Die CDU in NRW hat am Samstag den schwarz-grünen Koalitionsvertrag gebilligt.
Nach nur einer Stunde ging es schon auf die Zielgerade der Tagesordnung, ein Tag wie nach Drehbuch für Hendrik Wüst.
Die einstigen Gräben zu den Grünen wirken auf dem Parteitag wie vergessen, dabei gibt es viele Herausforderungen für Schwarz-Grün.
Bonn/Düsseldorf – Nach nur 60 Minuten läutet der Tagungsleiter schon wieder das Ende ein. Punkt neun ist noch dran, die Nationalhymne, der traditionelle Schlussakkord eines CDU-Parteitages. Das Lied dröhnt durch übersteuerte Boxen, dann leeren sich die Reihen. Die 584 Delegierten verlassen den großen und in die Jahre gekommenen Festsaal des Maritimhotels in Bonn, der politisch einst schwarz getünchten Ex-Bundeshauptstadt, die sich inzwischen in grüner Hand befindet.
Der 44. Landesparteitag der NRW-CDU verlief für den Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Hendrik Wüst nach Drehbuch. Applaus mit stehenden Ovationen, Rede einschließlich Vorstellung des schwarz-grünen Koalitionsvertrags, keine Widerworte aus dem Plenum, Abstimmung mit überwältigender Mehrheit, Hymne, Abgang. Viel schneller kann man durch einen solchen Tag kaum durchsprinten.
CDU-Parteitag: Gute Stimmung bis stellenweise kritiklose Langeweile
Es herrschte gute Stimmung, die stellenweise in kritiklose Langeweile abdriftete. Sogar das Video-Grußwort von Bundesparteichef Friedrich Merz kam über die Plattitüde „die Union ist wieder da“ nicht hinaus. Der Sauerländer weilte zur selben Zeit beim Parteitag der Hamburger CDU.
Vielleicht haben die vergangenen Wochen die Delegierten in eine Apathie des Erfolgs getrieben. Vielleicht aber herrscht auch die Furcht, mit allzu vielen Frotzeleien wieder das kaputt zu machen, was man sich gerade mit viel Mühe und Diszipliniertheit aufgebaut hatte.
Immerhin, sagte Wüst, sei es eine historische Phase für die NRW-CDU. Er erinnerte daran, dass beim letzten Parteitag in Bielefeld die CDU gerade die Bundestagwahl verloren hatte, man laut Umfragen in NRW 13 Prozent hinter der SPD rangierte und ein Wahlsieg mehr oder weniger für unmöglich gehalten wurde. Nun aber seien die Christdemokraten erstmals überhaupt an der Spitze einer NRW-Landesregierung bestätigt worden. Und erstmals, auch das historisch für die NRW-CDU, habe man eine Koalition mit den Grünen geschmiedet.
Tiefe Gräben zwischen Schwarz und Grün wirken überholt
Einer Partei, das sagte er allerdings nicht, die man vor nicht allzu langer Zeit eher noch belächelte, aber auch bekämpfte. Unüberwindbar tief schienen die Gräben gerade nach dem Konflikt um den Hambacher Wald, den Erhalt der Dörfer an den Rändern des Braunkohle-Tagebaus und die Debatte um die Gefallsucht von Wüst-Vorgänger Armin Laschet gegenüber dem Essener Energieriesen RWE, weshalb man ihn spöttisch auch den „Kohle-Kumpel“ nannte.
Oder die Verwerfungen in Sachen Windenergie, aber auch bei der inneren Sicherheit, wo die Grünen die Politik der tausend Nadelstiche von Innenminister Herbert Reul gegen die Clans als Beförderung rassistischer Ressentiments geißelte.
All das soll nun vergessen sein. Durch den neuen Koalitionsvertrag mit den Grünen habe man eine „gute Basis für eine gute Zusammenarbeit und eine gute Landesregierung in Düsseldorf“ geschaffen. Es ist ein typischer Wüst-Satz. Vorgetragen mit Charme, aber möglichst ohne jede Deutungsrelevanz.
