Ford, Thyssenkrupp, Bosch – die Liste von Konzernen, die Stellenkürzungen angekündigt haben, ist lang. Auch in NRW schafft das Unruhe.
NRW-Landtag berätGewerkschaften und Verbände fordern Maßnahmen gegen Entlassungen in der Industrie

Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sorgen sich um den Industriestandort und zigtausende daran hängende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen. (Archivbild)
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Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sorgen sich um den Industriestandort und Zigtausende daran hängende Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen. In schriftlichen Stellungnahmen zu einem SPD-Antrag gegen „Entlassungswellen in der Industrie“ fordern unter anderem Gewerkschaften, Automobil- und Wirtschaftsverbände sowie Wissenschaftler gezielte Gegenmaßnahmen der Landes- und Bundespolitik.
Was läuft schief?
Häufige Schnittmenge in den Empfehlungen der Experten: heimische Energiepreise senken, Elektromobilität mit gezielten Kaufanreizen und Ausbau der Ladestationen ankurbeln, Batterieforschung und -fertigung in NRW stärken, Steuer- und Bürokratielasten mindern sowie Verlässlichkeit für Investoren gewährleisten statt politische Ziel- und Klimavorgaben immer wieder infrage zu stellen. Am kommenden Mittwoch wird sich der Arbeitsausschuss des Landtags mit dem Thema befassen.
Industrie-Gipfel mit Ministerpräsident Wüst
Am Donnerstag trifft sich Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mit Spitzenvertretern der Industrie zu einem Austausch in Düsseldorf, um zentrale wirtschaftliche Herausforderungen zu diskutieren und gemeinsame Erwartungen an die künftige Bundesregierung zu formulieren. „In Zeiten zunehmender globaler Herausforderungen braucht es zukunftsfähige Rahmenbedingungen, die die Wettbewerbsfähigkeit für die Industrie nachhaltig stärken“, umriss die Staatskanzlei die Erwartungen.
Von Ford bis Coca-Cola
Ausgangspunkt des Oppositionsantrags zu Entlassungswellen in der Industrie war der im November angekündigte Stellenabbau bei Ford. Der Produktionsstandort Köln steht nach Plänen des Managements vor einem massiven Jobabbau: Binnen drei Jahren sollen dort rund 2.900 Stellen der aktuell etwa 11.500 Jobs wegfallen. Der US-Autobauer stellt in der Domstadt zwei Elektroauto-Modelle her.
„Die angekündigten Streichungen bei Ford reihen sich in eine lange Liste von Stellenabbauprogrammen in NRW ein“, bilanziert die SPD in ihrem Antrag. Neben großen Namen wie Miele, Coca-Cola oder Thyssenkrupp gehörten auch mittelgroße Unternehmen dazu.
Warnung vor der Sogwirkung
Mit der Automobil-Branche sei neben der Stahl- und der chemischen Industrie ein weiterer Wirtschaftszweig betroffen, an dem weitreichende Wertschöpfungsketten hingen, warnt die SPD-Fraktion. Daher müsse die Landesregierung jetzt alles dafür tun, den Wegfall weiterer Industriearbeitsplätze zu verhindern.
Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht angesichts des angestrebten Umbaus zu einer klimaneutralen Wirtschaft und eines verschärften globalen Wettbewerbs mit zunehmenden protektionistischen Tendenzen dringenden Handlungsbedarf. Eine Prognos-Studie für den VDA kommt zu dem Schluss, dass der Umbau zur Elektromobilität bis 2035 etwa 190.000 Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland kosten könnte - ein Viertel davon ist demnach bereits zwischen 2019 und 2023 weggefallen.
„Nordrhein-Westfalen ist ein zentraler Standort der deutschen Automobilindustrie und spielt eine Schlüsselrolle in der Wertschöpfungskette des Sektors“, unterstreicht der VDA in seiner Stellungnahme. „Neben etablierten Unternehmen und global agierenden Konzernen finden sich hier auch zahlreiche mittelständische Betriebe, die mit ihrer Expertise in Bereichen wie Elektromobilität, Leichtbau und Digitalisierung entscheidende Impulse setzen.“
Echte Krise – keine Delle
Aus Sicht des Landesverbands Unternehmer NRW spiegeln Ausmaß und Tempo des beklagten Arbeitsplatzabbaus eine „strukturelle Krise - keine konjunkturelle Delle“. Besonders betroffen sei NRW: Hier liege die Industrieproduktion etwa 20 Prozent unter dem Vorkrisen-Niveau von 2018 - im Vergleich zu etwa 16 Prozent bundesweit.
„Angesichts der düsteren Aussichten ist es Unternehmen zunehmend nicht mehr möglich, Arbeitskräfte zu halten“, bilanzierte der Unternehmerverband. So habe die Zahl der Industrie-Beschäftigten in NRW im Oktober 2024 um rund 21.000 unter dem Vorjahresniveau gelegen. „Diese Entwicklung muss große Sorgen machen.“
Mehr staatlicher Kontrollbedarf?
Anders als die Gewerkschaften sehen die Unternehmer hingegen keinen erhöhten Korrektur- und Kontrollbedarf bei Mitbestimmung und Arbeitsschutz. „Schutzlücken bestehen nicht“, heißt es in ihrer Stellungnahme. „Einzelfallbezogene Handlungsvorgaben“ der Legislative seien nicht deren rechtsstaatliche Aufgabe.
Ganz anders sehen das die Arbeitnehmervertreter: „Neu ist, dass die konjunkturellen und strukturellen Probleme immer unverhohlener auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden sollen“, schreibt der Deutsche Gewerkschaftsbund. „Und dies geschieht vielfach ohne klaren Fahrplan für die Zukunft.“
Auch die SPD befürchtet Arbeitsverdichtung, Überlastung und Gesundheitsgefahren für die verbleibenden Restbelegschaften. Die IG Metall fordert, deswegen die Zahl der Aufsichtspersonen in den Bezirksregierungen massiv aufzustocken. Die Landesregierung trage hier die übergreifende staatliche Verantwortung.
An der Autoindustrie hängen Hunderttausende Jobs
Das Netzwerk Automotive Land NRW wies auf die besondere Bedeutung der Branche innerhalb der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsstruktur hin wegen zahlreicher Verflechtungen der Automobilindustrie mit anderen Bereichen und Wertschöpfungsketten – darunter Energie- und Digitalwirtschaft, Maschinen- und Anlagenbau, aber auch Werkstätten oder Handel. So hingen von einer erfolgreichen Transformation im Automobilbereich letztlich Hunderttausende Erwerbstätige in vielen weiteren vor- und nachgelagerten Bereichen ab.
Deswegen müssten deutsche Autohersteller ihre Modelle nun dringend auf die Bedürfnisse eines sich schnell wandelnden globalen Marktes ausrichten, empfehlen die Branchen-Experten. Andere Wettbewerber seien da längst weiter: „Chinesische Hersteller haben ihre Marktanteile nicht nur durch kostengünstigere Modelle, sondern auch durch technologische Innovationen, wie fortschrittliche Batterietechnologien, stark ausgebaut.“
Wo bleibt das „Brot-und-Butter-Auto“?
Speziell beim Autobauer Ford sieht Soziologie-Professor Andreas Knie in dieser Hinsicht eher schwarz. Eine Werkschließung in Köln-Niehl bleibe unausweichlich, „wenn nicht endlich Autos in einer Preisklasse zwischen 20.000 und 25.000 Euro angeboten werden“, prognostiziert der Wissenschaftler. Gebraucht werde ein „Brot-und-Butter-Auto“ für Haushalte mit durchschnittlichem Jahreseinkommen. (dpa)