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Verdacht der FahrlässigkeitStrafrechtler sieht Woelki im Missbrauchsfall Ue. belastet

Lesezeit 4 Minuten
Hans Ue.

Dem Angeklagten Priester Hans Ue. werden die Handschellen abgenommen.

Köln – Mit dem bevorstehenden Urteil im Missbrauchsprozess gegen den katholischen Priester und mutmaßlichen Serientäter Hans Ue. rückt die Frage nach strafrechtlichen Konsequenzen für Vertreter des Erzbistums Köln in den Blick, in dessen Diensten der heute 70 Jahre alte Geistliche über Jahrzehnte hinweg schwerste Sexualstraftaten an zahlreichen Kindern und Jugendlichen begehen konnte.

Der Mainzer Strafrechtsprofessor Jörg Scheinfeld hält mindestens eine strafbare fahrlässige Körperverletzung seitens der Bistumsleitung unter Kardinal Rainer Woelki und Generalvikar Markus Hofmann für denkbar. Den Grund sieht der Jurist in der Tatsache, dass das Erzbistum 2018/2019 keine Maßnahmen ergriff, die Ue. wirksam an weiteren Delikten gehindert hätten. „Wer als Vorgesetzter weiß, dass er es mit einem möglichen Sexualstraftäter zu tun hat und die Sache laufen lässt, handelt auch nach weltlichem Recht pflichtwidrig“, sagte Scheinfeld dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Vertrauensverhältnis wird ausgenutzt

Bei einem Missbrauchstäter im Priesterstand komme hinzu, dass dieser seine Taten oft unter Ausnutzung des mit seinem Beruf verbundenen Vertrauensverhältnisses begeht. „Wenn er einem Kind als Priester gegenübergetreten ist, fällt die spätere Tat in diese besondere Sphäre – auch wenn der Geistliche offiziell beurlaubt ist“, sagte Scheinfeld. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Dienstherr dann eine Garantenstellung für das Handeln seiner Mitarbeiter („Geschäftsherrenhaftung“).

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Wie der Prozessverlauf ergab, fällt eine Reihe von Vergehen in die jüngere Vergangenheit. Wegen Vorwürfen aus dem Jahr 2019 hatte die zuständige große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Christoph Kaufmann am 27. Januar angeordnet, den Angeklagten wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft zu nehmen.

Woelkis Dekret enthält kein Kontaktverbot zu Kindern

Per Dekret vom 4. April 2019 untersagte Kardinal Woelki Ue. die öffentliche Ausübung des priesterlichen Dienstes sowie die Abnahme der Beichte. Messen sind ihm nur in seiner Wohnung erlaubt. Kaufmann sprach im Prozess wiederholt von Hinweisen, dass Ue. sich über die Auflagen hinweggesetzte. Ein ausdrückliches Verbot des Kontakts zu Kindern und Jugendlichen enthält das Dekret nicht. Ebenso wenig trifft es Vorkehrungen zu einer wirksamen Kontrolle oder für eine therapeutische Begleitung des Geistlichen. Das hätten die Leitlinien der Bischofskonferenz erfordert.

Bereits Ende 2018 holte Woelkis Generalvikar Markus Hofmann in Kenntnis laufender Ermittlungen Erkundigungen über Ue. bei dessen damaligem Vorgesetzten, dem Euskirchener Kreisdechanten Guido Zimmermann, ein und empfahl, Ue. von Kindern und Jugendlichen fernzuhalten. Zugleich aber erlegte er Zimmermann Stillschweigen auf und ließ ihn über die Hintergründe in Unkenntnis.

„Den Staatsanwalt möchte ich sehen“

„Den Staatsanwalt möchte ich sehen, der in so einem Fall kein Verdachtsmoment gegeben sieht oder das öffentliche Interesse an einer möglichen Strafverfolgung verneint“, sagte Scheinfeld. Neben Fahrlässigkeit kommt nach Ansicht des Juristen weitergehend auch eine vorsätzliche Beihilfe durch Unterlassen in Betracht. „Wer als Dienstherr potentielle Sexualstraftäter nicht von Kindern abschirmt, nimmt weitere Taten vielleicht billigend in Kauf. Bloßes Gottvertrauen, dass schon alles gut gehen wird, schließt dies jedenfalls nicht aus.“ Hier kommt es allerdings sehr auf die Umstände an.

Die Anklage zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Ue. aus jüngerer Zeit, die am 8. Februar verlesen werden soll, dürfte Aufschluss geben, ob die Bistumsleitung nicht nur ihre kirchlichen Pflichten verletzt, sondern auch gegen weltliches Recht verstoßen haben könnte. Scheinfeld: „Schon bei gravierenden Anhaltspunkten müsste die Staatsanwaltschaft von sich aus tätig werden.“ Sie könnte aber auch durch Anzeigen dazu gebracht werden, etwa wegen Beihilfe durch Unterlassen oder fahrlässiger Körperverletzung zu ermitteln.

Argumente zu Woelkis Gunsten

Zu Woelkis und Hofmanns Gunsten sagte Scheinfeld, sie könnten schwerlich für Straftaten von Mitarbeitern in der Freizeit belangt werden. Auch eine Totalüberwachung sei mit gutem Grund nicht zu fordern. „Aber gar keine Vorkehrungen bei gleichzeitig hoher Wahrscheinlichkeit, dass der Täter auch privat in seiner Rolle als Priester agieren wird – das kann sehr wohl als Erleichterung zur Tatbegehung angesehen werden.“

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln, Ulrich Bremer, sagte, seine Behörde werde zunächst das Ende der Hauptverhandlung gegen Ue. abwarten und dann prüfen, „ob sich Anhaltspunkte für weitere Straftaten ergeben“. Es sei besser, „den Beweisfundus als Ganzes auf dem Tisch zu haben, bevor man ein weiteres Verfahren einleitet“.