Die Belegschaft ist entschlossen, die Stimmung gut, der Arbeitgeber schweigt: Eindrücke vom ersten Streik unter dem Bayer-Kreuz seit fast 50 Jahren.
WarnstreikChemie-Gewerkschaft kämpft gegen Tarifflucht in Leverkusen
Es klingt fast entschuldigend: „Wir haben alles versucht“, sagt Yildirim Aydinoglu. Er steht mit vielen Kollegen vor Tor 4 des Chempark und hat eine flammneue, leuchtende Weste mit der Aufschrift „Streikleitung“ übergestreift. Im Arsenal der IGBCE wird so etwas eigentlich kaum mal gebraucht. Seit 5 Uhr ist die Belegschaft von Indulor im Ausstand. Zunächst mal für 32 Stunden.
Aydinoglu stellt seit Jahrzehnten Papier-Aufheller her. Als er anfing, war Blankophor noch eine Marke von Bayer. Sein nächster Arbeitgeber war die Chemie-Ausgründung Lanxess – inzwischen gehört sein Betrieb im Chempark zu Indulor. Das ist ein Familienunternehmen mit Hauptsitz in Ankum bei Osnabrück. Das Problem: Das Unternehmen, in dem derzeit 67 Menschen arbeiten, ist schon Ende 2020 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Damit gilt auch der Tarifvertrag der Chemischen Industrie nicht mehr für Indulor.
Die Geschäftsführerin kam nur ein Mal
Seitdem habe die Gewerkschaft immer wieder versucht, die Gegenseite umzustimmen. Drei Verhandlungsrunden seien zustande gekommen, berichtet René Korsch. Nur an der ersten habe Geschäftsführerin Kirsten Steinhaus teilgenommen. „Danach wurden nur noch Anwälte geschickt“, erinnert sich der Gewerkschaftssekretär. Ausgerichtet habe man nichts.
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Deshalb „ist sogar uns jetzt der Kragen geplatzt“, sagte IGBCE-Bezirksleiterin Nina Melches. „Es gibt keine Gewerkschaft, die länger am Verhandlungstisch bleibt als wir“, erklärt ihr Kollege Korsch. Aber die Sache sei irgendwann aussichtslos erschienen. Deshalb nun der Warnstreik – unerhört für den Chempark.
„Das letzte Mal wurde hier 1973 oder 1976 gestreikt“, sagt Adnan Colic. Der Vorsitzende des Indulor-Betriebsrats schildert, wie sich die Tarifflucht in der Firma auswirkt: Neue Kollegen hätten nicht mehr die übliche 37,5-Stunden-Woche, sondern müssten 40 Stunden arbeiten. Über die Gehälter könne er nichts sagen – sie dürften niedriger sein.
Für wen gilt was?
Was den Arbeitnehmer-Vertreter ebenfalls nervt: Es gebe immer wieder Irritationen über die Betriebsvereinbarungen, die bei Indulor abgeschlossen wurden. Zum Beispiel: 35 statt 30 Tage Urlaub im Jahr. Die hatte einst die IGBCE heraus verhandelt, um auf die Tatsache zu reagieren, dass die Belegschaften in den Unternehmen im Schnitt immer älter werden und der Krankenstand steigt. Bei dem Farbstoff-Spezialisten wurde das Maximum vereinbart – zum Glück: Nach Jahrzehnten in der Produktion „braucht man die fünf Tage mehr“, sagt Yildirim Aydinoglu. Wer aber neu eingestellt werde bei Indulor, wisse oft erst einmal nichts von diesem Vorteil.
In der jüngeren Vergangenheit seien auch viele befristete Arbeitsverträge abgeschlossen worden, haben die Kollegen festgestellt. Das habe allerdings nicht nur Nachteile für die davon betroffenen Leute, sondern auch für das Unternehmen. So mancher sei schnell wieder weg – zu irgendeiner anderen Firma im Chempark, wo der Tarifvertrag noch gilt, hat Aydinoglu beobachtet.
Die schlechteren Konditionen bei Indulor führten auch dazu, dass man kaum noch Chemie-Facharbeiter bekomme, sondern Kräfte, die noch anzulernen seien: „Auf die Dauer ist das echt anstrengend.“
Da nütze es dann auch nicht viel, wenn bisher die Tarifabschlüsse an die Stammbelegschaft weitergegeben würden: zuletzt 3,25 Prozent mehr Geld und ein Inflationsausgleich von 1500 Euro. Ob auch die nächste Tranche fließt, weiß man nicht: In einer Firma, die aus dem Tarifvertrag geflohen ist, hängt jedes Mal alles davon ab, wie die Geschäftsführung entscheidet.
Genau darum gehe es Kirsten Steinhaus, liest René Korsch aus dem Verhalten der Indulor-Chefin. „Die will mit Gewerkschaft und Betriebsrat nichts mehr zu tun haben.“ Deshalb sind alle, die sich an diesem kalten Montag vor Tor 4 versammelt haben, überaus gespannt darauf, wie die andere Seite auf ihren Streik reagiert.