Der Klimaaktivist „‚Momo‘“ hat zweieinhalb Jahre im Hambach Forst und eineinhalb Jahre in Lützerath gelebt. Er erklärt seinen Aktivismus, warum er Gewalt legitim findet und er wenig von der „Letzten Generation“ hält.
„Natürlich war Lützerath ein Erfolg“Warum „Momo“ vier Jahre radikalen Klima-Protest in NRW mitgemacht hat
Die Berufsberatung schlug „Momo“ vor, er sollte Bankkaufmann werden. Aber der gebürtige Münchener entschied sich für das regelrechte Gegenteil: Er wurde Vollzeit-Aktivist, kämpft seitdem für Klima-Gerechtigkeit und gegen das Kapital. Zweieinhalb Jahre lebte Momo – mit diesem Namen ist er in der Szene bekannt und möchte er hier genannt werden – im Hambacher Forst, zuletzt protestierte mehr als eineinhalb Jahre in Lützerath. Der heute 25-Jährige tauschte eine warme Wohnung gegen Baumhaus und Bauwagen.
Aber wie wird man Klimaaktivist? Momo dockte über eine Freundin beim Klima-Protest an. Er reiste zum Hambacher Forst, lernte die Menschen und den Protest kennen. „Als ich dort war und mich intensiver mit der Klimakrise beschäftigt habe, habe ich gesehen, dass man so viel erreichen kann. Dass man Ursachen bekämpfen kann und nicht Symptome und dass es um viel mehr geht als nur um das Klima, dass es um Gerechtigkeit geht“, sagt er über die Anfänge in NRW. Es entbrannte eine Leidenschaft, die ihn über Jahre trotz aller Widrigkeiten antrieb.
Wieso bist du Aktivist geworden, Momo? „Mein Schlüsselmoment war 2015, als ich in der Geflüchtetenhilfe war, gesehen habe, wie viele Menschen zu uns kommen und verstanden habe, wie das alles zusammenhängt. Ich war damals in Calais, wo Tausende strandeten. Ich wollte mehr als Symptome bekämpfen, ich wollte nachhaltig etwas verändern.“
Alles zum Thema Fridays for Future
- „ Vorwürfe und Enttäuschung zum Ende der Weltklimakonferenz in Baku
- COP29 in Baku Klimagipfel-Entwurf – 250 Milliarden Dollar Hilfen pro Jahr
- „Kidical Mass“ Fahrraddemos in Rhein-Sieg werben für mehr Sicherheit für Kinder im Straßenverkehr
- Fridays for Future Tausende Kölner demonstrieren für mehr Klimaschutz
- Klimastreik 100 Menschen demonstrierten in Lindlar
- Fridays for Future Tausende bei Demonstrationen für Klimaschutz
- Umfrage Gut die Hälfte der Deutschen sorgt sich wegen Klimawandel
Klima-Protest: Momo lebte 18 Monate im Bauwagen in Lützerath
Ein Bauwagen war für 18 Monate Momos Zuhause in Lützerath. Bei der Besetzung des zur Räumung bestimmten Dorfes am Tagebau Garzweiler traf er auf Gleichgesinnte. Dabei sei die Klima-Bewegung anfangs belächelt worden, auch von anderen Linken, erzählt Momo. Dann kam 2018 Fridays for Future dazu und alles sei „explodiert“.
Doch daraus eine Bewegung zu machen, war viel Arbeit. In Lützerath ging sie weiter, eineinhalb Jahre bestand Momos Alltag aus der Vernetzung mit anderen Klima-Gruppen, aus Informieren und dem Planen von Veranstaltungen. „Ansonsten war es wie ein ganz normales Leben im Dorf, nur dass hier ein paar mehr junge Menschen lebten“, sagt Momo, „wir hatten auch die gleichen Probleme wie jede Studi-WG, es war unser Alltag.“
Momo hat keinen Nine-to-Five-Job, auch wenn er sich manchmal im Chaos genau den gewünscht hätte. Stattdessen finanziert er sich aus einem Unterstützerkreis. „Es gibt Leute, die mich lieber finanziell in meinem Aktivismus unterstützen als an Greenpeace zu spenden.“ So bezahlt er Krankenversicherung und Haftpflicht, als „Basics“. Die Zeit, die andere mit Lohnarbeit verbringen, nutzte er mit der Gemeinschaft, um für die Lützerather Gruppe aus 50 bis 100 Leuten zu sorgen. „Wir bekommen hier und da Spenden, kaufen dann beim Bauern noch Gemüse sein, aber theoretisch hättest du umsonst in Lützerath leben können“, sagt er. In einer Gemeinschaftsküche, der „Volxküche“, versorgten sich die Aktivistinnen und Aktivisten.
Unterstützung findet Momo auch bei seinen Eltern: „Ich tausche mich regelmäßig mit ihnen aus und diskutiere mit ihnen. Natürlich gibt es Punkte, in denen man nicht einer Meinung ist, aber grundsätzlich finden sie mein Engagement wichtig und gut“, erzählt er.
