Sebastian Nase ist noch ideenlos, wie er seinem Sohn erzählen soll, dass seine Erzieher ab Sommer nicht mehr da sind – oder es vielleicht sogar seine Kita nicht mehr gibt.
„Strukturell kaputtgespart“7 von 9 Mitarbeitern verlassen Kita in Ehrenfeld – Betreuung in Gefahr
Keine Woche hat es gedauert, bis Sebastian Nase über 800 Unterschriften für die Online-Petition zusammen hatte. „Stoppt die Schließung von der Kita St. Mechtern“ lautet ihr Name. Nase hat sie gemeinsam mit anderen Eltern ins Leben gerufen, um die Kölner Kindertagesstätte seines drei Jahre alten Sohnes und der anderen Kinder zu retten.
Die Petition ist ein letzter Hilfeschrei. Nachdem jede andere Initiative der Eltern vergeblich war. Mehrere Briefe, unter anderem auch an Oberbürgermeisterin Henriette Reker und die Stadt Köln oder das Erzbistum Köln und Kardinal Rainer Maria Woelki, konnten nichts ändern. Die Eltern von insgesamt 39 Kindern befürchten, dass es die katholische Kita an der Thebäerstraße in Ehrenfeld bald nicht mehr geben könnte.
Das löste ein Notfall-Elternabend am 20. Juni aus. Der Kirchengemeindeverband (KGV) Ehrenfeld, Träger der Kita St. Mechtern, teilte den Eltern dort mit, dass fünf Erzieherinnen und Erziehern, darunter auch die Kita-Leitung, gekündigt haben. Deshalb könne nicht garantiert werden, dass die Betreuung zu Beginn des neuen Kindergartenjahres am 1. August gesichert ist.
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Wenige Wochen später reichten zwei weitere Erzieher ihre Kündigung ein. Von ursprünglich neun Kita-Mitarbeitenden wären nach aktuellem Stand nur eine Voll- und eine Teilzeitkraft für zwei Gruppen da. Das funktioniert natürlich nicht. Die Eltern sind verzweifelt und fühlen sich im Stich gelassen. „Keiner von uns weiß, wie es nach den Sommerferien weitergehen wird“, sagt Sebastian Nase.
Kritik der Eltern: Kita wurde „strukturell kaputtgespart“
Mit den Kündigungen haben die Probleme, die schon jahrelang in St. Mechtern vorherrschen, eine neue Eskalationsstufe erreicht. Mehrere Eltern äußerten in Gesprächen mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass die Kita in Ehrenfeld „strukturell kaputtgespart“ werde. Es gebe eine lange Liste mit teilweise seit Jahren nicht behobenen Mängeln.
Eltern berichten etwa von einem undichten Dach, Schimmel, Hygienemängeln in der Küche, nicht kindgerechte Sicherheitsrisiken wie frei hängende Kabel, veraltete Steckdosen, fehlender Fingerschutz an den Türen.
Die Mitarbeitenden hätten wiederholt auf die Mängel hingewiesen. Passiert sei aber nichts, es hätte zu „einer großen Unzufriedenheit und Differenzen“ mit den allgemeinen Arbeitsbedingungen und dem Träger geführt. Weshalb die Erzieherinnen und Erzieher die Kita nun als Konsequenz verlassen.
„Die aktuell vorliegende Mängelliste wurde auf Initiative der Eltern zusammen mit den Erzieherinnen und Erziehern vor zwei Wochen erstellt und liegt seitdem vor“, heißt es vom KGV Ehrenfeld. Der Träger habe einige Punkte ausräumen oder bereits beheben können, andere seien „mit der Priorisierung durch einen Architekten in Bearbeitung“.
KGV Ehrenfeld will „mit Hochdruck“ den Kita-Betrieb aufrechterhalten
Tatsächlich räumt der KGV Ehrenfeld die Mängelliste als Katalysator für den akuten Personalmangel in St. Mechtern ein – wenn auch recht zurückhaltend. „Divers“ seien die Gründe zwar demnach gewesen, aber „wiederkehrend angegeben wurde die bauliche Situation“, heißt es vom Kirchengemeindevorstand. Viele der Mitarbeitenden würden jedoch beim Träger bleiben wollen und hätten sich deshalb in andere Kitas versetzen lassen.
Fest steht allerdings, dass sie nun in St. Mechtern erst einmal fehlen werden. Laut dem KGV Ehrenfeld werde „mit Hochdruck“ daran gearbeitet, den Betrieb auch für das kommende Kindergartenjahr fortzuführen. Dafür muss vor allem eine neue Kita-Leitung gefunden werden, es gebe jedoch schon eine „konkrete Idee sowie eine Zusage“, die aber noch vom zuständigen Landschaftsverband Rheinland geprüft und dann bestätigt werden muss.
Zudem muss eine gewisse Wochenstundenzahl von Erzieherinnen und Erziehern abgedeckt werden. Dazu werden Gespräche mit bisherigen Mitarbeitenden geführt, Stellen ausgeschrieben – für die schon erste Bewerbungen eingegangen seien – und ehemalige Pädagogen im Ruhestand angesprochen.
„Kitastrophe“ – ab Sommer fehlen wichtige Bezugspersonen für die Kinder
Der KGV Ehrenfeld bemüht sich, aber die Zeit drängt. Wirklich etwas an der Verunsicherung der Eltern ändern wird das deshalb vermutlich nicht. „Viele Eltern versuchen gerade, einen neuen Kita-Platz für ihre Kinder zu finden“, sagt Sebastian Nase.
Das ist aber nahezu unmöglich. Denn Plätze sind in Köln, wie auch überall sonst, Mangelware. Genauso wie übrigens auch Fachkräfte, Pädagogen und Erzieherinnen. Deshalb scheint es beinahe schon utopisch, dass die Personallücken in der Kita St. Mechtern alsbald wieder gefüllt werden.
Für Nase ist es ein deutliches Zeichen der deutschlandweiten „Kitastrophe“. Ihn stört vor allem, dass die Kinder nun die Leidtragenden sind. Egal, wie es weiter geht – sei es eine neue Kita oder neues Personal in St. Mechtern – Sebastian Nase steht wie alle Eltern vor einer schwierigen Aufgabe. „Ich weiß noch nicht, wie ich das alles meinem Sohn erklären soll“, sagt er. Denn die Mitarbeitenden der Kita St. Mechtern hätten trotz widriger Umstände einen „super Job“ gemacht und seien ein „eingespieltes Team“ gewesen. Und damit für die Kinder auch wichtige Bezugspersonen. Die nun aber zum Großteil nach dem Sommer nicht mehr da sind.