Ausgebuchte Lehrveranstaltungen – und trotzdem leere Hörsaale. Woran liegt das? Studierende berichten.
Stress vor Semesterstart an Uni KölnStudierende klagen über Kurs-Kämpfe – Dozenten über „No Show“
Für viele beginnt der Stress bereits vor dem Semesterstart. Bevor in der zweiten Oktoberwoche die Vorlesungen an der Universität zu Köln beginnen, müssen sich die Studierenden in mehreren Phasen für Kurse anmelden und ihren Stundenplan erstellen. Gerade in großen Studiengängen wie Jura oder Germanistik eine Herausforderung, wie Studentin Linn Limbrock weiß: „Ich habe eigentlich nie den Kurs bekommen, den ich wollte. Sich in einem Modul nur für eine Lehrveranstaltung zu bewerben, ist viel zu riskant.“
Die 24-Jährige studierte an der Uni Köln drei Jahre lang Germanistik und Philosophie auf Lehramt, brach das Studium aber ab. Sie ist an die TH Köln in den Bachelor Online-Redaktion gewechselt. Dass hier ihr Stundenplan weitestgehend feststeht, ohne Konkurrenzkämpfe und Unsicherheit, sei eine Erleichterung. „In der dritten Belegungsphase an der Uni lag ich nachts im Bett und habe zur Freischaltung der Kurse um Mitternacht auf gutes Internet gehofft. Für die Restplätze galt dann: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
Ehemalige Studentin der Uni Köln berichtet vom „Betteln“ zum Vorlesungsbeginn
Hatte man einen gewünschten Kurs nicht bekommen, musste man sich „betteln“, wie die Studierenden es nennen. „Das heißt, dass man in der ersten Stunde ins Seminar geht und den Dozenten fragt, ob man nachrücken kann, falls einer nicht erschienen ist. Manchmal saßen Leute bis zum Semesterende im Kurs, obwohl sie keinen Platz hatten.“
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An der Uni mehren sich aber auch die Berichte von Lehrenden, die das Fernbleiben der Studierenden in offiziell voll belegten Lehrveranstaltungen beklagen. Jana Arbeiter, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Professional Center der Uni Köln, erforscht das studentische Verhalten und spricht vom „No Show“-Effekt. Der Begriff beschäftigt sonst eher die Gastronomie oder die Tourismusbranche. Ihre Forschung bezieht sie dabei auf das fächerübergreifende „Studium Integrale“, das teilweise verpflichtend für Studierende ist: Dieses vermittelt Soft Skills und Kompetenzen für den Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Die Gründe für das Fernbleiben seien sehr vielfältig, sagt Arbeiter. Verpflichtungen neben dem Studium und die Organisation des Anmeldeverfahrens spielten eine Rolle. Der Anmeldeprozess erinnert sie an typische Verhaltensweisen beim Online-Einkauf: „Manche bunkern zunächst möglichst viele Veranstaltungen im Warenkorb und entscheiden erst nach den ersten Sitzungen, welche sich für sie mutmaßlich lohnen.“ Folgen sind fehlende Planungssicherheit und ungenutzte Weiterbildungsangebote, vor allem im Studium Integrale. In der Vergangenheit habe die Uni ihre Studierenden daher in Belegungsphasen über Werbetafeln am Campus aktiv dazu aufgerufen, bereits zugesagte Plätze wieder freizugeben, sofern sie nicht vorhätten, diese regelmäßig wahrzunehmen.
Forschungsprojekt an der Uni Köln zum Thema „No Show“ startet bald
Konkrete Zahlen zum Ausmaß der Situation liegen der Universität laut Pressestelle nicht vor. Im Vorfeld der Studie führte Arbeiter bereits Interviews mit Lehrenden und Planungsstellen an der Uni. Kleinere, stichprobenartige Umfragen und der Austausch im Kollegium hätten aufgezeigt, dass das Phänomen über verschiedene Fachbereiche hinweg bekannt sei und als störend empfunden werde.
In ihrem Forschungsprojekt sollen ab dem Wintersemester daher erstmals Studierende selbst der Frage nachgehen, wie das „No Show“-Phänomen zustande kommt – und was sich ändern müsste. Arbeiter sieht jedoch nicht allein die Studierenden in der Verantwortung für eine Lösung. Auch dass die Lehre moderner und attraktiver gestaltet werde, sei eine wichtige Stellschraube.
Jura-Absolvent Lukas Sieper erklärt die multiplen Anmeldungen vor allem mit dem Zugang zu Lehrmaterialien. „Erst wenn man angemeldet ist, kommt man auf die Lernplattform Ilias.“ Daher komme es öfter vor, dass sich bei Vorlesungen Hunderte anmeldeten, aber letztlich „nur“ um die 50 anwesend seien, so der 27-Jährige.
Jura-Absolvent: Uni Köln beschränkt Zugang zu Lehrmaterialien
„Klar, wird da irgendwo gehamstert, aber die Uni Köln beschränkt den Zugang zu Ilias.“ Manche Dozenten seien „korrekt“ und stellten ihre Dokumente auf ihrer Homepage zur Verfügung. Andere nicht. „Und die Bücher sind sehr teuer, sie kosten pro Stück 40 bis 50 Euro. Qualifiziertes Lehrmaterial zu finden, ist schwierig.“
Auch die Lernumgebung spielt eine Rolle, ob Studierende in Kursen anwesend sind oder nicht. Nach der Erfahrung des Distanzlernens während der Pandemie gelte es, sie wieder vom Lernen vor Ort zu überzeugen, heißt es von der TH Köln. Die neue Präsidentin Sylvia Heuchemer sagte dieser Zeitung im Juni: „Wir sind dabei, unsere Lehr- und Lernräume viel flexibler zu gestalten. Man findet Räume, da gibt es riesige Bildschirme, sogenannte Online-Whiteboards, die man zu einer Arbeitsfläche umklappen kann. Da können Studierende vor Ort, aber auch jene, die sich zuschalten, gemeinsam arbeiten. Die Grenzen zwischen analoger und virtueller Welt verschwinden.“