Der ehemalige NRW-Verkehrsminister Michael Groschek über den Tag, an dem die Leverkusener Rheinbrücke gesperrt wurde – und die Folgen.
Ex-NRW-Verkehrsminister Michael Groschek„Durch die Leverkusener Brücke wurde die Straßeninfrastruktur ein bundesweites Thema“
Herr Groschek, sagt Ihnen der 30. November 2012 noch etwas?
Das war ein denkwürdiger Tag. Ich war auf dem Drachenfels bei der Einweihung eines neuen Touristikcenters. Mitten in diese kleine Feier mit der Lokalprominenz platzte die Nachricht, dass die Leverkusener Rheinbrücke gesperrt werden muss, weil sich Risse gebildet haben, die weit über das damals bekannte Maß hinausgingen. Ich bin sofort hingefahren, habe mit den Verantwortlichen gesprochen und bin zum ersten Mal in den Brückenkörper geklettert. Da habe ich gesehen, was die Schweißkolonnen aus Thüringen permanent leisten mussten, um die Brücke in Schuss zu halten. Und dass es so nicht mehr weitergeht.
Der Aufschrei war groß.
Alles zum Thema Rheinbrücke Leverkusen
- Leverkusener Brücke Der neue Radweg ist schön breit, aber es gibt Kritik
- Nach Freigabe der Rheinquerung Lkw-Verkehr auf Leverkusener Brücke führt zu mehr Staus auf der A1
- Leverkusen Staatsanwaltschaft ermittelt nach Arbeitsunfall an Rheinbrücke wegen fahrlässiger Tötung
- Schäden und Lärm Anwohner der Leverkusener Brücke klagen über Erschütterungen und Risse
- Zwischen Leverkusener Brücke und Tunnel Bezirksvertretung Chorweiler will Tempolimit auf der A1
- Verkehrs-Chaos befürchtet A59 an der Leverkusener Rheinbrücke voll gesperrt – einen Monat lang
- Rheinbrücke Leverkusen Autokran war an tödlichem Arbeitsunfall nicht beteiligt
Das kann man wohl sagen. Weil diese Brücke eine enorme Bedeutung hat und Köln ein großer Medienstandort ist, wurden sie und der gesamte Zustand der Straßeninfrastruktur in den alten Bundesländern plötzlich bundesweit zum Thema – auch in der Fernsehberichterstattung. Das brachte den Stein ins Rollen.
Was hätte man damals anders und besser machen können?
Konkret auf die Leverkusener Brücke bezogen, wenig. Die Politik hätte schon viel früher ein deutschlandweites Konzept zur Sanierung und zum Neubau maroder Brücken erarbeiten müssen.
Genau das fordert NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer jetzt vom Bund. Er verlangt eine engmaschige Kontrolle und ein Monitoring problematischer Brücken, um im Ernstfall schneller reagieren zu können. Viel zu spät, oder?
Wir haben damals nach dem Fall Leverkusen eine Priorisierung beschlossen. Ich habe mit meinem damaligen hessischen Amtskollegen Tarek Al-Wazir entschieden, dass wir der A45 die höchste Priorität einräumen. Nach dem Fall Leverkusen kam noch der Schwerpunkt Rheinbrücken hinzu, weil wir wussten, dass es am Rhein mehrere Bauwerke gibt, die mit Leverkusen vergleichbar sind. Die Rheinbrücke Neuenkamp in Duisburg zum Beispiel, deren erster Neubauteil ja auch endlich steht.
Warum die Sauerlandlinie?
Weil an dieser Autobahn ganz Südwestfalen hängt. Das ist der industriell am dichtesten besiedelte Bereich in NRW. Es gibt keinen Bypass für diesen Wirtschaftsraum. Wir haben damals mit Hessen eine Reihenfolge vereinbart, welche Brücken auf der A45 zuerst angepackt werden müssen.
Für die Rahmede-Talbrücke war auch das leider zu spät.
Das stimmt. Das ganze Brückendrama in den alten Bundesländern hängt auch mit dem Aufbau Ost zusammen. Der wurde mit einem Abbau West bezahlt. Es gab damals parteiübergreifend eine Tendenz zur Privatisierung der Autobahnen über eine Maut nach dem Vorbild anderer Länder in Europa. Deshalb hat man für notwendige Investitionen zu wenig Steuergelder bereitgestellt.
Bis man erkannt hat, dass das der falsche Weg ist, ist mindestens ein Jahrzehnt vergangen. Nach dem Desaster mit der Leverkusener Brücke sind die Länderverkehrsminister mit ihrer Forderung beim Bund gescheitert, ein Sondervermögen Brückensanierung einzuführen. Das wollte die damalige Bundesregierung unter Verkehrsminister Peter Ramsauer nicht. Sein Nachfolger Alexander Dobrindt hat dann wenigstens mehr Geld zur Verfügung gestellt. Mit dem Vorschlag eines Sondervermögens haben wir uns nicht durchsetzen können.
Allein in NRW gibt es laut Bundesverkehrsministerium noch 823 Brücken zu sanieren oder neu zu bauen. Da müsste doch jedem Verkehrsminister der Schweiß auf der Stirne stehen.
Überhaupt nicht. Das waren ursprünglich doch noch viel mehr. Weil wir durch die Leverkusener Brücke eine nationale Diskussion – sowohl politisch als auch gesellschaftlich – über den Zustand unserer Infrastruktur hinbekommen haben, hat sich der damalige Bahnchef Rüdiger Grube ermuntert gefühlt, auch bei der Bahn Bilanz zu ziehen: Bei der Schiene seien 1400 Brücken in einem desolaten Zustand.
Werden Sie am Sonntag an der Eröffnung der neuen Rheinbrücke teilnehmen?
Ich bin nicht eingeladen.
Zur Person
Der SPD-Politiker Michael Groschek (68) war von 2012 bis 2017 Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr in der rot-grünen Landesregierung von NRW unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Von 2017 bis 2018 war Groschek Parteivorsitzender der NRW-SPD.