in sechs Monaten das Gutachten, dann ist das auch okay.“
Schon am 19. Juli habe sie das Vergaberecht für die öffentliche Hand bis Ende 2021 ausgesetzt. Und den Kommunen habe sie gesagt: „Wir machen hier keine Einzelanträge. Wir machen jetzt einen Deckel. Wir machen Deckelpolitik. Ihr schätzt das. Wir legen damit einen Rahmen fest und sehen nachher, ob ihr den Rahmen braucht oder nicht.“
Aber manche dicken Bretter hat sie auch nicht durchbohren können. Etwa bei der psychosozialen Nachversorgung. Scharrenbach: „Schließlich habe ich gesagt, wir machen jetzt ein interkommunales Kooperationsprojekt für das Hilfezentrum Schleidener Tal. Sonst gäbe es das bis heute nicht.“
Es ist nicht ihr Ressort, aber Ina Scharrenbach hat auch verfolgt und kritisiert, dass bei der Wiederaufbauhilfe für die Firmen einiges nicht rundlief. Scharrenbach: „Auf der einen Seite ist es gut, dass das europäische Recht eine Regelung für Naturkatastrophen bei Unternehmen vorsieht. Auf der anderen Seite ist es doch einigermaßen lebensfremd. Ich habe von Anfang an gesagt, während wir bei Privaten bis zu 80 Prozent geben und bei Kommunen und Vereinen 100 Prozent, muss bei Unternehmen der Zeitwert genommen werden. Da hab' ich gesagt: ‚Leute, was abgeschrieben ist? Du musst ja neue Maschinen kaufen‘.“
Da merke man, dass das Recht nicht passe. Die Ministerin: „Es sind so viele Traditionsbetriebe dabei. Da blutet mir manchmal das Herz. Ich habe die Argumentation mit dem Wettbewerb nie verstanden. Die Naturkatastrophe hat doch den Wettbewerb zerstört. Wir stellen doch nur den Zustand vor der Katastrophe wieder her. Und damit den Wettbewerb.“
Und ihr Fazit nach zwei Jahren Wiederaufbau? „Kurz gesagt: Viel getan, viel zu tun.“