Thomas Kutschaty ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag und war Spitzenkandidat bei der diesjährigen Landtagswahl.
Dabei fuhr die SPD ihr bisher schlechtestes Ergebnis ein: Sie landete bei 26,7 Prozent.
Im Interview spricht Kutschaty über mögliche Gründe für die Wahlpleite, den Pflegenotstand in den Kliniken und wieso er mit Schwarz-Grün eine „Allianz der Besserverdiener“ befürchtet.
Herr Kutschaty, die FDP hat ihren Fraktionschef nach der Wahlniederlage ausgetauscht, Sie sind mit breiter Mehrheit wiedergewählt worden. Hätten Sie nicht auch mit einem Putsch rechnen müssen?
Natürlich geht man als Spitzenkandidat nach einer verlorenen Landtagswahl nicht einfach zur Tagesordnung über. In den ersten Nächten danach habe ich oft wachgelegen und über vieles nachgedacht. Dann bin ich in die erste Fraktionssitzung gekommen und mit langem Applaus begrüßt worden. Da war viel Rückhalt, Ermutigung und Unterstützung zu spüren. Danach war für mich klar: Das ist es noch nicht gewesen. Ich habe Lust, Energie und Ideen, gemeinsam mit dieser tollen Fraktion mehr für die Sozialdemokratie rauszuholen.
Welchen Anteil an der Wahlpleite sehen Sie bei sich persönlich?
Wir werden das Ergebnis mit allen Ebenen in der Partei gründlich aufarbeiten und dazu auch eine externe Analyse in Auftrag geben. Der Prozess nach der verloren gegangenen Bundestagswahl 2017 ist dabei unser Vorbild. Ich will aus Fehlern lernen. Dazu gehört natürlich auch, dass man sich selbst hinterfragt. Wer das nicht tut, wird schwerlich Dinge besser machen können. Vielleicht habe ich nicht immer so zugespitzt, wie es möglich gewesen wäre. Am Ende haben wir es nicht geschafft, unsere Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Es fehlte die Polarisierung. Und wir haben zu wenig über Landesthemen gesprochen.
Das haben Sie ja selbst befeuert, indem Sie beispielsweise Manuela Schwesig, die für ihre bisherige Russlandpolitik stark kritisiert wurde, kurz vor der Wahl verteidigt haben...
Einspruch. Das stimmt so nicht. Insgesamt hat die Russland-Kampagne, die die CDU in die Welt gesetzt hat, im Landtagswahlkampf aber breiten Raum eingenommen. So wurde viel zu wenig über bezahlbares Wohnen, bessere Bildungschancen, kostenfreie Kitas oder sichere Arbeitsplätze geredet.
Die SPD hat mit Plakaten geworben, auf der Sie mit Olaf Scholz zu sehen waren. War das ein Fehler?
Nein. Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar für sein Engagement.
Forsa-Chef Manfred Güllner nannte Sie nach der Wahl ein „unbeschriebenes Blatt“, Sie seien den Menschen in NRW als Spitzenpolitiker nicht geläufig gewesen. Da hätte Wüst einen Vorteil gehabt. Fehlte einfach der Bekanntheitsfaktor?
In der Direktwahl-Frage lagen zwischen Hendrik Wüst und mir zuletzt nur noch wenige Prozentpunkte. Daran hat es nicht gelegen.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Spitzenkandidat der NRW-SPD bei der Landtagswahl 2027 erneut Thomas Kutschaty heißt?
Vor uns liegen fünf herausfordernde Jahre, diese Personalfragen stellen sich jetzt nicht. Das Wichtigste ist, dass mit der SPD 2027 zu rechnen sein wird. Dafür will ich vollen Einsatz leisten.
Lässt sich denn seriös vorhersagen, ob Sie im nächsten Jahr erneut für den Parteivorsitz kandidieren?
Ich bin bereit, weiter Verantwortung zu übernehmen. Deshalb freue ich mich auch, dass mir die Fraktion mit einem starken Votum erneut ihr Vertrauen ausgesprochen hat.
Die Wähler von CDU und Grünen kommen aus ähnlichen Milieus, ideologische Konflikte gibt es kaum noch. Gehört Schwarz-Grün die Zukunft?
Es wäre schlecht für die Menschen im Land, wenn die Zukunft einer Allianz von Besserverdienern gehören würde. Schwarz-Grün wird vielleicht eine Koalition für mehr Windräder und Photovoltaik sein. Immerhin. Aber Schwarz-Grün wird keine Koalition für Normalverdiener, die sich Sorge um ihre Miete, steigende Preise oder die Bildungschancen ihrer Kinder machen. Eine Sozialpolitik, die auch die vielen Menschen im Blick hat, denen es nicht so gut geht, wird in NRW künftig nur noch von der SPD vorangetrieben. Wir werden darauf achten, dass die Herausforderungen unserer Zeit nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden.
Wie beurteilen Sie die Chance, dass sich Schwarz-Grün im Laufe der Legislatur überwirft – und die Ampel doch noch zum Zuge kommt? Würde Schwarz-Grün einen großen Polizeieinsatz zur Räumung von Lützerath aushalten?
Bei der Inneren Sicherheit liegen zwischen CDU und Grünen tatsächlich Welten. Der Law-and-Order-Kurs von NRW-Innenminister Herbert Reul kann für die Grünen schon ein Problem werden, ihr Gesicht zu wahren. Vor allem, wenn man an die massive Kritik aus der nahen Vergangenheit denkt. Da wird auch der grünen Basis einiges zugemutet werden. Aber Schwarz-Grün wird jetzt erst einmal kommen, warten wir es ab.