Worum geht es dir beim Protest, Momo? „Es reicht nicht, dass wir Umweltschutz wollen, wir müssen auch das Soziale betrachten. Wir sind hier privilegiert, und klar geht es darum, dass die Kohle im Boden bleibt. Aber es geht auch ums Größere, soziale Gerechtigkeit zu schaffen und die politische Debatte zu verändern. Dafür brauchen wir eine Mehrheit in der Bevölkerung, um Druck auf Parteien ausüben zu können, wenn die Parteien die Ziele schon nicht selbst verfolgen.“
Wenn Momo jetzt auf Lützerath zurückblickt, sieht er einen Erfolg. Auch wenn die Polizei trotz monatelanger Vorbereitung der Aktivistinnen und Aktivisten nicht einmal eine Woche brauchte, um das Camp zu räumen und Platz für die RWE-Bagger zu schaffen, sieht Momo viel Positives. „Lützerath war ein Kristallisationspunkt“, sagt er. „Die Welt hat auf diesen kleinen Ort geschaut und so gelang es, die Botschaft in die Welt zu tragen. Das war mein Antrieb.“
Die Räumung beschreibt er als „hektisch“, die Polizei sei mit „einer solchen Gewalt reingegangen“. Die Aktivisten rechneten damit, dass die Polizei sich Stück für Stück vorarbeiten würde, doch sie räumten überall gleichzeitig. „Sie gehen davon aus, dass wir gut gesichert sind, wir gehen davon aus, dass sie professionell vorgehen“, sagt Momo über das gegenseitige Verständnis zwischen Aktivisten und Polizei.
„Aber bei der Räumung ging alles so schnell. Es war wohl auch der Wille, dass wir nicht über Monate den Protest strecken wie im Hambacher Forst. Es ging darum, dass der Ort sehr schnell platt gemacht wird. Das habe ich als super brutal empfunden“, sagt Momo. Bei der Räumung bekam Momo nach eigenen Angaben einen Schlagstock ab, „nichts Wildes“.
Wie stehst du zu Gewalt, Momo? „Ich finde bei der Gewaltfrage immer spannend, dass sie so groß gemacht wird. Dabei ist es Gewalt, dass wir so gegen die Braunkohle kämpfen müssen. Was Deutschland macht, ist Gewalt gegen den globalen Süden. Der Umstand, warum wir den Protest machen, ist Gewalt. Sehr wenig Menschen gehen gerne in die direkte Konfrontation, aber der Umstand verlangt es, dass wir solche radikalen Maßnahmen treffen. Der Protest mag zwar nicht legal sein, aber er ist angesichts der Klimakatastrophe legitim.“
Die Polizei zählt Ende März rund 600 Strafverfahren zu den Protesten in Lützerath. Die Auswertung von Videos habe neue Erkenntnisse gebracht, teilte die Polizei am 22. März mit. Von den 600 Verfahren werden 150 wegen tätlicher Angriffe auf Polizeibeamte geführt, 21 Mal wird auch gegen Polizistinnen und Polizisten ermittelt, denen von Demonstrierenden Gewalt vorgeworfen wird. Gegen den Vorwurf genereller Polizeigewalt wehrte sich der Aachener Polizeipräsident. Die Polizei bewertete den Protest als „überwiegend friedlich“.
Momo sagt, dass es die teilweise gewaltsamen Proteste gegen die Klimakrise nicht geben müsste. Alle Zahlen und Fakten zum Klimawandel lägen vor, alle Länder hätten sich beim Pariser Klimaabkommen geeinigt. Würde die Politik sich verantwortlich zeigen, würde der Protest verschwinden.
Aber dafür bräuchte es Mehrheiten in der Gesellschaft – und die sieht Momo gerade wieder stärker bedroht: „Die Letzte Generation schafft es zwar zu polarisieren und mit ihren Aktionen in die Medien“, sagt Momo, aber „ich glaube persönlich, das ist zu kurz gedacht. Sie schaffen es zwar in die Schlagzeilen zu kommen, aber sie richten sich meistens gegen sie. Durch die Letzte Generation verkleinert sich die von uns angestrebte Mehrheit wieder. Darin sehe ich sogar eine Gefahr. Und dann heißt es wieder: ‚die Klimaaktivisten‘.“
Stattdessen kämpft er für neue Unterstützerinnen und Unterstützer. „Wir sind ja kein Club, wo nur die coolsten reinkommen.“ Von den Parteien erwartet er diese Unterstützung nicht mehr. Wenn man ihn nach den Grünen fragt, lächelt er nur müde: „Sie haben uns ausgenutzt und fallen lassen. Die Grünen wurden durch Fridays for Future groß, jetzt, wo sie regieren müssen, wenden sie sich von der Bewegung ab. Dabei kann ich doch auch einfach CDU wählen, wenn ich das kapitalistische Original will.“
Nach vier Jahren Klima-Kampf im Rheinland reicht es Momo. Er will weiterziehen, anderswo für soziale Gerechtigkeit streiten. Nur wegen seines politischen Willens, seiner Leidenschaft, habe er überhaupt so lange durchgehalten. „Es ist anstrengend. Natürlich gibts manchmal den Gedanken, dass man einfach die Zimmertür mal schließen will“, sagt er, „aber was mich weiter antreibt, ist die Hoffnung, etwas verändern zu können.“ Wo, das ist noch unklar. Nur Bankkaufmann wird er nicht mehr, das ist ziemlich sicher.