Im Interview von Ende Oktober spricht Karl Lauterbach, mittlerweile nun offiziell von der SPD als Gesundheitsminister nominiert, über die Baustellen in der Gesundheitspolitik und wie man den Autobahnausbau noch verhindern kann.
Herr Lauterbach, in einer Ampel-Koalition wird es keine Bürgerversicherung geben und auch kein Tempolimit. Beides haben Sie immer wieder gefordert. Sind Sie enttäuscht vom Ergebnis der Sondierungen?
Karl Lauterbach: Nein, ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Man muss das große Ganze sehen. Das waren zwei für mich zwar wichtige, aber dennoch einzelne Punkte, die nicht durchzusetzen waren. Es wäre vollkommen falsch und vermessen zu sagen, jetzt kommt kein Tempolimit, also schließen wir keine Koalition.
An welchen Stellen in den Sondierungen hat sich die SPD entscheidend durchgesetzt?
Ich wehre mich dagegen, hier aufzurechnen, wer was durchgesetzt hat und wer ein bisschen weniger Erfolg hatte. Das bringt uns nicht weiter. Klar ist: Der Koalitionsvertrag wird eine sozialdemokratische Handschrift haben. Dazu gehört als zentraler Punkt der Mindestlohn, der immerhin zehn Millionen Menschen betrifft und auf zwölf Euro steigt. Auch Mni- und Midijobs werden besser vergütet, und das Rentenniveau wird nicht sinken. Beim Klimaschutz punkten wir damit, dass Bearbeitungsverfahren für Investitionen in den Klimaschutz dramatisch verkürzt werden.
Zur Person
Karl Lauterbach, 1963 in Düren geboren, ist seit 2005 Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Leverkusen/Köln-Mülheim.
Der Gesundheitsexperte der SPD hat in Aachen, Düsseldorf, Harvard und San Antonio/Texas Medizin studiert und am Institut für Nuklearmedizin in Jülich promoviert. Von 1998 bis 2005 war er Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Universität zu Köln.
Bei der Bundestagswahl 2021 verteidigte er das Direktmandat mit einem Stimmanteil von 45,6 Prozent vor Serap Güler (CDU, 20,4 Prozent) und Nyke Slawik (Grüne, 11,3 Prozent).
Sie verhandeln für die SPD jetzt den Koalitionsvertrag im Bereich Gesundheit und Pflege. Welche Ziele haben Sie sich für die Gespräche gesetzt?
Ich werde keine Ziele öffentlich kommunizieren und hoffe, die anderen sind auch so schlau, das nicht zu tun. Ich habe viel Erfahrung im Führen von Koalitionsgesprächen und weiß: Das Beste kommt raus, wenn man vertrauensvoll miteinander diskutiert, Zwischenergebnisse nicht in der Zeitung stehen und auch Ziele nicht öffentlich auseinandergenommen werden.
Welche Baustellen gibt es denn in der Gesundheitspolitik?
Wir haben riesige Baustellen, die coronabedingt nicht bearbeitet wurden. Das ist ausdrücklich keine Kritik an Jens Spahn. Aber in den letzten zwei Jahren ist sehr viel liegen geblieben. Die Krankenhäuser sind stark defizitär, insbesondere die Unikliniken. Der Ausbau der Digitalisierung ist ins Stocken geraten, sowohl in den Praxen als auch in Krankenhäusern. Die Krankenkassen machen zweistellige Milliardendefizite. Es gibt erhebliche Probleme in der Vorbeugemedizin. Wir müssen uns jetzt an den einzelnen Problemen entlanghangeln. Ich hätte zu allen eine Position, aber die kommt nicht per Pressemitteilung.
Dann vielleicht etwas konkreter: In der Corona-Krise wurde eine Krise der Pflege sichtbar wie nie zuvor. Welche Ideen haben Sie für eine Unterstützung der Pflege?
Natürlich habe ich auch hier Gedanken, aber die kann ich Ihnen nicht vortragen. Diese Woche verhandeln wir, und meine Mitstreiter aus den anderen Parteien haben eigene Vorschläge. Meine hier zu nennen, wäre unseriös. Klar ist aber: Das Problem in der Pflege ist riesig. Der Mangel an Pflegekräften ist prekär. Und zwar so sehr, dass wir tatsächlich nicht mehr alle Krankenhäuser betreiben können, wenn wir nicht zusätzliche Kräfte gewinnen. Wir brauchen also wesentliche Reformen. Es geht um Menschenleben, die wir retten, wenn wir Kliniken vor der Schließung retten.
Drängen Sie Ihre Parteiführung, das Gesundheitsministerium für die SPD zu beanspruchen?
Personalfragen werden ganz zum Schluss entschieden. Jetzt arbeite ich erst einmal an der Richtung, die das Gesundheitssystem in den nächsten vier Jahren einschlägt. Die wichtigsten Entscheidungen mit bindender Funktion werden meist in den Koalitionsgesprächen getroffen. Da ist es auch zentral, was verhandelt wird und auf welcher Grundlage. Das hat eine oft große Bedeutung. Ich habe es selbst in der Vergangenheit erlebt, dass Gesundheitsminister nicht den maximalen Einfluss hatten, weil sie die Koalition nicht mit verhandelt hatten.
