Der Plan von Sahra Wagenknecht, eine eigene Partei zu gründen, versetzt auch den Landesverband der Linken in NRW in Unruhe.
Erfolg prophezeitKölner Armutsforscher: „Wagenknecht-Partei kann auf 20 Prozent kommen“
Am Samstag kommt der 16-köpfige Landesvorstand der Partei die Linke in der Parteizentrale in Düsseldorf zusammen. Wichtigster Tagesordnungspunkt: Der Umgang mit Mitgliedern, die sich der Partei von Sahra Wagenknecht anschließen wollen. „Wer eine neue Partei gründet, sollte nicht länger von unseren Ressourcen profitieren“, sagte Parteichef Sascha Wagner dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Irgendwann ist Schluss. Wir lassen uns nicht mehr länger am Nasenring durch die Manege ziehen.“
In Berlin soll am Montag eine Pressekonferenz von Wagenknecht stattfinden. „Ich gehe fest davon aus, dass das der Startschuss für die Gründung ihrer eignen Partei ist“, sagt Sascha Wagner. Viele an der Parteibasis befürchten, dass die bisherige Linke durch diesen Schritt massiv geschwächt wird.
Parteichef Wagner hat einen anderen Blick auf die Vorgänge. „Ich sehe die Abtrennung auch als Befreiung. Viele Mitglieder hat der Dauerstreit mit Wagenknecht demotiviert. Jetzt können wir uns wieder auf die Inhalte konzentrieren. Das bringt uns einen Schub nach vorne.“
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Linke haben 6500 Mitglieder in NRW
Wagenknecht hatte ihrer Partei vorgeworfen, keine Friedenspartei mehr zu sein. In der Flüchtlingspolitik fordert sie einen Kurswechsel, weswegen ihr von Kritikern vorgeworfen wird, sie würde rechte Codes bedienen. Nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern hatten rund 60 Mitglieder ein Parteiausschlussverfahren beantragt. Zu den Unterzeichnern gehören auch Mitglieder des Landesvorstands in NRW.
Bei der Bundestagswahl 2021 hatte Wagenknecht auf Platz eins der NRW-Landesliste kandidiert. Bei den Linken geht man davon aus, dass drei von sechs Bundestagsabgeordneten aus NRW in die neue Partei wechseln werden. „Das ist sehr ärgerlich“, sagt Wagner. Aber an einen Erdrutsch an der Basis glaubt er nicht. Derzeit haben die Linken in NRW noch 6500 Mitglieder. Der Parteichef erwartet, dass nur „einige Hundert“ zu Wagenknecht wechseln werden. In NRW waren die Linken von 2010 bis 2012 im Düsseldorfer Landtag vertreten.
Kölner Linken-Ratsmitglied Detjen kritisiert Wagenknechts Pläne
Jörg Detjen, Mitglied der Linksfraktion im Kölner Stadtrat, sieht die Parteigründung kritisch: „Sahra Wagenknecht hat einfache Antworten auf komplexe Fragen, die kommen bei Wählerinnen und Wählern gut an“, sagte der Ratsherr unserer Zeitung. Die Linke habe versäumt, moderne, soziale und nachhaltige Ziele zu entwickeln und dafür geschlossen einzutreten. „Wagenknecht ignoriert bei Putins-Überfall auf die Ukraine das Völkerrecht“, sagt Detjen. Die Ukraine habe das Recht, sich zu wehren. Wagenknecht lege „das Völkerrecht taktisch aus, gerade wie ihr das in den Kram“ passe.
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge war 2017 Bundespräsidentenkandidat der Linken. Der Professor aus Köln ist sich sicher: „Sahra Wagenknecht hat das Potenzial, breite Wählerschichten anzusprechen. Sie thematisiert die starke Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland und trifft damit den Nerv vieler Menschen.“ Durch ihre migrationskritische Haltung sei sie für jene Protestwähler interessant, die bislang für die AfD gestimmt hätten. „Auch finden viele Bürger Wagenknecht persönlich sympathischer als rechtspopulistische Demagogen. Bei ihren Talkshow-Auftritten überzeugt sie durch eine schlüssige Argumentation und eine brillante Rhetorik“, so der Politikwissenschaftler.
Wiederholt sich der Piraten-Effekt?
Wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber den staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen während der Pandemie habe sie auch im Lager der Impfskeptiker viele Unterstützer. „Wenn es Wagenknecht gelingt, eine effektive Organisation aufzubauen, sehe ich ein Wählerpotenzial von 15 bis 20 Prozent. Die alte Linke würde hingegen vermutlich marginalisiert“, prophezeit Butterwegge.
Ein Problem für die Linke sei, dass die Parteimitgliedschaft mehrheitlich ein bedingungsloses Grundeinkommen befürwortet haben. „Nimmt sie diese Forderung in ihr Programm auf, kommt es zu einem Bruch mit den Gewerkschaften, die eine Geldverteilung nach dem Gießkannenprinzip strikt ablehnen“, so der Armutsforscher. Wagenknecht ist ebenfalls gegen das bedingungslose Grundeinkommen: „Das könnte zu einer Allianz der neuen Partei mit linken Gewerkschaftern führen.“
Zum Erfolg von Wagenknecht könne auch der schlichte Umstand beitragen, dass es sich um ein neues Projekt handelt: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Als sich die Piraten neu gründeten, entstand ein Medienhype, der sie in fast alle Parlamente spülte. Vielleicht wiederholt sich dieser Effekt bei der Wagenknecht-Partei“, sagt Butterwegge.