Wenn auch der zweite Neubau steht, werden die Bauwerke acht statt vier Fahrstreifen haben. Die Kosten steigen weit über die Milliardengrenze.
Rhein-Überquerung der A1Die Leverkusener Autobahnbrücke ist verbunden
Die Stimmung könnte besser nicht sein, als die Rhein-Fantasie, eines der Flaggschiffe der Köln-Düsseldorfer, am Dienstagmorgen vom Anleger 3 vor der Altstadt-Kulisse ablegt und sich über den im Sonnenlicht glitzernden Rhein mit mehr als 300 Gästen an Bord Richtung Leverkusener Rheinbrücke aufmacht. Ein Jahrzehnt war sie das Sorgenkind unter den Autobahnbrücken in Deutschland, ehe sie im Dezember 2021 von der jetzt auf gleich wegen Baufälligkeit gesperrten und inzwischen gesprengten Rahmede-Talbrücke in Lüdenscheid abgelöst wurde.
„Heute fahren wir raus und werden tatsächlich sehen, wie die letzten vier Stahlteile eingehoben werden, um dieses Bauwerk zu beenden, zumindest was die Konstruktion angeht“, begrüßt Thomas Ganz, Chef der Niederlassung Rheinland der Autobahn GmbH des Bundes, auf dem Oberdeck seine Gäste. „Es ist viel bewegt worden in den letzten zweieinhalb Jahren. Trotz Corona, trotz diverser Lieferschwierigkeiten sind wir in dem Zeitplan geblieben, den wir uns vorgenommen haben.“ Pause. „Den wir uns beim Neustart 2021 vorgenommen haben.“
Rheinbrücke bei Leverkusen: Landgericht Köln würd über möglichen Schadensersatz entscheiden
Stopp. Da war doch noch was. Genau. Doch das könnte die Feierlaune trüben. Deshalb fährt die im April 2020 vom Landesbetrieb Straßen NRW ausgesprochene fristlose Kündigung des Generalunternehmers Porr wegen aus Sicht des Bauherrn mangelhafter und nicht einbaubaufähiger Stahlbauteile zwar irgendwo im Schiffsbauch mit, aber an Deck will diesen ungebetenen Gast keiner mehr holen.
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Dass der österreichische Baukonzern mit seiner deutschen Tochter den Neubau beider Brückenteile samt Abbruch des alten Bauwerks für schlappe 363 Millionen Euro stemmen wollte, scheint allen Anwesenden angesichts der Tatsache, dass man jetzt wohl die Milliardengrenze überschreiten wird – die 400 Millionen Euro für die Anschlüsse in Köln-Niehl und ans Kreuz Leverkusen-West nicht eingerechnet – einfach nur höchst unseriös kalkuliert. Über den Schadenersatz, den beide Seiten gegenseitig einfordern, wird irgendwann das Landgericht Köln entscheiden.
Einer kann es aber doch nicht lassen, den Finger in die Wunde zu legen. Uwe Heiland, Geschäftsführer des Unternehmens SEH Engineering, das als Stahl-Baustein in einer Arbeitsgemeinschaft das halbfertige Bauwerk übernahm. „Man kann versuchen, durch Nicht-Leistung, durch Verzögern, durch Blockieren wirtschaftlichen Erfolg zu haben“, sagt er, ohne Porr explizit zu nennen. Diese Unsitte sei in der Baubranche „durchaus in einer gewissen Breite vorhanden“. Dem habe man einen Riegel vorgeschoben. Aus Sicht des Auftragnehmers werde man das Bauwerk dem Bauherrn vier oder fünf Monate früher als geplant übergeben. Das hänge davon ab, ob man die tatsächliche Inbetriebnahme oder das Ende des Stahlbaus als Kriterium nehme.
Das klingt nach einer Meinungsverschiedenheit mit der Autobahn GmbH über die Frage, welche Boni-Zahlungen für schnelleres Bauen am Ende in Rechnung gestellt werden können. „Wir haben im Planungs- und Ausführungsprozess das Seilsystem für die Schrägseilbrücke geändert und eine Verzögerung von drei Monaten, die aus dem Baugrund kam, kompensiert“, sagt Heiland. „Wir waren zum Erfolg verpflichtet. Wir haben uns dazu bekannt.“ Deshalb sei es nur folgerichtig, dass die Arbeitsgemeinschaft jetzt auch die alte Brücke demontieren und den zweiten Neubau errichten werde.