Was erwarten Sie von der Corona-Politik von Schwarz-Grün?
Klar ist, dass sich das Schul-Chaos nicht wiederholen darf. Wenn die neue Koalition das nicht schafft, verspielt sie schon am Anfang ihren Kredit. Wichtig ist, dass die neue Landesregierung jetzt alle Vorkehrungen dafür trifft, dass im Herbst und Winter ein sicherer Schulbetrieb gewährleistet werden kann und es Notfallpläne für alle Eventualitäten gibt. Mir ist es ein Rätsel, warum wir im Jahr drei der Pandemie noch immer über die Beschaffung von Luftfiltern reden müssen. Da werden wir die Grünen ebenfalls an ihren Worten aus der letzten Legislaturperiode messen. Auch die Raumkonzepte müssen flexibler werden, außerschulische Lernorte wie Theater, Museen oder Pfarrsäle müssen mit in eine Notfallplanung einbezogen werden.
Was muss bis zum Herbst getan werden, damit die Pflege für eine neue Welle gut aufgestellt ist und wieder ein Beruf ist, in dem die Beschäftigten gerne arbeiten?
Wir müssen die Pflegebeschäftigten jetzt endlich entlasten. Wir bilden ja genug Pflegerinnen und Pfleger aus, doch sie bleiben meist nur einige Jahre – dann flüchten sie aus dem Beruf oder reduzieren ihre Stundenzahl. Der Beruf wird nur dann attraktiv, wenn die Mitarbeiter am Freitag wissen: Das Wochenende habe ich tatsächlich frei. Und nach der Schicht ist Schluss. Die Beschäftigten an den Universitätskliniken streiken gerade für einen Entlastungstarifvertrag. Dabei geht es nicht um mehr Geld, sondern um akzeptable Arbeitsbedingungen.
Ich finde es beschämend, dass Herr Laumann ein Ultimatum von 100 Tagen hat verstreichen lassen und sich dann erst kurz vor der Wahl für einen Entlastungstarifvertrag ausgesprochen hat. Das war ein reines Lippenbekenntnis aus Wahlkampftaktik, wie man jetzt sieht. Anders kann ich mir nicht erklären, wie die Landesregierung es zulassen konnte, dass die Uni-Klinik Bonn, die ja in der Verantwortung des Landes ist, gegen den aktuellen Streik geklagt hat. Statt Applaus gibt es von Hendrik Wüst und seiner Regierung jetzt Ohrfeigen.
Im Wahlkampf war der Flut-Ausschuss ein großes Thema für die SPD, jetzt hat Ihre Partei offenbar das Interesse an einer Fortsetzung verloren. Woran liegt das?
Wir haben mit unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss die Versäumnisse der Landesregierung bereits umfassend offengelegt. Die Regierung hat viel zu spät auf die Vorhersagen reagiert. Sie hätte wissen müssen, was da auf NRW zukommt und die Menschen vor dieser Katastrophe warnen müssen. Im Umweltministerium war der einzige Mitarbeiter, der das Hochwasservorhersage-System bedienen konnte, im Urlaub. Deshalb war das System zu der Zeit abgeschaltet. Und auch der Krisenstab des Landes wurde nicht rechtzeitig aktiviert. Diese politischen Verfehlungen sind alle inzwischen bekannt. Einen offenen Punkt gibt es allerdings doch noch. Bisher fehlt ein ordentlicher Abschlussbericht, der diese Versäumnisse auch dokumentiert und vor allem Handlungsempfehlungen daraus für die Zukunft ableitet.
Daher werden wir uns dazu nochmals beraten. Denkbar wäre etwa ein zeitlich befristeter Untersuchungsausschuss mit klarem Fokus darauf, welche Schlüsse wir aus der Hochwasser-Katastrophe ziehen müssen, um den Katastrophenschutz künftig insgesamt besser aufzustellen. So hat ihn ja jetzt auch die FDP ins Spiel gebracht. Das könnte dann auch die Brücke sein zu einer Enquete-Kommission, die fraktionsübergreifend getragen wird und in der neuen Legislaturperiode die richtigen Antworten geben kann.
Trotz des Rabatts auf die Mineralölsteuer sind die Preise an den Tankstellen nicht gesunken. Was ist zu tun?
Ich habe schon vor geraumer Zeit darauf hingewiesen, dass die Preisentwicklung an den Tankstellen vor allen Dingen eins ist: ein Fall für die Kartellbehörden. Das Energiegeld, das im September überwiesen wird – 300 Euro für jeden Arbeitnehmer, 100 Euro für jedes Kind – ist viel wirksamer und gerechter. Daran kann man anschließen: Mit einem Mobilitätsgeld, das zielgenau diejenigen entlastet, die auch darauf angewiesen sind.
Hannelore Kraft ist aus dem Landtag ausgeschieden. Halten Sie dennoch Kontakt?
Ja klar. Sie ist eine Frau mit einem großen Erfahrungsschatz. Ihr Ratschlag ist mir sehr wichtig, wir sind immer wieder in Kontakt und werden das auch künftig bleiben. Erst am 12. Juni haben wir noch miteinander telefoniert. Wir haben beide an dem Tag Geburtstag.