Düsseldorf – Seit Gerhard Richter der Öffentlichkeit seinen 2014 fertiggestellten „Birkenau-Zyklus“ präsentierte, sind die vier abstrakten Gemälde weit herumgekommen. In den letzten Jahren wurden sie in Dresden, Riehen, Baden-Baden, Prag, Moskau, Brisbane, New York und Berlin gezeigt und jedes Mal als ein spätes Hauptwerk des Kölner Malers begrüßt.
Auch Richter selbst verlieh dem Zyklus ein besonderes Pathos, indem er es zu seiner letztgültigen Auseinandersetzung mit dem Holocaust erklärte.
Jetzt werden die vier Gemälde erstmals in Nordrhein-Westfalen ausgestellt – im Ständehaus der Düsseldorfer Kunstsammlung und als Fluchtpunkt einer Schau mit Zeichnungen und übermalten Fotografien. Mit Röntgenaugen könnte man unter den undurchdringlichen Malschichten des „Birkenau-Zyklus“ noch die vier Aufnahmen erkennen, die Gerhard Richter zunächst in seiner frühen „fotorealistischen“ Manier abmalte: vier Schwarzweiß-Bilder, die brennende Leichenberge unter Bäumen, nackte Menschen im lichten Wald oder beinahe gar nichts zeigen.
Gerhard Richters Birkenau-Zyklus ist erstmals in NRW zu sehen
Aufgenommen haben sie Häftlinge des Vernichtungslagers Birkenau, die eine ins Lager geschmuggelte Kamera nutzten, um die Gräueltaten der Nazis für die Nachwelt festzuhalten. Man glaubt diesen hastig geschossenen Beweisbildern anzusehen, dass sie in der steten Gefahr, entdeckt und ermordet zu werden, entstanden sind.
Duplikate der vier Birkenau-Fotografien hängen im Ständehaus schräg gegenüber den Birkenau-Gemälden – so ungefähr könnte es auch in Richters Atelier gewesen sein. Allerdings sind aus den realistischen Vorlagen abstrakte Farbkaskaden geworden, in der Manier, in der Richter, mittlerweile 89 Jahre alt, zuletzt am liebsten malte. Mit einer groben Rakel verteilte, schob und zog er für seine abstrakten Großformate literweise Farben über die Leinwand. Allerdings ließ er dabei ansonsten eine weiße Leinwand und kein bereits fertig gemaltes Fotomotiv verschwinden.
Mit dieser Übermalung hat sich Richter gleichsam ins Abstrakte gerettet – und seine eigene Antwort darauf gefunden, wie sich etwas, wofür es weder passende Worte noch Bilder zu geben scheint, doch darstellen lässt. Er folgt dabei gleichsam dem „Bildprogramm“ der Birkenau-Häftlinge. Auch deren Fotografien wirken angesichts dessen, was sie zeigen, letztlich banal. Erst die Umstände ihrer Entstehung laden sie mit zusätzlicher Bedeutung auf.
Dieser „Kniff“ hat Gerhard Richter neben viel Anerkennung auch einige Kritik eingetragen. Zumal sich seine Farbgebung durchaus wie bei einem realistischen Gemälde lesen lässt. Auf dem „Birkenau-Zyklus“ dominieren Schwarz und Weiß als Grundfarben, hinzu kommen ein dunkles Rot, ein kräftiges Grün und ein Ton, der in Richtung Rosa geht. Es braucht nicht allzu viel Fantasie, um darin den Abglanz von Blut, Wald, Haut und dem Schwarzweiß der Fotografien zu sehen.
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Aber auch in der Düsseldorfer Präsentation merkt man, dass es sich Gerhard Richter mit dem Thema alles andere als einfach macht. Den Birkenau-Bildern gegenüber hängen vier graue Spiegel Richters, in denen man sich selbst und den Zyklus gespiegelt sieht. In ihnen verliert die Welt ihr Leuchten, als würde das Wissen um die Shoa nicht nur der Malerei, sondern auch der Wirklichkeit die Farben entziehen. So spiegelt sich alles in jedem und am Ende führt kein Gedankenweg mehr aus diesem Spiegelkabinett hinaus.
„Gerhard Richter. Birkenau-Zyklus, Zeichnungen, Übermalte Fotos“, Kunstsammlung NRW im Ständehaus (K21), Di.-Fr. 10-18 Uhr, Sa.-So. 11-18 Uhr, bis 24. April 2022