Fast zwei Jahre russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine und die internationale Hilfe bröckelt: Das sagen Betroffene zur aktuellen Lage.
Hilfs- und Spendenbereitschaft schwanktWie NRW der Ukraine 2023 geholfen hat – und was die Menschen jetzt brauchen
Bald ist der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zwei Jahre her. Seit dem 7. Oktober ist der Nahost-Konflikt eskaliert. In Myanmar werden die Kämpfe zwischen Rebellen und Militär immer heftiger. Schwinden im Schatten neuer Konflikte und Kriege die Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Ukraine? Was sagen Betroffene? Was hat Nordrhein-Westfalen für das Land dieses Jahr getan und wie steht es um die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung?
So hat das Land NRW 2023 die Ukraine unterstützt
Ein Sprecher der NRW-Staatskanzlei teilt auf Anfrage mit, 2023 habe das Bundesland die Ukraine mit rund 622.000 Euro unterstützt, darunter Hilfslieferungen des Blau-Gelben Kreuzes und des Vereins Libereco. Man sei sehr dankbar für die Unterstützung aus NRW, jedoch nehme die Spendenbereitschaft insgesamt ab. Viele Menschen würden den Terror in der Ukraine vergessen. „Die aktuelle Lage in der Ukraine ist schrecklich“, sagt Julia Chenusha. Die Geschäftsführerin des Deutsch-Ukrainischen Vereins Blau-Gelbes Kreuz aus Köln war kürzlich erst selbst in der Ukraine.
„Fast jeden Tag gibt es Alarme und die Menschen leben dort schon fast zwei Jahre so. Die Nachrichten aus Kiew sind beunruhigend, mit Drohnen- und Raketenangriffen auf die Stadt.“ Bei all dem Terror benötige man schnelle Hilfe und Spenden, um die Menschen vor Ort zu unterstützen, sagt Chenusha.
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Russischer Angriffskrieg: In „ruhigeren“ Zeiten schwindet die Spendenbereitschaft für die Ukraine
Die Spenden kämen aber nur wellenartig. „In Zeiten, in denen die Situation in der Ukraine eskaliert, steigt die Aufmerksamkeit und damit die Hilfsbereitschaft. In ‚ruhigeren‘ Zeiten ist es jedoch schwieriger, diese Bereitschaft aufrechtzuerhalten“. Ruhigere Zeiten, ein eigentlich positiver Umstand, bedeuten also einen Rückgang an Spenden.
In einer idealen Welt, sagt Anastasiia, die nicht möchte, dass ihr Nachname öffentlich wird, hätte die internationale Gemeinschaft die Ukraine nicht vergessen und die Hilfsbereitschaft wäre nie gesunken. „Ganz ehrlich: Ich verstehe es. Es war klar, dass das passiert. Es gibt so viele Kriege und andere Probleme auf der Welt. Aber der Krieg geht immer noch weiter, es sterben immer noch jeden Tag ukrainische Soldaten, und mehr und mehr Leute verlieren ihr Zuhause.“
Für Anastasiia und ihre Familie ist dies schon geschehen. Ihr Schicksal ist eines von vielen. Die Anzahl der Flüchtlinge, die innerhalb der Ukraine fliehen, wurde Anfang Juli 2023 auf rund 5,66 Millionen Menschen geschätzt. Die 22-jährige Ukrainerin wuchs in Soledar auf, einer Kleinstadt im Osten der Ukraine in der Nähe von Bachmut. Kurz nach Kriegsbeginn floh sie mit ihren Eltern nach Dnipro, ins Zentrum der Ukraine, wo sie bis heute lebt. Zurückkehren wird sie nicht. In ihrer Heimatstadt lieferten sich ukrainische Soldaten heftige Kämpfe mit der russischen Armee, sechs Monate dauerten die Gefechte an, bis Soledar im Januar 2023 fiel. Anastasiias Zuhause, das Haus, in dem sie groß geworden ist, wurde zerstört.
Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet sie von ihrer persönlichen Situation. „Am meisten Sorgen mache ich mir um meine Eltern“, schreibt Anastasiia. „Sie haben alles verloren.“ Die 22-Jährige träumt davon, ihren Eltern eine neue Wohnung zu kaufen. Einen Ort, an dem sie sich wieder zu Hause fühlen können, hunderte Kilometer weit weg von ihrer Heimat. Noch fehlt ihr dafür aber das Geld.
„Ich habe das Haus meiner Eltern für einen Ortx gehalten, an den ich immer zurückkehren kann. Wenn ich Probleme auf der Arbeit habe, wenn das Geld fehlt, oder wenn ich Beziehungsprobleme habe. Immer.“ Mit dem Krieg habe sie realisiert, dass es ein „für immer“ in ihrem Leben nicht gibt. Materielle Dinge kauft Anastasiia sich heute nur noch selten. Alles, was sie hat, muss im Notfall in einen Koffer passen.
Spende des Landes NRW: Junge Ukrainer sollen trotz zerstörter Schulen weiter lernen können
Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind auf Geld- und Sachspenden angewiesen. Die Initiative „NRW hilft der Ukraine“ führte in diesem Jahr insgesamt 39 Hilfstransporte durch, wobei jeder Transport einen Gegenwert von bis zu 150.000 Euro hatte. Auch das Wirtschaftsministerium in NRW unterstützte die Ukraine. Es wurden Messgeräte zur Messung der Strahlendosis im Wert von etwa 60.000 Euro besorgt und in die Region Dnipropetrowsk geliefert, um möglicherweise freigesetzte Radioaktivität zu messen. Die Region, mit der NRW ein Partnerschaftsabkommen geschlossen hat, grenzt an das Atomkraftwerk Saporischschja.
Darüber hinaus wurden jüngst 3000 Laptops von der Finanzverwaltung NRW für ukrainische Schülerinnen und Schüler zur Verfügung gestellt, deren Schulen im russischen Angriffskrieg zerstört wurden und die jetzt auf Online-Unterricht angewiesen sind. Für 2024 sei die Planung und die damit verbundene Unterstützung für die Ukraine noch nicht abgeschlossen, heißt es aus der Staatskanzlei.
Was laut Chenusha derzeit am dringendsten benötigt werde, sei dicke, warme Kleidung, denn der Winter setze die ukrainischen Soldaten und die ukrainische Zivilbevölkerung einer zusätzlichen Belastung aus. „Stromgeneratoren werden ebenfalls nach wie vor benötigt. Die sind nicht nur für Wärme und Licht, sondern werden insbesondere auch in Kliniken und Kinderkliniken eingesetzt. Ein funktionierender Stromgenerator trägt zum Überleben von Babys bei.“ Dazu hat der Verein die Aktion „Wärme schenken“ ins Leben gerufen.
Den schönsten solidarischen Moment 2023 gab es aus Chenushas Sicht bei einem Hilfskonvoi. „Wir haben einen Konvoi organisiert, der aus elf Fahrzeugen bestand, darunter Polizei-, Müllabfuhr- und Feuerwehrfahrzeuge. Diese Fahrzeuge wurden von verschiedenen Städten gespendet und von unseren ehrenamtlichen Helfern aus der Ukraine über die Grenze gefahren. Diese Aktion wurde in der Ukraine als große Solidaritätsaktion wahrgenommen.“
Für das kommende Jahr wünscht sich der Verein Blau-Gelbes Kreuz eine weiterhin starke Unterstützung durch das Land NRW, um mit Hilfstransporten die Folgen des Krieges bewältigen zu können. Zudem schnelle Waffenlieferungen der deutschen Regierung, denn Verzögerungen würden Menschenleben kosten, so Chenusha. „Ich hoffe für 2024 sehr, dass wir Deutschen nicht müde werden, Hilfsbereitschaft zu zeigen, dass die Ukraine EU- und NATO-Mitglied wird – und dass dieser Krieg hoffentlich bald ein Ende finden wird.“