Mit 19 Großprojekten will das Rheinische Braunkohlerevier im Strukturwandel hin zur klimaneutralen Industrieregion Fahrt aufnehmen. NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur fordert vom Bund eine bessere Kraftwerksstrategie.
Neubaurs Wir-schaffen-das-MomentRheinisches Revier will Kohleausstieg 2030 packen
Mona Neubaur gibt sich im Brainenergy Park, dem Hauptquartier der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) kämpferisch: „Wir tun, was wir können“, sagt die NRW-Wirtschaftsministerin (Grüne) und meint den Kohleausstieg 2030. Am vergangenen Donnerstag erst hat der Bundesrechnungshof der Bundesregierung in einem Sonderbericht zum Stand der Energiewende den gesamten Fahrplan um die Ohren gehauen. Weder der Ausbau der erneuerbaren Energien noch der der Stromnetze sei im Plan, die Risiken für die Versorgungssicherheit mit Strom unübersehbar.
Am Montag schlägt die NRW-Landesregierung zurück und stellt „im engen Schulterschluss mit der Region“, so Neubaur, in Jülich 19 Ankerprojekte vor, die den Strukturwandel des Rheinischen Reviers befeuern sollen.
Knapp zwei Milliarden Euro stehen dafür aus den Fördermitteln des Bundes für den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 bereit. Ein Topf, der mit 14,8 Milliarden Euro gefüllt ist. Das schwarz-grüne Landeskabinett wird dazu in Kürze einen Beschluss fassen, obwohl der formal gar nicht vonnöten, sondern eher ein politisches Statement ist: Wir schaffen das.
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Wie steht es um den Kohleausstieg, die Energiesicherheit und den Strukturwandel in NRW? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Beginnen wir mit dem Strukturwandel. Wie kommt das Rheinische Revier voran?
Nach erheblichen Startschwierigkeiten hat die Zukunftsagentur Rheinisches Revier, zu der die Kreise Düren, Euskirchen, Heinsberg, der Rhein-Erft-Kreis, Neuss, die Städteregion Aachen und die Stadt Mönchengladbach gehören, endlich Tritt gefasst. Auf Druck der Landesregierung hat sie ihr Fördersystem vom Kopf auf die Füße gestellt. Vorangegangen waren Proteste der Mitgliedskommunen, die kritisierten, das Geld werde vor allem von Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen abgegriffen,
Ursprünglich waren das doch mehr als 400 Projekte. Jetzt sind es nur noch 19. Was ist aus den 391 übrigen geworden?
„Wir steigen aus einer Leitindustrie aus und müssen sehr viele Arbeitsplätze in kurzer Zeit kompensieren“, sagt Thomas Hissel, Erster Beigeordneter der Stadt Düren, die mitten im Kernrevier liegt. „Wenn es jetzt richtig losgeht, können wir das im Warenhaus des Strukturwandels nicht mit 400 Projekten machen, sondern müssen die wichtigsten ins Schaufenster stellen. Wir lichten die Anker, damit der Strukturwandel Fahrt aufnimmt.“
Welche Projekte gelten als beispielhaft?
Greifen wir drei Beispiele heraus: Das derzeit prominenteste der 19 Ankerprojekte ist der Aufbau der Digitalregion Rheinland. Die Ansiedlung von Microsoft gilt als der Hoffnungsträger und soll an den Standorten Bergheim, Bedburg und im Rhein-Kreis Neuss jeweils bis zu 2500 Jobs bringen. Microsoft will knapp 3,3 Milliarden Euro in drei Rechenzentren und Bildungsprogramme für Künstliche Intelligenz investieren.
Microsoft gilt als Hoffnungsträger
Bis zu 5000 neue Jobs könnten im Brainenergy Park Jülich entstehen. Das ist ein neuer Technologie- und Gewerbepark, der den Schwerpunkt auf neue Technologien in den Bereichen Energie, Wasserstoff und Digitalisierung legt.
Das Gesamtrevier hat kürzlich einen Gigawattpakt beschlossen. Dessen Ziel ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien auf mindestens fünf Gigawatt installierte Leistung bis 2028.
