Covestro entwickelt in Leverkusen eine Methode, den wichtigen chemischen Grundstoff Anilin aus Pflanzen zu erzeugen
Covestro im ChemparkLeverkusener wollen Farben-Rohstoff aus Zucker machen
Die farblose bis schwach gelbliche, ölige Flüssigkeit mit seltsam süßlichem Geruch ist in der chemischen Industrie so wichtig, dass ein Chemieunternehmen den Namen Anilin in den Firmennamen einbaute: die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF). Aber auch bei Bayer in Wuppertal und später in Leverkusen spielte der meist aus Rohöl synthetisierte Stoff in der Farbenherstellung von Anbeginn eine entscheidende Rolle. Bis heute ist der Grundstoff für die Kunststoff-Herstellung höchst bedeutend, zum Beispiel wird Anilin gebraucht, um Isolier-Hartschaum herzustellen.
Chemiker aus der inzwischen acht Jahre alten Bayer-Ausgründung Covestro beschäftigen sich im Chempark deshalb seit 2013 mit der Chemikalie. Sie suchen einen Weg, wie man ihn industriell aus Zucker herstellen kann. Man müsste also kein Erdöl mehr importieren, sondern Anilin aus Pflanzen wie Mais, Zuckerrohr oder Stroh herstellen.
Im Labor funktioniert es, industriell noch nicht
Im Labor funktioniert die Sache, nur die industrielle Herstellung ist bisher noch nicht gelungen. Seit kurzem steht jetzt im Chempark eine Pilot-Anlage, mit der man sich an eine großtechnisch-industrielle Herstellung des Zucker-Anilins herantasten will. Um diese kleine Anlage einzuweihen, ist am Dienstag die NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) nach Leverkusen gekommen, um sich diese Neuheit anzusehen. Sie setzt darauf, dass, wenn der Prozess in Leverkusen gelingt, einmal mehr klargestellt sei, „dass wir in NRW technologisch führend sind“. Dass das so ist, daran lässt Covestros Technik-Vorstand Thorsten Dreier keinen Zweifel; deshalb habe das weltweit operierende Unternehmen die Anlage im Chempark gebaut.
Alles zum Thema Leverkusen Chempark
- EVL Was Leverkusen für die Energiewende braucht
- Kunststoff-Konzern Covestro holt neue Vertriebschefin nach Leverkusen
- Leverkusener Konzern Warum Covestro verrät, was jeder verdient
- Nach einem Jahr Austausch der defekten Lüftung am Campus Leverkusen hat begonnen
- Bayer-Kasino Leverkusener Chempark-Mitarbeiter feiern unter den Platanen
- Probleme nach Explosion Anwohner des Leverkusener Sondermüllofens erhebt Dienstaufsichtsbeschwerde
- Tag der Ausbildung bei Currenta Zukünftige Azubis schnuppern in verschiedene Berufe
Die kleine Pilot-Anlage ist rein für Forschungszwecke aufgebaut worden, zum weltweiten Bedarf von sechs Millionen Tonnen Anilin kann sie nichts beitragen. Die Anlage nimmt im Covestro-Technikum im Flittarder Werksteil etwa so viel Raum ein, dass sie in ein Klassenzimmer passen würde. Fotografieren verboten: Die Sache ist noch so geheim, dass die Besucher sogar ihre Handys und Kameras im Bus liegen lassen müssen.
Für Bilder von dem Aufbau, an dessen Konzept man in Leverkusen seit 2013 feilt, würden sich vermutlich Industriespione in der ganzen Welt interessieren. Der neue Prozess ist nicht ganz einfach, die Anlage besteht aus einer Menge Gläser, Kessel, Messgeräten und Elektrokabel; 600 Meter Rohrleitungen haben die Chemiker dafür zusammengesetzt.
Covestro: Aus Zucker-Pulver wird Anilin
Hinten soll also Anilin herausströmen, vorne wird die Apparatur mit einem pulvrigen Vorprodukt gefüttert, das Bakterien aus dem in den Pflanzen enthaltenen Zucker erzeugen – eine Fermentation. Thorsten Dreier sagt, dass Covestro bis 2035 CO₂-neutral werden soll. Die neuartige Anilin-Methode soll dabei hilfreich sein.
Covestro hat Fördergeld bekommen, auch deshalb ist Mona Neubaur gekommen. Der Chemie-Professor Walter Leitner von der Aachener Universität ist an dem Leverkusener Pilotprojekt beteiligt. Er sagt, die Chemie brauche den Kohlenstoff, man müsse aber vom fossilen Erdöl wegkommen, das bisher diesen Kohlenstoff liefert, dabei helfe das Bio-Anilin.
Interessant sind bei Veranstaltungen wie der von Covestro, über welche Aspekte einer neuen Technologie nicht so gerne gesprochen wird, zum Beispiel, wo die vielen Pflanzen herkommen, die zu Anilin verarbeitet werden sollen. Die chemische Industrie wird damit zu einem Konkurrenten um Land, auf dem potenziell Nahrungsmittel erzeugt werden können. Mona Neubaur sagte: „Biomasse ist nicht unendlich verfügbar.“ Über den Energiebedarf des neuen Prozesses wollte Thorsten Dreier nicht viel sagen. Nur, dass man sich nur mit neuen Prozessen beschäftige, die in die Klima-Pläne des Unternehmens passten.