„Es war ein weiter Weg, den wir gehen mussten“
Immerhin lässt Wüst anklingen, dass die vergangenen Wochen der Verhandlungen nicht ganz so kuschlig gewesen seien. „Es war ein weiter Weg, den wir gehen mussten“, sagte Wüst. Man habe „geredet, gerungen, gestritten“, aber auch zugehört, und zwar „lange und gründlich“. Als Resultat hält er nun ein Dokument in der Hand, 146 Seiten stark, Titel „Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen“. Für Wüst drückt er das aus, was das Land gerade brauche: „Konstanz und Wandel“. Man könnte das auch für eine politische Grundbedingung halten.
Wüst, der kommende Woche im Amt des Ministerpräsident bestätigt werden soll, ist bemüht, dem Eindruck entgegenzuwirken, das Verhandlungswerk könnte doch zu grünstichig rüberkommen. Seine Wertung: Man hat sich nicht etwa überrumpeln lassen, sondern aufeinander zubewegt.
Auch beim Thema Klima: Deutlich mehr Windräder, aber – und das ist offenbar das CDU-Verdienst - konzentriert auf ausgewiesenen Flächen und nicht als Wildwuchs. Über die Solardachpflicht ab 2025 verliert Wüst kein Wort, auch nicht über die Braunkohle.
Viele Aufgaben bei Schul- und Sicherheitspolitik
Als CDU-Erfolg will Wüst das Thema Bildung verbucht wissen. Die Grünen haben von ihrer Einheitsschule Abstand genommen, der Schulfrieden, der bald ausläuft, soll verlängert bleiben, also keine neue Debatte über eine Änderung des Schulsystems. Gerade nach der für Lehrer, Schüler und Eltern anstrengenden Zeit der Pandemie sei das ein wichtiges Signal.
Auch die innere Sicherheit, Wüsts Kraftthema im Wahlkampf, sei klar von der CDU geprägt. 3000 Polizisten jährlich, zudem soll die Jagd auf Clans und Rocker fortgesetzt werden. Wirklich „Klick“ gemacht aber habe es bei Wüst, als es um das eher sperrige Thema Planungs- und Genehmigungsverfahren gegangen sei. Diese sollen laut Einigung künftig standardisiert und automatisiert werden. „Transformation braucht Tempo“, sagte Jurist Wüst. „Dieser Vertrag stellt das sicher.“
Die schwarz-grüne Euphorie, das ist die Hoffnung, soll nun auch innerhalb der CDU um sich greifen. Einen, von dem man es wohl am wenigsten erwartet hätte, hat sie schon voll erwischt. Herbert Reul, der bis zum Ende des Wahlkampfs noch als einer der entschiedensten Gegner einer solchen Allianz galt, gibt sich nun als einer ihrer größten Förderer. „Ich war ja eigentlich schon immer dafür“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Schon in den 1990er Jahren habe er als CDU-Generalsekretär in NRW 26 schwarz-grüne Bündnisse auf kommunaler Ebene mit eingestielt.
Mit seiner Vision von der Aussöhnung von Wirtschaft und Natur, Bürgerrechten und Rechtsstaat habe er die CDU sogar so genervt, dass er, so seine Vermutung, wohl auch deshalb schließlich aus dem Bundesvorstand geflogen sei. Dass er nun lange Zeit gleichsam als Wortführer der schwarz-grünen Verhinderer durchging, habe vor allem mit dem Image als „schwarzer Sheriff“ zu tun, das man ihm von außen zugeschrieben habe.
Doch nicht alle Delegierten im Bonner Maritim sind mit dem schwarz-grünen Trend einverstanden. Vier von ihnen haben dem historischen Koalitionsvertrag ihre Zustimmung verweigert. Eine von ihnen ist Eva-Maria Feldmann aus Steinfurt. Sie wünscht sich von ihrer Partei eine größere Rückbesinnung auf die Lebensrealität der Menschen.
„Es ist ein Hype, dass jetzt alles grün sein muss“, sagte sie. Aber alles, was grün sei, koste auch sehr viel Geld. Gerade Bürger, die sich um ihre Einkommen sorgten, die nicht genau wüssten, wie sie ihr Leben angesichts der Krisen künftig finanzieren sollen, seien mit kostspieliger grüner Politik schwer einzufangen. „Wir bilden den Querschnitt der Gesellschaft nicht ab.“ Schwarz-grün sei jetzt zwar Parteilinie, sagt Feldmann, ihre sei es nicht.