Köln – Es sei frustrierend, sagt Stefan Müller und zeigt auf die Überbleibsel des Gebäudes, das früher mal sein Zuhause war. Eingefallene Außenwände, Trümmer und Metallstützen, damit das noch stehende obere Stockwerk nicht abstürzt. Es ist acht Monate her, dass die Juli-Flut einen großen Teil des Hauses zerstört hat, in dem Müller mit seiner Freundin und seinem Sohn gelebt hat. „Aber wir kommen und kommen nicht weiter, das ist ein absolutes Trauerspiel“, sagt der Bergisch Gladbacher. „Bis Anfang des Jahres mussten wir auf die Zusage für die Wiederaufbauhilfe des Bundes warten, und jetzt warten wir immer noch auf die Baugenehmigung der Stadt.“
Der Hebborner Bach, normalerweise ein Rinnsaal, schoss am 14. Juli vergangenen Jahres kurz nach 18 Uhr wie ein Tsunamie durch die Hinterhöfe an der Odenthaler Straße. Marianne Kappes hat immer noch vor Augen, wie die braune Flut alles mit sich riss: „Küche, Wohnzimmer, Esszimmer, Flur, Gäste-Toilette, Klamotten, Fotos, Erinnerungen – alles futsch“, sagt Müllers Lebensgefährtin. Das Badezimmer im Souterrain wurde auf das Nachbargrundstück geschleudert. Die Wucht der Flutwelle drückte sogar Müllers Auto durch die Rückwand des Gebäudes. Tage später brachen dann auch noch Dach und Balkon des Anbaus ein.
Schnelle Hilfe versprochen
Schnelle und unbürokratische Hilfe, über die von Politikern oder Behördenchefs immer gesprochen werde, die müsse es woanders geben, sagt Müller. „Bei uns hier jedenfalls nicht.“
Der Wiederaufbau nach der Hochwasser-Katastrophe geht vielerorts nur schleppend voran. Die elende Sorge um die Existenz, komplizierte Anträge und Verfahren, die nervenaufreibende Kommunikation mit den Behörden und die oft aussichtslose Suche nach in diesen Zeiten kaum mehr freien Handwerkern ist kräftezehrend für die von der Flut Betroffenen.
607 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe bewilligt oder ausgezahlt
Am Geld jedenfalls dürfte es nicht fehlen. Aus einem im September vergangenen Jahres beschlossenen Bundeshilfsfonds über insgesamt 30 Milliarden Euro stehen NRW etwa 12,3 Milliarden Euro zur Verfügung. Doch ausgezahlt oder bewilligt wurde bisher, sechs Monate nach Antragsstart für die Wiederaufbauhilfe, nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des Geldes: 607 Millionen Euro. Davon geht laut NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach mit etwa 338 Millionen Euro der größte Teil an betroffene Bürger, die ganz überwiegend Hilfen für Gebäude und Hausrat beantragten. Bei Gebäudeschäden werde das Verfahren zudem künftig weiter vereinfacht - etwa auf Zwischenabrechnungen verzichtet.
„Die Leute bekommen ihr Geld dann noch zügiger“, versichert Scharrenbach. Nachdem die Bearbeitung der Unterlagen in den Monaten nach dem Antragsstart bei der Bezirksregierung Köln nur schleppend vorangekommen war und der Großteil der Betroffenen händeringend auf Geld oder eine Zusage wartete, wurde im Januar dieses Jahres ein Teil der Arbeit von den weiteren vier Bezirksregierungen in NRW übernommen. Seitdem scheint es besser zu klappen, zumindest wenn man der Ministerin glaubt.
95 Prozent der Anträge von Privatleuten bearbeitet
Von den 14.399 Anträgen, die bisher von Privatleuten gestellt wurden, seien „zum Stand 10. März 95 Prozent geprüft oder bewilligt worden“, so Scharrenbach zum „Kölner Stadt-Anzeiger“: „.Doch die Mammutaufgabe steht noch bevor.“ Derzeit berate das Ministerium 24 der etwa 200 von der Flut betroffenen Kommunen. „Insbesondere die Wiederherstellung der Infrastruktur in den Städten und Gemeinden wird noch große Summen kosten. Kurzum: Das bisherige Antragsvolumen wird sich um ein Vielfaches erhöhen.“
Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flut und dem Versagen der Institutionen angesichts der Naturkatastrophe gibt es im nordrhein-westfälischen und rheinland-pfälzischen Landtag. Dass es in NRW, wenige Wochen vor der Landtagswahl am 15. Mai, oft auch um politische Scharmützel gehen wird, war abzusehen. So wurde eine Sondersitzung beantragt, in der NRW-Umweltministerin Heinen-Esser erklären sollte, warum sie kurz nach der Juli-Flut zurück zu ihrem Zweitwohnsitz nach Mallorca reiste. „Sollte es dafür keinen triftigen Grund geben, muss die Ministerin zurücktreten“, forderte die SPD.
