500 soziale Einrichtungen bleiben in Köln für zwei Tage geschlossen, weil die Stadt Köln Tariferhöhungen nicht an die Träger weiterreichen will.
„Hauptsache, die Oper ist schön“Soziale Träger legen in Köln die Arbeit nieder und warnen vor Insolvenzen
„Weil das Kleinste von größter Bedeutung ist“, haben die Eltern des Lindenthaler Naturkindergartens Amares auf einen breiten Stoffstreifen geschrieben, „Stoppt den Zug des Wahnsinns!!!“ auf einen anderen. Beide Slogans legen sie zusammen mit einem Teddy am Dienstagvormittag symbolisch auf stillgelegte Gleise im Stadtwald.
Am Deutzer Rheinufer wuseln mehrere Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kitas, Offenen Ganztagsschulen, Senioreneinrichtungen und Beratungsstellen herum und befreien das Rheinufer von Müll. Am Wiener Platz in Mülheim werden Essen und warme Getränke an Obdachlose verteilt, durch Nippes geht ein Demonstrationszug mit bunten Plakaten, vor dem Bezirksrathaus in Kalk haben die Jugendeinrichtungen und Stadtteilkoordinatoren einen Pavillon aufgebaut, am Wiener Platz in Chorweiler gibt es einen Lichter-Flashmob.
„Köln bleib(t) Sozial – Wir packen an, damit wir nicht einpacken müssen!“ hat die Liga der freien Wohlfahrtsverbände ihre Aktion genannt, um dagegen zu protestieren, dass die Stadt Köln bislang weder die Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst auch an die sozialen Träger zahlen will noch die durch die Inflation gestiegenen Energie- und Sachkosten.
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„Das gesamte soziale Leben in der Stadt ist gefährdet – und damit der soziale Frieden“, sagt Martina Schönhals, Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Köln und Region, bei einer Pressekonferenz am Dienstagmittag im Seniorenheim St. Heribert in Deutz. Der Protest sei „historisch einmalig“: „Wir wollen deutlich machen, was fehlen würde, wenn unsere Angebote wegfallen.“
Bis heute fehle ein klares Signal der Politik, dass für das kommende Jahr eine auskömmliche Finanzierung gewährleistet werde, sagt Peter Krücker, Vorstand der Caritas und Sprecher der Liga der freien Wohlfahrtsverbände mit Awo, Caritas, Der Paritätische, Rotes Kreuz, Diakonie und Synagogengemeinde. „Die Personalkostensteigerungen der öffentlichen Hand werden von der Stadt mit großer Selbstverständlichkeit übernommen, für uns ist im Haushalt bislang nur zwei Prozent mehr vorgesehen – das Defizit kann keiner der freien Träger stemmen. Es würde zu Insolvenzen kommen.“
Allein für Kitas, OGS-Betriebe und den Freiwilligenbereich fehlten 18 Millionen Euro, so Krücker. „Millionendefizite bei den städtischen Kliniken werden jedes Jahr genauso selbstverständlich bezahlt wie Mehrkosten bei Schauspiel und Oper. Nichts anderes erwarten auch wir von der Stadt.“
Die Stadt Köln habe in den Gesprächen immer wieder auf ihr großes Haushaltsdefizit verwiesen, erinnert sich Ulli Volland-Dörmann, Geschäftsführerin des Awo-Kreisverbands Köln. „Aber wer fragt in der Politik nach den Haushaltsdefiziten der freien Träger? Eine Stadt kann nicht pleitegehen – freie Träger können das sehr wohl.“
Ulrich Bergmann aus der Geschäftsführung des Paritätischen in Köln weist darauf hin, dass mit den Aufgaben der Freien Träger nicht weniger als ein „wichtiger Teil der Verfasstheit der BRD“ auf dem Spiel stehe. Was würde die Stadt Köln machen, wenn der Paritätische nicht länger als Träger der meisten der 163 Elterninitiativen in Köln fungieren würde?, fragt er rhetorisch. „Dann müsste die Stadt das selber machen – und in der Verwaltung weiß man eigentlich, dass wir geringere Kosten haben als die städtischen Einrichtungen“, antwortet Awo-Chefin Volland-Dörmann.
Kölner Stadtrat tagt am 7. Dezember: Hoffen auf Lösung in letzter Minute
Der Ton bleibt angriffslustig. „Wir erleben ein Aussitzen: Die Kommune verweist aufs Land, das Land auf die Kommune. Warme Worte helfen aber nicht weiter“, sagt Marc Ruda, Geschäftsführer des Kreisverbands Köln des Roten Kreuzes. Wenn am 7. Dezember bei der Sitzung im Stadtrat keine Lösung gefunden werde, „werden wir weiter eskalieren“, kündigt Peter Krücker an. „Auch wenn wir das nicht wollen.“ Immerhin gebe es ‚„Signale aus der Politik, dass es zu einer Lösung kommen könnte“‘.
Jüngst hatten Eltern die Schließung zahlreicher Kitas für den Protest kritisiert – der LVR als übergeordnete Behörde hatte in einer Mail an die Träger angekündigt, genau zu prüfen, ob die Kitas mit einer Schließung nicht gegen das gesetzliche Prinzip der Zuverlässigkeit verstießen. „Es geht uns ja gerade darum, Zuverlässigkeit langfristig zu gewährleisten“, sagt Krücker.
Die ungeklärte Finanzierung der Wohlfahrtsverbände in Köln betrifft unterdessen nicht nur Personalkosten und Inflationsausgleich. Die Ampel-Regierung hatte zwar jüngst angekündigt, im vorläufigen Haushalt vorgesehene Kürzungen im sozialen Bereich in Höhe von 58 Millionen Euro zurückzunehmen – weil es jedoch verfassungswidrig war, 60 Milliarden aus Corona- für einen Klima- und Transformationsfonds umzuschichten, fehlen ebendiese Milliarden im Haushalt jetzt.
In Köln sollten ursprünglich sechs von zwölf Jugendbüros geschlossen werden, Stellen für die Beratung von Migranten standen vor dem Aus, den Mitarbeiterinnen war bereits gekündigt. Als die Kürzungen für den Haushalt 2024 zurückgenommen wurden, hatten die Betroffenen aufgeatmet – jetzt müssen sie wieder zittern. Diakonie-Geschäftsführerin Schönhals sagt: „Wir wissen gerade alle nicht, was wird.“ Momentan dürften keine Bundesfreiwilligenverträge abgeschlossen werden, alle Planungen seien gestoppt, so Marc Ruder. „Wir drücken gerade überall die Stopptaste.“ Die sozialen Träger laufen in Köln auf Standby.
Am Mittwoch geht ein Demonstrationszug ab 11.11 Uhr vom Deutzer Bahnhof zum Aachener Weiher. Erwartet werden 2000 bis 3000 Menschen.