Kölner Problemfall Mülheimer Brücke im Visier – Kritik an Autobahn GmbH
Ein Blick nach oben, die Rhein-Fantasie unterquert gerade die Mülheimer Brücke, deren Sanierung schon 2022 abgeschlossen sein sollte. „Das ist ein schlechtes Beispiel dafür, wie wir Aufgaben in der Infrastruktur angehen. Im besten aller Fälle wird sie 2026 fertig“, sagt Heiland. „Was das für die Bürger der Stadt Köln, für den Steuerzahler und alle Beteiligten bedeutet, kann man sich gut vorstellen.“
Und weil er gerade mal dabei ist, kommentiert Heiland auch noch das Desaster mit der Übernachtsperrung der Rahmede-Talbrücke bei Lüdenscheid. „Entweder hat man in einer hysterischen Überreaktion den Verkehr von jetzt auf gleich von der Brücke genommen und das war eine Fehlentscheidung. Oder die Entscheidung war richtig, aber dann hat man diese Brücke in ihrem Endzustand langsam dahinsiechen lassen“, sagt Heiland.
Angesichts dieser deutlichen Worte stockt so manchem der vielen Fachleute auf dem Oberdeck der Atem. Deutlicher kann die Kritik an der Autobahn GmbH und ihrem Vorgänger, dem Landesbetrieb Straßen NRW, wohl nicht ausfallen.
Zentimeter für Zentimeter zur Brückenhochzeit
Doch inzwischen hat die Rhein-Fantasie die Leverkusener Brücke unterquert, beigedreht und liegt jetzt auf der Strommitte knapp hinter dem Binnenschiff Amara, in deren Bauch das letzte Bauteil ruht, das zur sogenannten Brückenhochzeit per Kran zwischen in die Lücke Leverkusen und Köln eingehoben werden muss. Zentimeter für Zentimeter ziehen die roten Baukräne, die auf beiden Seiten des Brückenneubaus stehen, den Koloss in die Höhe. Das alte Banner mit der Aufschrift „Wir können das“, den die Autofahrer über Monate beim Passieren des alten Bauwerks lesen durften, hat SEH Engineering durch ein eher freundliches „Lückschluss. Einfach mehr Leistung“ ersetzen lassen. Genug der Provokation.
Das Horn der Rhein-Fantasie vermeldet den Lückenschluss, der aus der Ferne bis auf den Millimeter genau für die Gästeschar mit bloßem Auge doch nicht zu erkennen ist, mit einem lauten Signalton. Applaus brandet auf, man reicht ein paar Häppchen, die Gäste trinken das ein oder andere Kölsch auf die neue Verbindung, während Nicole Ritterbusch, Leiterin des Geschäftsbereichs Rheinbrücken bei der Autobahn GmbH, längst die nächsten Bauschritte im Kopf hat. „In den nächsten Tagen werden die letzten Stahlteile noch miteinander verbunden. Dann muss der weitere Ausbau der Brücke erfolgen.“ Ende 2023 soll die Brücke fertig sein. Ob das Bauwerk dann wie geplant Ende Januar freigegeben werden kann, sei wegen der Asphaltarbeiten „auch ein bisschen witterungsabhängig“.
Der Rückbau der alten Schrägseilbrücke werde noch „einmal ein sehr spannender Vorgang, weil das in Europa so noch niemals gemacht wurde“, sagt Ritterbusch. Dafür habe man ein Jahr eingeplant. Ende 2027 soll dann auch der zweite Neubauteil stehen. Ob mit oder ohne neuerliche Hochzeitsfahrt auf dem Rhein, ist noch nicht entschieden.
Zusammen werden die beiden neuen Bauwerke acht statt derzeit vier Fahrstreifen haben. Die alte Rheinbrücke ist in die Jahre gekommen. Laut Autobahn GmbH war sie für 40.000 Fahrzeuge pro Tag konzipiert worden - mittlerweile überqueren auf ihr aber rund 100.000 täglich den Rhein. Insgesamt kostet der Ausbau der A1 zwischen Köln-Niehl und dem Autobahnkreuz Leverkusen West 1,4 Milliarden Euro.