Was passiert nachts am Flughafen? In Folge 1 begleiten unsere Reporter den Gepäckdienst, der Tausende Koffer – manchmal auch Särge – verlädt.
Eine Nacht am FlughafenHightech-Röntgen inklusive – was mit unseren Koffern passiert
Es ist eine Schicksalsgemeinschaft, die um kurz vor Mitternacht vor dem Turkish-Airlines-Schalter am Terminal 2 auf den Check-in wartet: Viele der Passagiere werden von Istanbul aus weiter nach Adana und von dort ins Erdbebengebiet fahren. Wie Edip Ercosman, der auf der Kölner Keupstraße ein Juweliergeschäft betreibt, und seine Frau Nese Draeger. Ercosmans Familie kommt aus dem völlig zerstörten Dorf Narli in der Nähe der Stadt Pazarcik im Epizentrum des Erdbebens.
„Von einigen Verwandten weiß ich, dass sie tot sind, viele andere gelten als vermisst“, sagt der gefasst wirkende Mann. Einen ähnlichen Eindruck vermitteln viele Menschen, die Freunde und Verwandte durch die Katastrophe verloren haben: Es ist nicht die Zeit zu trauern. „Wir wollen alles tun, was jetzt möglich und nötig ist, um zu helfen“, sagt Nese Draeger. In Adana wird Ercosmans Bruder mit einem großen Pkw voller Hilfsgüter warten, von dort werden sie sich einen Weg in das zerstörte Heimatdorf bahnen.
Mit vier Koffern steht das Ehepaar in der Schlange, ein himbeerroter springt besonders ins Auge – Nese Draeger hat ihn mit Medikamenten, Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel und Nussschokolade für die Kinder im Katastrophengebiet gefüllt. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ verfolgt den Weg des Koffers für diese Geschichte.
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Eine Nacht am Flughafen Köln/Bonn: Die Reise eines Koffers nach der Gepäckaufgabe
Nese Dräger hievt den Koffer auf das Gepäckband, dort wird er gewogen, etikettiert und verschwindet vom Förderband aus in einem Schacht. Ein Gepäckband bringt den Koffer in die Verteilungshalle, wo er zunächst von einem Hightech-Röntgengerät durchleuchtet wird, das auch Sprengstoff und andere gefährliche Stoffe erkennt.
Würde der Scanner etwas Auffälliges erkennen, müsste der Koffer erneut überprüft werden. Wenn die Durchleuchtungsanlagen den Gegenstand nicht einordnen können, müsste der Koffer geöffnet werden.
Ein Gerät, das das Etikett am Koffer scannt, sorgt anschließend dafür, dass der rote Koffer auf der richtigen Entladerampe landet, wo heute Abend Izzet Emin Cetinkaya wartet, um das Gepäck für Istanbul auf die Rollwagen zu verteilen.
16.000 bis 20.000 Gepäckstücke laufen in der Hochsaison täglich über die Bänder, sagt Markus Overrödder, Supervisor des Gepäckdienstes. „Momentan ist es weniger – in den Wintermonaten ist es ruhiger als im Sommer.“ Trotzdem kommt es vor, dass der Scanner ein Etikett am Koffer nicht lesen kann – diese Gepäckstücke werden zu einem Mitarbeiter navigiert, der die Koffer dann von Hand scannt und den richtigen Flügen zuordnet. „Gepäck, das am falschen Flughafen landet – das kommt bei uns eigentlich nicht vor“, sagt Overrödder, seit 26 Jahren im Gepäckdienst.
Der rote Koffer von Edip Ercosman und Nese Draeger wird jetzt aufs Rollfeld vor die Maschine der Turkish Airlines gefahren, die betankt wird, während der Pilot, der vor einer Stunde aus Istanbul gekommen ist, seinen Kontrollgang um die Maschine macht. Als die Ladung aus der Türkei – darunter viele Pakete mit Börek – gelöscht ist, werden zunächst zwei Särge in den Bauch des Flugzeugs befördert und dort fest verzurrt. Viele Flüge in die Türkei haben Leichen an Bord – weil viele türkischstämmige Menschen ihre Verwandten in der alten Heimat bestatten lassen.
„Die Fluggesellschaften verdienen an den Überführungen sehr gut“, sagt Cengiz Acun, Sektionsleiter der Gepäckabfertigung. „Einige Mitarbeiter haben Probleme, die Särge zu verladen.“ Für andere wie Muhammed, der erst seit einem halben Jahr im Gepäckdienst arbeitet, „gehört es einfach dazu – zum Leben wie zu meiner Arbeit“.
Um 1.39 Uhr wuchtet Soungalo Jamakie den roten Koffer von Nese Draeger auf das Förderband – es ist eines der letzten Gepäckstücke, das im Laderaum der Maschine verschwindet. Edip Ercosman und Nese Draeger sitzen schon auf ihren Plätzen. Pushback-Fahrer Hasan Dogan dockt wenig später an das Flugzeug an, um die Maschine in Position zu schieben. Um 2.09 Uhr hebt das Flugzeug mit Edip Ercosman, Nese Draeger und dem roten Koffer mit Hilfsgütern ab Richtung Istanbul.
Am frühen Samstagmorgen landen Ercosman und Draeger mit ihren Koffern in Istanbul. Von dort fliegen sie weiter in die Großstadt Adana, wo sie Ercosmans Bruder mit einem großen Kastenwagen erwartet. Sie fahren zunächst in die Stadt Mersin, um einen Großeinkauf zu machen: 20 Pakete Hygieneartikel, Lebensmittel, Decken, warme Kleidung. Der rote Koffer liegt unten im Kofferraum.
Von dort geht es über zum Teil vom Erdbeben beschädigten Straßen 296 Kilometer in Ercosmans Heimatdorf Dorf Narli. Sie fahren vorbei an zerstörten Häusern, Müll- und Schuttbergen, Menschen, die auf der Straße stehen, frieren und weinen, weißen Zelten von Hilfsorganisationen. Die vorschriftsmäßig gebauten Häuser im Dorf, einige davon von seinem Schwager gebaut, seien stabil geblieben, schreibt Ercosman. Die Menschen hätten trotzdem Angst, in die Häuser zu gehen. Die Regierung habe es verboten, die Häuser zu betreten, da es weitere Nachbeben geben könnte. Die Not sei nicht in Worte zu fassen.
Am Sonntagmorgen öffnet ein Helfer den roten Koffer im Gemeindehaus von Narli. Edip Ercosman hat noch zwei Stoffteddybären eingepackt, die an Kinder verteilt werden. Die Medikamente und Desinfektionsmittel sind schnell verteilt. Edip Ercosman und Nese Draeger verteilen Kleidung und warme Decken - und machen sich auf die Suche nach vermissten Verwandten.
Wie funktioniert der Flughafen Köln-Bonn? Ein Reporterteam des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat eine Nacht in Tower, Terminals und auf dem Rollfeld verbracht. Alle Texte, Bilder und Videos finden Sie in den einzelnen Kapiteln aus der Nacht.
Lesen hier Teil 1 unserer Flughafenreportage zur Gepäckabwicklung. In Teil 2 erzählt unser Reporterteam von spannenden Begegnungen am Terminal. Für Teil 3 begleitete das Team des Zolls am Flughafen und in Teil 4 Piloten und Flugbegleiterinnen von Eurowings vor einem Flug. In Teil 5 berichten unsere Reporter von dem Wettlauf gegen die Zeit im Frachtbereich. In Teil 6 besuchen unsere Reporter den Tower.