Höhepunkte der Kölner Gastro-SzeneCarsten Henns 5 Top-Restaurants des Jahres 2020
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Köln – 2020 war im wahrsten Sinne des Wortes ein absolutes Seuchenjahr für die Gastronomie. Es ist noch nicht abzusehen, wie viele Restaurants, Bistros und Streetfood-Läden diese Krise überleben werden. Und das, obwohl die rheinische Gastronomie sich in der Krise kreativ zeigte.
Das Südstadt-Restaurant „Pottkind“ bietet zur Zeit Pralinen an, Sternekoch Eric Werner eröffnete im Sommer eine Pop-Up-Eisdiele, das „Le Moissonnier“ versandte gefüllte Picknickkörbe.
Unklar ist auch, inwiefern die Krise die kulinarische Landschaft konzeptionell verändern wird. Werden Take-Away-Konzepte bei Spitzenrestaurants ein Standbein bleiben, werden Nachhaltigkeit und Regionalität auf breiterer Front Thema? Wünschenswert wäre es.
Selbst in einem Jahr wie 2020 gab es Neueröffnungen, teilweise sogar während der Lockdowns. So machte Luis Dias nach der Schließung des „Aura“ ein neues Restaurant an alter Stätte in Rodenkirchen auf, mittlerweile hat er dort auch eine Gewürzserie und einen Gin entwickelt. Die Tapas-isierung der Gastronomie geht weiter, so finden sich mit dem „Platz 4“ und dem „Ritter Wülfing“ gleich zwei neue Restaurants mit einer leicht gehobenen, kreativen Küche der Kleinigkeiten. Weitere Trends, die uns auch 2021 begleiten werden, sind die Entdeckung anderer asiatischer Regionalküchen, und die Popularisierung der levantinischen Küche.
Auszeichnungen 2020
Auch 2020 sammelten Restaurants des Großraums Köln einige Auszeichnungen. Los ging es im März, als Eric Werners „Astrein“ erwartungsgemäß den ersten Michelin-Stern erhielt. Ende Oktober rief der „Schlemmer Atlas“ Julia Komp dann zur „Köchin des Jahres“ aus. Im November wertete der Gault & Millau das Restaurant des Pulheimer „Gut Lärchenhofs“ von 17 auf 18 von 20 Punkten hoch, womit es nun endgültig in der deutschen Spitzengruppe angekommen ist. Große Freude gab es auch im „Ox & Klee“ wo Hannes Radeck von der Publikation zum „Patissier des Jahres“ gekürt wurde.
Wer will, dass es 2021 noch eine bunte, kulinarische Szene in Köln gibt, der sollte jetzt vor allem eins tun: Essen bestellen. Und wenn die Restaurants wieder aufmachen: Essen gehen. Da es die Gastro-Szene so hart getroffen hat war es noch nie so wichtig sich den Bauch nach allen Regeln der Kochkunst vollzuschlagen.
Restaurant des Jahres:
„Lokschuppen“ by Julia Komp
Julia Komp ist vielleicht der größte Star unter Kölns Köchinnen und Köchen, so oft wie sie im Fernsehen zu sehen ist. Aber ihre Geschichte ist auch einfach zu gut: einst jüngste Sterneköchin Deutschlands im Kerpener „Schloss Loersfeld“, dann bereiste sie die Welt, um kulinarische Erfahrungen zu machen.
Von Autorenküche kann man sprechen, wenn die Speisen eines Restaurants ihren Schöpfer oder in diesem Fall ihre Schöpferin widerspiegeln. Das ist in Julia Komps 2021 eröffnetem „Lokschuppen“ absolut der Fall. Sie sind wie ein Fotoalbum ihrer Reisen, zeigen zudem ihre Detailverliebtheit, ihre Freude an der schönen Form, und auch ihren Ehrgeiz. Der Michelin-Stern wird im Frühjahr sicher kommen, verwetten Sie ruhig Ihr Geld darauf.
Viele Speisen sind asiatisch oder orientalisch inspiriert: eine Challans-Ente interpretiert sie mit Rotkohl, Rosenwasser und Curry indisch, einen Kürbis mit Erdnuss, Mango und Koriander thailändisch, eine Aubergine mit Miso und Schwarzwurzel japanisch. Das ist aufregend-globale Spitzenküche, wobei die Landes-Stile dabei niemals vermischt werden. Mit Patissière Anne Kratz steht Julia Komp zudem eine hochbegabte Pâtissière zur Seite. Extrem lobenswert: Fisch und Fleisch stammen aus artgerechter Haltung, vieles ist Bio- und Fair-Trade-zertifiziert.
