Viele Kölner Willkommensinitativen stehen vor dem Aus. Ein Flüchtlingshelfer der Initiative Willkommen in der Moselstraße erinnert sich an 2014 und die Veränderung des politischen Diskurses.
Zehn Jahre Kölner Willkommenskultur„Der Diskurs ist erschreckend weit nach rechts gerückt“
Als im Sommer 2014 immer mehr Flüchtlinge auch in Köln ankamen, informierte die damalige Sozialdezernentin Henriette Reker im Friedrich-Wilhelm-Gymnasium über die Einrichtung neuer Unterkünfte in der Innenstadt. Köln stehe vor einer großen Herausforderung, sagte Reker seinerzeit, doch mit vereinten Kräften werde die Stadt es schaffen, die Menschen aufzunehmen und zu integrieren. Jede Hilfe sei willkommen.
Klaus Adrian saß im Publikum und fühlte sich angesprochen. „Ich habe einen Zettel rumgehen lassen und im Saal darum gebeten, dass sich jeder mit Namen und Mailadresse eintragen könne, der irgendwie helfen will.“ Einige Wochen später gab es im Pfarrsaal St. Mauritius ein erstes Treffen von Freiwilligen. „40 oder 50 Menschen waren da, die Stimmung war super, jeder wollte sich mit dem, was er kann, einbringen. Es gab niemanden, der Angst vor Fremden äußerte, alle wollten dafür sorgen, dass die Menschen hier gut ankommen“, sagt Adrian.
Im Hotel Mado in der Moselstraße wurde eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet – die Initiative Willkommen in der Moselstraße bot im ehemaligen Frühstücksraum Sprachkurse an, organisierte Stadtausflüge und Behördengänge, Etagenpaten und Feste, feierte mit Geflüchteten Karneval. „In der ganzen Stadt war Euphorie spürbar. Wir waren dankbar für die Statements von Angela Merkel und Henriette Reker, die betont haben, dass wir das zusammen schaffen können“, so Adrian.
Alles zum Thema Henriette Reker
- Stellenabbau bei Ford Ministerpräsident Wüst fordert Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, Reker „betrübt“
- Zerstörter Krankenwagen vor der Kölner Flora Wüst: Russische Kriegsverbrechen müssen gesühnt werden
- Satirischer Wochenrückblick Köln braucht die Glühweinsteuer
- Volkstrauertag in Köln „Die nächsten Generationen müssen das Gedenken hochhalten“
- Holger-Czukay-Preis für Popmusik Henriette Reker hat jetzt ein Pogendroblem
- „Tiefes, tiefes Rot“ Schulden der Stadt Köln könnten um mehrere Milliarden Euro explodieren
- „Darauf warte ich dringend“ Kölns OB Reker entscheidet über dritte Amtszeit
Viele Angebote für Geflüchtete – ins Hotel Mado kamen schließlich nicht vor allem Syrer und Afghanen, sondern Menschen aus Eritrea – führte die Willkommensinitiative weiter, als das Hotel im Jahr 2020 schloss. Das Orga-Team trifft sich weiterhin einmal im Monat am Rathenauplatz, es gibt ein Montagscafé und Beratungen in der Kartäuserkirche sowie eine Fahrradwerkstatt mit mehreren Schraubern in der Ankerstraße. Am Freitag hat die Initiative „Willkommen in der Moselstraße“ sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Das Hotel Mado in bester Innenstadtlage steht derweil seit mehr als vier Jahren leer und verfällt.
„Unsere Arbeit hat sich nicht verändert“, sagt der 75-jährige Adrian, der auch am Runden Tisch für Flüchtlingsfragen sitzt. „Verändert hat sich der politische Diskurs. Der ist erschreckend weit nach rechts gerückt.“ Er selbst kenne „mindestens 50 Flüchtlinge, die zehn Jahre nach ihrer Ankunft in Köln längst feste Arbeit haben und hier angekommen ist“, sagt er. KVB-Arbeiter und Pflegerinnen, Küchenhelfer und Reifenhändler. „Es sind Menschen, die das System in einer alternden Gesellschaft am Laufenden halten.“ Er verstehe nicht, warum „inzwischen zu 95 Prozent negativ über Migration gesprochen“ werde, obwohl sie auch für die Wirtschaft essenziell sei. „Das macht mir große Sorgen.“
Menschen, die aus der Not geflüchtete seien, würden inzwischen nicht mehr nur von der AfD, sondern auch von anderen Parteien „stigmatisiert und zum Teil rassistisch diffamiert“, so Adrian. „Eine zivilisierte Gsellschaft darf das nicht einfach hinnehmen.“
Flucht und Migration: In Köln stehen viele Initiativen vor dem Aus
2015 gab es in Köln rund 50 Willkommensinitiativen. Das Land NRW habe damals rund 8000 Euro für die ehrenamtliche Kölner Flüchtlingshilfe in Aussicht gestellt – „als die Summe bekannt wurde, habe ich im Ministerium angerufen und gesagt: entweder Sie überlegen sich eine realistische Summe oder Sie können Ihr Geld behalten“, erinnert sich Adrian. Schließlich sei das Landesprogramm „Komm an“ ins Leben gerufen worden, das Integrationsprojekte auch von Willkommensinitiativen unterstützt. „Allein Köln erhält daraus rund 400.000 Euro im Jahr“, so Adrian. Im Landeshaushalt 2025 ist Geld für „Komm an“ dem Vernehmen nach nicht mehr vorgesehen. Nachdem Informationen aus einem Arbeitskreis gesickert ist, geht die Sorge um, dass in Köln zahlreiche freiwillige Leistungen in der Flüchtlingshilfe dem Sparstift zum Opfer fallen könnten.
Noch hoffen die Engagierten aus den heute noch rund 25 Kölner Willkommensinitiativen, dass es anders kommt. Noch vor einigen Wochen habe Henriette Reker in einer Dankeschön-Veranstaltung für Ehrenamtler den Wert der Flüchtlingshilfe betont und ihren weiter bestehenden Willen, Flüchtlinge aufzunehmen und zu integrieren. „Bislang hat uns die Haltung der Oberbürgermeisterin in unserer Arbeit bestärkt“, sagt Klaus Adrian. „Die Frage ist bei den Verhandlungen über den städtischen Doppelhaushalt, ob das eine Sonntagsrede war – und wie viel ihre Worte noch wert sind.“