Damit wären wir bei der Energieversorgung und der Versorgungssicherheit mit Strom. Gehen beim vorgezogenen Kohleausstieg 2030 die Lichter aus? Hat der Bundesrechnungshof zu Recht Alarm geschlagen?
„Energieversorgungssicherheit und Klimaschutz sind die Grundlage, auf der die Bundesregierung und die Landesregierung den vorgezogenen Kohleausstieg auf 2030 im Rheinischen Revier vereinbart haben“, sagt Mona Neubaur. Die Landesregierung werde deshalb Ende März eine Initiative im Bundesrat starten und die Bundesregierung dazu auffordern, bei der Kraftwerksstrategie mehr zu tun.
Anfang Februar hatte sich die Ampelkoalition geeinigt, neue Gaskraftwerke im Umfang von zehn Gigawatt, die später mit Wasserstoff betrieben werden können, zur Absicherung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne als „Backups“ bereitzustellen. Und das zu möglichst niedrigen Kosten für die Stromkunden. Das wird aber nicht reichen, warnen das Bundeswirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur.
Und jetzt?
„Wir erwarten, dass der Bund mindestens auf 24 Gigawatt hochgeht. Dazu muss vor allem das Potenzial der Kraft-Wärme-Kopplung neben Biomasse und Biogas mitgenutzt werden. Wir haben hier in NRW ein dichtes Netz solcher Kraftwerksanlagen, die wir als Backup-Kraftwerke mit reinnehmen müssen, um die Zielmarke 2030 zu halten“, sagt Neubaur. „Denn klar ist, Nordrhein-Westfalen leistet mit dem um acht Jahre vorgezogenen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung die wichtigste klimapolitische Weichenstellung in Deutschland.“
Wie schnell lassen sich solche Gaskraftwerke bauen? Und wo?
Knapp sechs Jahre, das bestätigen alle Experten, werden einschließlich aller Genehmigungsverfahren, der Planungen und des Baus wohl nicht reichen. Im Rheinischen Revier hat die RWE Power AG am Standort Weisweiler mit den Planungen immerhin schon begonnen.
Mona Neubaur: „Energieversorgungssicherheit ist der wesentliche Kern für Investitionen in NRW“
Weiterer mögliche Standorte sind Neurath und der Knapsacker Hügel, letzterer vor allem zur Versorgung der Chemieindustrie. „Die Umrüstung ist ja nur ein Teil des Problems“, sagt Frank Rock (CDU), Landrat des Rhein-Erft-Kreises. „Wenn die Kraftwerke später klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden sollen, brauchen wir eine entsprechende Infrastruktur. Das sehe ich bisher nicht.“
Was heißt das für den vorgezogenen Kohleausstieg 2030? Ist der Termin noch zu halten?
„Es ist gesetzlich geregelt, dass es 2026 einen Revisionszeitpunkt geben wird. Deshalb verstehe ich die Aufregung gar nicht“, sagt die NRW-Wirtschaftsministerin. „Wir schauen zunächst einmal auf uns: Was wir als Land selbst tun können, machen wir – etwa das Ausweisen der Flächen für Windenergieanlagen und die Beschleunigung von Genehmigungsprozessen. Auch bei den Genehmigungs- und Zubau-Zahlen liegt NRW an der Spitze. Wir sind also beim Ausbau der Erneuerbaren in NRW auf gutem Weg, aber lange nicht am Ziel. Auch beim Netzausbau machen wir Tempo und denken neben Stromnetzen gleich die zukünftige Netzstruktur für Wasserstoff und Co. mit.“ Die Windenergie stelle bei der Stromproduktion „die Braunkohleverstromung längst in den Schatten“.
Die Bundesnetzagentur habe darüber hinaus für die Steinkohle die Kapazitäten noch einmal neu veranschlagt. Damit sei eine solide Basis für den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien gelegt. Die Energieversorgungssicherheit sei „ein wesentlicher Kern für Investitionen von Unternehmen in Nordrhein-Westfalen“.