Politische Scharmützel im NRW-Untersuchungsausschuss
Der Ausschuss habe doch nicht den Auftrag, „das Familienleben von Mitgliedern der Landesregierung in die Öffentlichkeit zu zerren“, empörte sich die CDU. Auch NRW-Innenminister Herbert Reul musste sich Vorwürfen stellen, viereinhalb Stunden lang. Er hätte viel zu spät reagiert, hieß es. Der Krisenstab des Landes hätte nicht erst am dritten Tag der Überflutungstragödie einberufen werden müssen. „Verschiedentlich wird ja der Eindruck erweckt: Alle Welt hat es kommen sehen, nur die im Innenministerium waren zu doof“, entgegnete der CDU-Politiker: Das sei „schlicht Unfug“.
Die Aufbauarbeiten im Ahrtal sind längst im Gange. Nach wie vor zeugen unübersehbare Spuren von der Flutkatastrophe mit ihren 134 Toten. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen Jürgen Pföhler, Ex-CDU-Landrat und seinen Krisenstabsleiter wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Die Verantwortlichen sollen viel zu spät die Bevölkerung vor den herannahenden Wassermassen gewarnt haben.
Beschuldigte weisen Vorwürfe zurück
Die Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Nach Ansicht des Verteidigers Christoph Arnold, der den Krisenstabsleiter vertritt, wird gegen die Falschen ermittelt: „Es ist erschreckend, wie hilflos die Landesregierung in jener Flutnacht agierte. Anstatt selbst die Verantwortung zu übernehmen, sollen nun ehrenamtliche Flutretter wie mein Mandant das Desaster strafrechtlich ausbaden.“
Sein Kollege Olaf Langhanki, der Ex-Landrat Pföhler verteidigt, hat unlängst in einer Stellungnahme bekundet, dass die Mitglieder des Krisenstabes (TEL) durch die Flutwelle völlig überrascht wurden: „Niemand hielt den Eintritt einer durch Wassermassen ausgelösten Katastrophe von derartigem Ausmaß für möglich.“
Krisenstab im Blindflug
In jener Flutnacht agierte der Krisenstab demnach im Blindflug. Das Handynetz und der Digitalfunk fielen in großen Teilen aus. Schlimmer noch: Durch falsche Hochwasserprognosen des Landesamtes für Umwelt (LfU) glaubte der Krisenstab, die Lage im Griff zu haben. Zeitweilig hatte das LfU einen falschen Pegel von gut vier Metern herausgegeben. Tatsächlich aber stieg das Hochwasser in jener Nacht auf mehr als das Doppelte.
Inzwischen deuten die Nachforschungen auch auf ein Versagen der rheinland-pfälzischen Landesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden hin. So musste Innenminister Roger Lewentz (SPD) in seiner Vernehmung einräumen, dass er erst am Morgen nach der Katastrophe das ganze Ausmaß erahnte und erste Meldungen über „Personenschäden“ erhielt. Bis heute ist unklar, warum Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in der Flutnacht nicht mehr erreichbar war.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Mainz beleuchtet die Geschehnisse. In dem Kontext förderte unter anderem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ äußerst peinliche SMS-Nachrichten der damaligen Grünen-Umweltministerin Anne Spiegel zutage. Diese legen nahe, dass sich die heutige Chefin des Bundesfamilienressorts vor allem um ihr Image nach dem Unglück sorgte.
Von einer glaubwürdigen Rolle für Spiegel ist in den SMS die Rede, von einem „Blame Game“ durch den sozialdemokratischen Koalitionspartner. Innenminister Lewentz, so der Tenor, könnte versuchen, ihrem Hause die Schuld in die Schuhe schieben, nicht ausreichend vor dem Jahrhunderthochwasser gewarnt zu haben. Spiegel hat bei ihrem Auftritt im Untersuchungsausschuss vor einer Woche diesem Eindruck widersprochen, doch Zweifel bleiben.