All das genießt man in einem der außergewöhnlichsten Speisesäle Kölns. Der ehemalige Lokschuppen der Werksbahn Lindgens & Söhne aus dem 19. Jahrhundert wurde aufwändig kernsaniert, wobei er dank des rustikalen Rotklinkers seine Historie keineswegs verleugnet.
Eigentlich war für 2020 auch ein zweites Restaurant namens „Sahila“ geplant, das kulinarisch noch einen draufsetzen sollte. Dieser Plan ist aufgrund von Covid19 erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben. Aber Julia Komp hat bereits gesagt, dass ihr kulinarischer Weg in die deutsche Spitze noch lange nicht vorbei sein soll. Einen Hinweis gibt auch der Name „Sahila“, er bedeutet übersetzt nämlich „Anführerin der Sterne“.
Die wenigsten werden das neu konzipierte Menü des „Ox & Klee“ bereits gegessen haben, denn Daniel Gottschlich setzte es erst Ende Oktober auf die Karte – dann kam der Lockdown.
Ein Menü ist im Idealfall keine willkürliche Aneinanderreihung von Speisen, sondern hat wie eine klassische Symphonie ein Thema. Aber die meisten Köche denken mehr über einzelne Speisen, und weniger über das große Ganze nach. 2-Sterne-Koch Daniel Gottschlich ist einer der wenigen, bei denen es sich anders verhält. Vielleicht liegt es daran, dass er auch Musiker ist, und in anderen Strukturen denkt. Das Leitmotiv seines Menüs ist „Experience Taste“, es ist ein Spiel mit den sechs Geschmacksqualitäten sauer, süß, salzig, bitter, umami und fett. Neu ist, dass dieses Thema jetzt auch spielerisch und augenzwinkernd in der Präsentation umgesetzt wird: zu jedem Gericht gibt es eine Karte, auf der die Hauptzutaten stehen, neben denen jeweils eine quadratische Fläche perforiert ist. Legt man die Karte auf einen speziell designten Metallblock erscheinen in den Leerflächen die entsprechenden Geschmäcker als Piktogramme. So wird das Menü – wenn man möchte - zu einem kleinen Ratespiel.
Es beginnt stets mit sechs Appetizern, von denen jede für einen Geschmack steht. Aber erst wenn man das ebenfalls neu-designte Geschirr hochhebt, erfährt man welche es ist. Der Kreis schließt sich am Ende des Menüs mit sechs Pralinen, die das Gleiche in süßer Form wiederholen – wobei man hier an kleinen Rädern drehen muss, um zu erfahren welchen Geschmack man gerade zu sich genommen hat. Diese Darreichungsform sensibilisiert die Wahrnehmung beim Genuss des Menüs, ja macht es zu einem Gesamterlebnis – und es ist ein opulentes. Neben den regulären acht Gängen gibt es im großen Menü (185 Euro) noch Appetizer, mehrere Grüße aus der Küche sowie Pralinen. Und wer will kann noch einen zweiten Dessertgang vom „Pâtissier des Jahres“ Hannes Radeck bestellen. Bei allen Gerichten gilt: es gibt kaum schöner auf Tellern angerichtete in Köln. Köstlich und aufregend sind sie noch dazu.
Küchenchef Erik Schmitz hat das „Ox & Klee“ Ende des Jahres verlassen, Daniel Gottschlich ist nun der alleinige Boss in der Küche. Das hat einen positiven Nebeneffekt: Schmitz plant in Köln ein eigenes Restaurant. Und das ist ein echter Grund zur Vorfreude auf 2021!
Wenn man es liebt viele Kleinigkeiten zu essen und, wie ich, die italienische Küche verehrt, steht dringend ein Besuch im „Bisù“ an. Denn dort gibt es sage und schreibe 70 Gerichte in Tapas-Größe, darunter 26 vegane und vegetarische Speisen. Und alles für 3 bis 5,50 Euro! Drei, besser vier, sollte man davon bestellen. Die Nummern der Gerichte trägt man dafür auf einem speziellen Bierdeckel ein, die Speisen kommen dann, sobald sie fertig sind, also durcheinander.
Wer aus Höflichkeit wartet, bis alle anderen am Tisch etwas vor sich stehen haben, verschenkt einen großen Vorteil dieses Restaurants: Das Essen wird nämlich herrlich heiß serviert. Für Gäste ergibt sich dadurch eine Art Küchen-Roulette und man sollte diesem chaotischen Aspekt etwas abgewinnen können.
