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Interview mit Opernregisseur Floris Visser„Unglaublich, dass ein 24, 25-jähriger dieses Werk komponieren konnte“

Lesezeit 7 Minuten
Regisseur Floris Visser (Idomeneo)

Floris Visser führt in der Oper „Idomeneo“ Regie

Am 17. Februar hat die Mozart-Oper „Idomeneo“ in Köln ihre Premiere. Regisseur Floris Visser erklärt im Interview, wieso das Stück immer noch aktuell ist.

Herr Visser, Ihr Kollege Hans Neuenfels hat vor Jahren einen Berliner „Idomeneo“ damit enden lassen, dass die Titelgestalt am Schluss mit den abgeschlagenen Köpfen Poseidons sowie der Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha auf der Bühne erschien. Was einen öffentlichen Skandal verursachte und zu einer zwischenzeitlichen Absetzung der Produktion führte. Haben wir anlässlich Ihrer Kölner Neuinszenierung ebenfalls einen Skandal zu gewärtigen?

Floris Visser: (Lacht) Nein, ich bin nie auf Skandal aus, finde auch nicht, dass das Stück einen Skandal hergibt. Natürlich hat es eine starke religiöse Komponente, aber auch eine gesellschaftliche. Außerdem ist es eine Familien- und eine Liebestragödie. „Idomeneo“ funktioniert eigentlich wie eine attische Tragödie, wie sie seit 2500 Jahren komponiert wird. Die griechische Tragödie wurde stets mit Musik aufgeführt, war also gewissermaßen schon eine „Oper“. Deshalb ist das Stück auch eines meiner Favoriten – obwohl ich es jetzt zum ersten Mal mache, frühere Gelegenheiten zerschlugen sich.

Noch einmal kurz zu Neuenfels: Völlig abstrus war dessen Regieidee ja nicht. Sie verwies anhand von einem, der es leidvoll erfahren musste, auf das Potenzial an Inhumanität und Verfeindung, das Religion und Religionspraxis unstrittig innewohnen kann.

Ja, aber das Religionsthema verschränkt sich mit einem anderen, das für die Oper mindestens genauso essenziell ist. Das „Idomeneo“-Drama spielt sich ab vor dem Hintergrund jenes Weltkrieges, der bei Homer der trojanische Krieg war – zwischen Griechenland, der politischen Zentralachse des Mittelmeerraums, und Troja, der östlich-vorderasiatischen Achse. Die Oper spielt in der Nachkriegszeit, im Schatten dieses gigantischen Konflikts, der die Handlung noch völlig dominiert.

Die Oper Idomeneo zeigt, wie man im Krieg alle humanen Maßstäbe verliert

Aber in diesem Kontext geht es dann auch um Religion…

Ja, genauer: Es geht um den Konflikt zwischen „alten“ und „neuen“ Göttern. Seinen tatsächlich gottlosen Schwur, ein Menschenopfer für den Fall seiner Errettung aus dem Meeressturm darzubringen, leistet Idomeneo einem gewissermaßen alttestamentarischen Gott der Rache, während in der finalen Absage an das Opfer der neutestamentarische Liebesgott wirkt, der zugleich den Geist der Aufklärung und damit auch des Menschen und Musikers Mozart repräsentiert.

So etwas ist eigentlich nur einem Bewusstsein möglich, das durch einen Krieg wie eben dem Trojanischen und seiner unglaublichen Zerstörungsintensität zutiefst beschädigt und traumatisiert ist. Einen Krieg, der zum Verlust aller humanen Maßstäbe geführt hat.
Regisseur Floris Visser über die Menschenopfer in „Idomeneo“

Tatsächlich gibt es ja mit der Jephtha-Geschichte, also einer biblischen Erzählung, die Händel bekanntlich zum Gegenstand seines letzten Oratoriums machte, einen „Idomeneo“ thematisch eng verwandten Plot. Die Frage stellt sich freilich hier wie dort: Was bringt jemanden dazu, „seinem“ Gott ein Menschenopfer zu offerieren?

Das gibt es heute auch noch: dass Menschen im Interesse ihrer Befreiung aus Not und Elend alles Mögliche zu tun versprechen. Die zentrale Frage aber ist doch: Wie finster muss eine Religion sein, dass ein Mann, ein König in ihrem Namen anbietet, den ersten Menschen zu opfern, der ihm bei der Heimkehr entgegentritt? So etwas ist eigentlich nur einem Bewusstsein möglich, das durch einen Krieg wie eben dem Trojanischen und seiner unglaublichen Zerstörungsintensität zutiefst beschädigt und traumatisiert ist. Einen Krieg, der zum Verlust aller humanen Maßstäbe geführt hat. Wir lassen übrigens den über all dem wahnsinnig gewordenen Idomeneo in einer Gummizelle enden. Du kannst einen Mann aus einem Krieg herausnehmen – aber wie bekommst du den Krieg aus dem Mann heraus?

Das gilt aber nicht nur für Idomeneo…

Nein, das betrifft Elektra – auch sie ist durch ihre Vergangenheit tief traumatisiert, kann die „alten Götter“ nicht hinter sich lassen. Es betrifft Idamante, der im Knabenalter von seinem für zehn Jahre in den Krieg ziehenden Vater verlassen wurde. Und Ilia ebenso, eine der wenigen Überlebenden ihrer Familie, die allerdings dann durch ihre Liebe zu Idamante den Kreislauf aus Rache und Gegenrache durchbricht.

Die Kostüme des Stücks deuten auf die Gegenwart

Wird in der Oper eigentlich die Möglichkeit der Existenz von Göttern zugestanden?