Mal angenommen, die SPD bekommt das Gesundheitsministerium. Wäre es denkbar, dass jemand anderes als Sie Minister wird?
Es gehört sich für mich nicht, darüber zu spekulieren. Und man darf sich selbst auch nicht überschätzen. Ich bin gut vorbereitet und habe mich seit Wochen noch einmal mit Spezialisten ausgetauscht, um die besten Lösungen vorzubereiten.
In Leverkusen führen drei Autobahnen durch das Stadtgebiet. Zwei sollen verbreitert und ausgebaut werden. Welche Folgen hat der Verkehr für die Gesundheit der Menschen in der Stadt?
Es wird immer klarer: Der Feinstaub, der insbesondere durch das Autofahren entsteht, beschädigt den ganzen Körper. Man riecht ihn nicht, man sieht ihn nicht, aber er beschädigt die kleinen Gefäße, und das Risiko von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Demenz und Diabetes steigt deutlich. Leverkusen ist sehr stark belastet, vor allem durch drei Autobahnen, aber auch durch die Schifffahrt, Bahntrassen und den Flugverkehr. Daran hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Ich hoffe, dass wir jetzt ein neues Kapitel im Buch der Verkehrspolitik aufschlagen können.
Was sollte in diesem stehen?
Bisher wird Verkehrspolitik von reinen Kosten-Nutzen-Analysen bestimmt. Es gibt ein verkehrspolitisches Ziel, dass möglichst günstig erreicht werden soll. Eine neue Verkehrspolitik muss um die Faktoren Gesundheit und Umweltverträglichkeit ergänzt werden. Die Zeiten, in denen es nur darum geht, möglichst kostengünstig von A nach B eine Straße zu bauen, sind vorbei.
Sie wollen den Ausbau der Autobahnen in Leverkusen verhindern. Was ist dafür zu tun?
Zuerst muss sich das Verkehrsministerium in NRW bewegen. CDU-Minister Hendrik Wüst und Straßen NRW haben mit der Stelzenlösung für die A1 dem Bund die günstige Vorzugsvariante gemeldet, und der Bundesverkehrsminister darf sich daher nicht einfach darüber hinwegsetzen und eine teurere Tunnellösung wählen. Wir müssen also entweder im Bund entscheiden, dass wir auch Bauprojekte bezahlen, die teurer sind. Oder wir brauchen im Land eine neue Entscheidung.
Heißt also, die Landtagswahl in NRW 2022 ist entscheidend für die Zukunft der Autobahnplanung?
Ja. Die Planungsverfahren laufen noch, finale Beschlüsse gibt es nicht. Wenn die Landesregierung einen neuen Vorschlag macht, gibt es eine Chance, die Ausbaupläne entscheidend abzuwehren.
Wie werden Sie sich, abgesehen vom Verkehr, für Leverkusenerinnen und Leverkusener einsetzen?
Ich helfe Bürgern gerne konkret, wenn sie zu mir kommen. Ich bin bekannt dafür, dass ich mich für sie einsetze. Zum Beispiel eine Leverkusener Bürgerin, die aus Afghanistan nicht zurückkam, für die ich mich eingesetzt habe. Aber auch bei Anliegen des Klinikums, zum Beispiel beim Bau neuer Pflegeeinrichtungen, oder wenn Bürger sich eine neue Verkehrsführung wünschen, stehe ich immer zur Verfügung und arbeite mit ihnen an Lösungen. Heute Morgen hat mich eine Bürgerin gebeten, ihr beim Einholen einer Zweitmeinung zu einer Knöchelfraktur zu helfen. Ich habe ihr einen Spezialisten vermittelt, den ich persönlich angerufen habe.
Sollte Currenta die Müllverbrennungsanlage in Bürrig wieder aufbauen dürfen?
Es ist wichtig, sich hier zurückzuhalten bis zu einer endgültigen Bewertung der Explosion. Was genau hat zum Unfall geführt? Könnte sich das wiederholen? Das sind Fragen, die zuerst final beantwortet werden müssen.
Sie haben für Leverkusen nun zwei Mitstreiterinnen im Bundestag, Nyke Slawik von den Grünen und Serap Güler von der CDU. Wo liegen Gemeinsamkeiten, wo Unterschiede?
Ich möchte die Kolleginnen nicht in dieser Richtung bewerten. Mit Nyke Slawik habe ich mich schon im Wahlkampf bei bestimmten Themen viel ausgetauscht. Ich schätze sie sehr und habe auch von ihr gelernt, was für ein Gewinn die von ihr repräsentierte Diversität für den Bundestag sein wird. Für den Wahlkreis ist es eine Stärkung, wenn jetzt drei Leute für ihn im Bundestag sind.