Wunderbar knusprig gelingen zum Beispiel die Arancini genannten frittierten Reisbällchen. Sie sind mit Spinat und Gorgonzola gefüllt, der beim Anschneiden verführerisch herausläuft. Ebenfalls herausragend sind die Polpette al sugo – Hackfleischbällchen nach Großmutters Art. Auch die mit Fior Di Latte, Ricotta und Mortadella gefüllte, frittierte Pizza ist eine Empfehlung, vor allem wenn man für den Winterschlaf ein paar Pfunde zulegen will. All das ist zupackend gewürzt und man genießt es in einer lauten, trubeligen Atmosphäre. Da soll noch mal einer sagen Köln wäre nicht die nördlichste Stadt Italiens!
Das Wichtigste zuerst: dieses Restaurant hat noch gar nicht richtig eröffnet. Mitte November sollten die ersten Gäste in die ehemaligen Räumlichkeiten des „Sorgenfrei“ eingelassen werden, aufgrund des Lockdowns musste man dann mit Take-Away starten. Aber allein schon dieses ist so fantastisch, dass damit diese Auszeichnung völlig verdient ist. Liebe Kölnerinnen und Kölner, wir müssen nicht länger neidisch nach Düsseldorf blicken wegen des dort servierten Sushis! Mit dem „ITO“ hat Köln endlich ein Restaurant, das in diesem Bereich in Deutschlands Spitze mitspielt.
Dahinter stecken Torben Schuster und Kengo Nishimi vom Sternerestaurant im „Gut Lärchenhof“, dessen Patron Peter Hesseler und sein Geschäftspartner Christoph Barciaga. Sowohl Schuster wie Nishimi haben Jahre bei Yoshizumi Nagaya gearbeitet, dem wohl besten japanischen Koch Deutschlands – von dessen Fischändler stammt auch die Ware im „ITO“. Unterstützt wird das Team von Nishimis Ehefrau Michiko.
Was wird geboten? Zum Beispiel Toro vom Blue Fin Thunfisch, eine spektakuläre Special Roll, die Roastbeef mit Teriyaki Sauce und Herbsttrüffel verbindet, oder eine Confi Chicken Roll mit krosser Hähnchenhaut und Chili Mayonnaise. Der Reis wird in einem dunklen Weizenessig-Sirup gegart und hat die perfekte Körnigkeit, die Sojasauce ist eine Eigenkreation und kann auch glasweise erstanden werden.
Es gibt auch Salate mit butterweich im Dampfkochtopf gegartem Oktopus oder knackigen Scampi. Sobald das Restaurant regulär geöffnet hat sind zudem Grillgerichte geplant – man darf sich freuen.
Das einzige Problem: wenn man all dies einmal gegessen hat kann man die Feld-Wald-und-Wiesen Sushis nie wieder goutieren. Also: nehmen Sie die rote oder die blaue Pille?
„Frau Mahér“ heißt mit Vornamen Nadja und leitet mit Thomas Wippenbeck dieses zukunftsweisende Restaurant, das im Januar aus dem ehemaligen Wippn’bk am Ubierring hervorgegangen ist. Das öffentlich kommunizierte Ziel ist es in drei Jahren CO2-neutral zu sein, und aus diesem Grund immer nachhaltiger, regionaler und bio-zertifizierter zu werden. Nadja Mahér und Thomas Wippenbeck wissen, dass es Teil der Leistung eines Restaurants ist die richtigen Produzenten zu finden, und nennen diese auf ihrer Karte. Am Herd steht mit Peter Husmann ein erfahrener Chefkoch, der schon im La Poele d’Or, Fischers Weingenuss und Tafelfreuden, Zeit der Kirschen und Amabile tätig war.
Das Speisenangebot ist hedonistisch wild gemischt, von der Tokio-Bowl, über indisches Curry, eine Lasagne vom Eifler Weiderind bis zum Filet vom Angus Rind – übrigens alles Speisen, die es aktuell auch im Take-Away gibt. Kulinarisch gelingt nicht alles, aber viel, und was nicht ganz so gut ist kann man sich mit einem Wein aus der Karte (die ausschließlich mit Bio-Gewächsen bestückt ist!) herrlich schöntrinken. Empfehlenswert ist zum Beispiel Seckingers Grauburgunder für 29 Euro, ein echter Pinnogridschio-Killer und Allround-Begleiter.
Das Restaurant hat sieben Tage die Woche morgens, mittags und abends geöffnet, auch jetzt im Lockdown ist es täglich auf. Im Sommer gibt es viele Plätze draußen, aber auch drinnen sitzt es sich im Retro-Stil sehr schön.
Das vielfältige Angebot, die Öffnungszeiten und sein nettes Service-Personals machen das „Frau Mahér“ zu einem der Restaurants, die zu einem zweiten Wohnzimmer werden können – im doppelten Sinne nachhaltig.