Bielefeld/Düsseldorf – Vor der Stadthalle in Bielefeld ist die Stimmung aufgeheizt. Die Delegierten der NRW-Grünen müssen sich den Weg zum Eingang durch Demonstranten bahnen. „Wer hat uns verraten? Christdemokraten. Wer hilft mit dabei? Die Grüne Partei“, skandieren Mitglieder der Umweltschutzbewegung „Extinction Rebellion“.
Als die Aktivisten die Spitzenkandidatin der Grünen, Mona Neubauer erblicken, wird es besonders laut. „Ich will meine Zweitstimme zurück. Ihr seid die FDP auf Fahrrädern“, rufen Mitglieder der Mahnwache Lützerath.
In Bielefeld diskutieren die NRW-Grünen über den Koalitionsvertrag mit der CDU. Dass es Proteste geben würde, war den Teilnehmern klar. Aber die Massivität hat viele Delegierte doch überrascht. „Das ist nicht schön“, sagt eine Grüne Ratsfrau aus Duisburg. „Aber da müssen wir jetzt durch.“
So sieht es offenbar auch Mona Neubaur. Es wäre wenig souverän, den Protest zu ignorieren. Bevor der Parteitag beginnt, tritt sie selbstbewusst vor die Halle und stellt sich der Kritik der Klimaschützer. „Ich komme aus Lützerath. Was wird jetzt aus uns?“, fragt Dorfbewohner Fred die Spitzengrüne. Neubaur antwortet ohne Umschweife. „Es wäre vermessen, Versprechungen zu machen“, erklärt die künftige Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Energie und Klimaschutz.
Die rechtliche Lage sei kompliziert. „Das ist nicht easy peasy. Aber kein Grund, nichts zu machen.“ Sie werde sich in den Verhandlungen mit RWE mit aller Kraft für den Erhalt von Lützerath einsetzen, verspricht Neubaur. Das stellt Fred zwar nicht zufrieden, aber er respektiert Neubaurs Offenheit.
Der Parteitag beginnt schließlich mit Verspätung. Als Neubaur die Bühne betritt stehen die Delegierten auf und spenden langen Beifall. Ein Zuspruch, der der Spitzenkandidatin gut tut und zu Tränen rührt. „Das ist ein Moment, wo ihr mich sehr menschlich erlebt“, sagt die Politikerin aus Düsseldorf. Dann hält sie Ihr Plädoyer für den Koalitionsvertrag. Die Verhandlungen hätten oft bis in den frühen Morgen gedauert, berichtet Neubaur zu Beginn ihrer 30-minütigen Rede. „Wir haben hart gerungen“.
Heftige Kritik von Grüner Jugend: „historische Peinlichkeit“
In der anschließenden Debatte gibt es vor allem von der Grünen Jugend heftige Kritik. Der Koalitionsvertrag sei eine „historische Peinlichkeit“, sagt Alba de Curtis aus Münster. Die CDU könne ihre Sparpolitik fortsetzen. Die Mietpreisbremse fehle ebenso wie ein Bekenntnis zum Tarifvertrag Entlastung in der Pflege. Im Bereich Klimaschutz gebe es 125 Prüftaufträge. „Wir wissen doch wo wir stehen. Was gibt es da noch zu prüfen“, fragt die Politikerin uns Münster.
Der Umweltpolitiker Norwich Rüße kritisiert, dass der Landwirtschaftsbereich künftig von der CDU geführt werden soll. „Das hat mich verärgert“, sagt der Landtagsabgeordnete aus dem Münsterland. „Es war ein großer Fehler, der CDU diesen Traum zu erfüllen“. Insgesamt sei der Koalitionsvertrag aber zustimmungsfähig.
Auch der Verkehrsexperte Arndt Klocke wirbt für das Bündnis mit der CDU. Er hatte gehofft, Verkehrsminister werden zu können, ging aber bei Ämterverteilung leer aus. Man habe bei den Koalitionsverhandlungen viel erreicht, sagt der Politiker aus Köln. Das Kapitel zur Verkehrspolitik trage eine grüne Handschrift. „Beim Straßenbau gilt jetzt Erhalt vor Neubau“, ruft Klocke unter Beifall in den Saal. Der frühere Partei- und Fraktionschef will sich künftig neuen Politikfeldern widmen.
Am späten Nachmittag wollen die 280 Delegierten über den Koalitionsvertrag abstimmen.