Die Figuren glauben an Götter, sie brauchen die Religion, um erklären zu können, was sie nicht verstehen – in der Natur und der äußeren Welt wie in sich selbst. Das ist aber nicht die Perspektive des Stücks.

Das klingt ja schon nach Ludwig Feuerbach, den Vorläufer von Karl Marx: Der Mensch glaubt an Gott, insofern Gott im Menschen an sich selber glaubt.

Der Mensch, das lässt sich dem Werk entnehmen, erschafft Gott, Gott wird also zur Projektion. Wichtiger als die „Abrechnung“ mit Religion in der Berliner Produktion ist dann aber doch die Frage: Warum „schaffen“ wir Menschen eigentlich Religion?

Szene aus der Oper Idomeneo. Ein Mann trägt eine polizeigrüne Uniform und hat einen Verband um den Kopf. Er ist in einem Wohnzimmer und kniet sich vor das Fenster, auf der anderen Seite der Scheibe sitzt eine Frau. Im Hintergrund lauert ein Mann und streckt die Hand nach der Frau aus.

Szene aus der Oper „Idomeneo“

Wer ist die „Stimme“, die am Ende das Opfer erlässt?

Das ist die Stimme der Aufklärung und keinesfalls diejenige Poseidons bzw. Neptuns – sonst würde sie im Libretto ja auch „La voce di Nettuno“ oder ähnlich genannt werden.

Krieg, Missbrauch von Religion, Dehumanisierung – die aktuellen Aspekte Ihrer Inszenierung liegen auf der Hand. Sie verstärken sie ja auch dadurch, dass die Kostüme das Geschehen in unserer Gegenwart situieren.

Das ist der Fall, aber ich sage gleich hinterher: Man kann so eine Oper updaten, modernisieren, transferieren, aber man muss sie in ihrem kulturellen „Framing“ lassen, sonst funktioniert es nicht. Also: Wir bleiben im mediterranen Raum – das Bühnenbild zeigt die Felsenküste Kretas –, wir bleiben im Kriegskontext, mit der Achse des Nato-Mitglieds Griechenland auf der einen und der vorderasiatischen Achse mit Syrien, Türkei, Irak, Libanon auf der anderen Seite.

Die Möglichkeiten im Ausweichquartier der Kölner Oper sind limitiert

Im Zeichen der neuen aufgeklärten Herrschaft von Idamante und Ilia scheint am Ende der Oper eine Utopie auf, der Teufelskreis des Verhängnisses kann durchbrochen werden. Ist das eine realistische Utopie?

Ich würde es gar nicht mal eine Utopie nennen: Wir haben ja in unserem Zeitalter – beim Fall des Eisernen Vorhangs und den Folgen – Entwicklungen gesehen, die wir nicht für möglich gehalten hatten.

Aber die Hoffnungen, die sich damit verbanden, haben getäuscht…

Ja, jetzt leben wir wieder in Zeiten, die an die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnern. Hoffnung ist keine Utopie. Und sicher kann Hoffnung enttäuscht werden, aber sie bleibt uns Menschen als Letztes.

Wie steht der „Idomeneo“ in Mozarts Opernschaffen da – Sie haben ja schon viele Mozart-Opern inszeniert?

Er ist eigentlich mit nichts vergleichbar, am ehesten könnte man noch von einer Mischung aus „Mitridate“ und „Titus“ sprechen, also Mozarts erster und letzter Oper. Unglaublich ist es, dass ein 24, 25-jähriger dieses Werk komponieren konnte. Ich finde, dass „Idomeneo“ seine beste Oper ist, auch die erste, in der er unabhängig von Vorbildern radikal sein eigenes Ding macht. Sicher hängt meine Liebe auch mit der zur griechischen Tragödie und ihren zeitlos gültigen Gehalten zusammen, aber auch mit der gewaltigen Rolle des Chores. Noch einmal: „Idomeneo“ ist auch eine Gesellschaftstragödie, du brauchst das „Volk“.

Sie geben mit „Idomeneo“ Ihr Köln-Debüt – nicht im Opernhaus, sondern in einem Ausweichquartier. Sind Ihre Erfahrungen stimulierend oder abtörnend?

Es ist herausfordernd, die Möglichkeiten sind halt limitiert – das Licht zum Beispiel hängt zu niedrig –, aber auch inspirierend. Und ich habe meine Inszenierung so angelegt, dass sie relativ problemlos ins Haus am Offenbachplatz, wenn es denn so weit sein wird, transferiert und dann auch ins Repertoire übernommen werden kann.

Zur Person und zur Opernpremiere

Floris Visser, geboren 1983 in Amsterdam, gibt mit „Idomeneo“ sein Regie-Debüt an der Kölner Oper. Visser wurde in Maastricht als Schauspieler und Regisseur ausgebildet und studierte Gesang am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Seine Karriere begann er als Assistent des Kölner Opernregisseurs Willy Decker an De Nationale Opera in Amsterdam. Heute arbeitet Visser, der an verschiedenen Akademien unterrichtet und für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet wurde, an führenden europäischen Häusern wie Glyndebourne Festival Opera, Opernhaus Zürich, Königliche Dänische Oper sowie bei den Internationalen Händel-Festspielen Göttingen.

Premiere von Idomeneo ist am Samstag, dem 17. Februar, 19 Uhr, im Saal 2 des Staatenhauses. Es singen Sebastian Kohlhepp, Anna Lucia Richter, Ana Maria Labin, Anicio Zorzi Giustiniani und Kathrin Zukowski, Rubén Dubrovsky dirigiert das Gürzenich-Orchester. Alle Infos gibt es hier.