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Video-Interview mit Karl Lauterbach„In Leverkusen ist man gefährdeter als anderswo“

Lesezeit 6 Minuten
Interview KL

Interview einmal per Skype: Epidemiologe Karl Lauterbach (r.) spricht mit Redakteurin Agatha Mazur.

Leverkusen – Immer noch sind in der Corona-Krise viele Fragen offen. Wir hatten Sie, liebe Leserinnen und Leser, gebeten, uns Fragen zu schicken, die wir mit dem Leverkusener Bundestagsabgeordneten und Mediziner Professor Karl Lauterbach, der in Harvard Epidemiologie studierte, klären wollten. Danke für die große Resonanz. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir hier nicht alle Ihre Fragen aufgreifen konnten. Lauterbach hat aber zugesagt, weitere Fragen in Kürze zu beantworten.

Das Klinikum Leverkusen hat eine eigene Anleitung für selbst genähten Mundschutz herausgebracht, es wird viel über eine Tragepflicht diskutiert. Viele Leser fragen sich: Was bringt so etwas wirklich?

Der selbst genähte Mundschutz kann allenfalls die Personen ein bisschen schützen, denen man begegnet. Aber er bringt natürlich viel, viel weniger als wenn ich einfach Abstand halte. Deswegen sollte man den selbst genähten Mundschutz auch nicht zur Pflicht machen. Wenn er schlecht gemacht ist und man fasst ihn häufiger an, kann er sogar mehr schaden, als er nutzt. Insbesondere, wenn er feucht geworden ist und man atmet die Partikel ein, dann produziert man selbst die Tröpfchen, die so gefährlich sind. Daher ist der selbst genähte Mundschutz allenfalls eine freiwillige Behelfslösung und kann die Kontaktreduzierung und Distanzierung nicht ersetzen.

Die Feinstaubbelastung ist in Leverkusen immer noch sehr hoch, trotz, dass die Zahlen zuletzt leicht auf 38 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft gesunken waren. Ist das Risiko, in Leverkusen an einer Infektion zu erkranken oder einen schwereren Verlauf zu erleiden, dadurch höher?

Diese Frage haben mich sehr viele Bürger aus Leverkusen gefragt, ich glaube die Antwort ist leider: Ja, man ist in Leverkusen mehr gefährdet als anderswo. Die Feinstaubbelastung hier ist sehr hoch, das haben auch die Messungen des besonders gefährlichen Kleinst-Feinstaub gezeigt. Wir haben zwei Gründe zu glauben, dass dies das Problem in Leverkusen verschärft: Das eine ist, dass man in Städten in China, wo es besonders viel Feinstaub gab, mehr schwere Krankheitsverläufe gesehen hat. Es gibt offenbar einen Zusammenhang zwischen jeder Form der Lungen-Vorschädigung und der Schwere der Verläufe. Da wir in Leverkusen teilweise die gleiche Feinstaubkonzentration über Jahre gehabt haben wie in den gemessenen Gebieten in China, müssen wir daraus schließen: Ja, wir haben in Leverkusen ein besonderes Problem. Zum zweiten: Jede Form der Vorschädigung der Lunge oder des Gehirns führt dazu, dass die Schädigung durch Covid-19 gravierender ist. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Menschen in Leverkusen stärker gefährdet sind als beispielsweise in ländlichen Gebieten.

Lauterbach dpa

Karl Lauterbach

Sie haben vorgeschlagen, dass sich Kliniken aufteilen sollen: Einige konzentrieren sich auf Corona-Fälle, andere behandeln alle weiteren Patienten. Wäre das auch ein Modell für Leverkusen?

Das wird in Berlin und in anderen Städten derzeit vorbereitet. Das ist sinnvoll, wenn wir sehr viele Corona-Patienten haben. Dass man dann sicherstellt, dass diese Fälle eine sehr gute Versorgung bekommen, aber auch die anderen Fälle gut behandelt und geschützt werden, sodass sie sich während ihres Krankenhausaufenthalts nicht noch infizieren. Wir sehen mittlerweile, dass auch Patienten, die sehr schwere andere Erkrankungen haben, nicht ins Krankenhaus gehen, weil sie Angst haben, sich anzustecken. Um dem zu begegnen, sind viele Städte dazu übergegangen, für den Ernstfall die Krankenhäuser aufzuteilen. Das darf natürlich nicht zum finanziellen Nachteil einer Klinik führen. Das muss einvernehmlich passieren und von der Stadtverwaltung geplant sein. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Fallzahlen in Leverkusen noch gering genug, so dass das nicht unbedingt nötig ist, aber in Zukunft kann es notwendig werden. Von daher wäre eine solche Aufteilung auch für Leverkusen meiner Meinung nach zu diskutieren.

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Unsere Leser haben sich sehr für die Virusbeschaffenheit interessiert: Stirbt das Coronavirus bei höheren Temperaturen ab, oder muss man sogar im Gegenteil erwarten, dass es eine neue Welle im Herbst und Winter gibt, womöglich analog zur Grippewelle jedes Jahr?

Wir wissen, dass das Virus hitze- und kälteempfindlich ist. Aber leider geht die Vermehrung des Virus nur sagen wir jenseits von 25 Grad etwas zurück – und auch nicht so stark, wie es beispielsweise bei Erkältungsviren der Fall ist. Wir rechnen damit, dass die Anfälligkeit, sich anzustecken, etwa um 20 Prozent zurückgeht. Auch im Sommer wird es also weitere Infektionen geben und auch Varianten der Kontaktreduzierung, es wird dieses Jahr keinen normalen Sommer geben – nicht mal im Ansatz! Dramatisch wäre es, wenn wir im Herbst eine schnelle Zunahme der Fälle sehen, denn dann wäre unser Gesundheitssystem bereits lange Zeit durch Corona belastet, viele Ärzte und Pflegekräfte wären an der Grenze ihrer Kapazitäten – hätten wir dann eine zweite, starke Welle, wäre das sehr gefährlich. Von daher sind die aktuellen Unterdrückungsmaßnahmen sehr wichtig: Wir müssen die so lange weiterführen, bis wir einen Impfstoff haben, damit rechne ich in ungefähr eineinhalb Jahren. Bis dahin dürfen wir nicht komplett vom Gas geben, auch wenn wir die Kontaktsperren etwas aufheben werden.Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Coronavirus unser Leben verändern wird. Es wird nicht so werden, wie es war. Zumindest nicht, bis wir einen Impfstoff haben – dann können wir das Virus zurückdrängen und im Griff behalten. Womöglich wird die Impfung sogar besser wirken als bei der Grippe, weil sich das Coronavirus nicht so stark verändert. Wir werden aber ab jetzt jedes Jahr darauf achten müssen, wie bei der Grippe: Wirkt die Corona-Impfung noch, müssen wir uns neu impfen lassen, wie stark wird die Welle?

Viele Leser haben uns gefragt, ob man nach einer Infektion immun gegen das Virus ist?

Gottseidank können wir davon ausgehen, dass man dann immun ist – zumindest für eine absehbare Zeit. Wenn sich das Virus allerdings sehr weit verbreitet, hätte es auch mehr Gelegenheit, sich zu verändern – und wenn es sich stark ändert, ist die Immunität weg. Dann müsste eine neue Impfung kommen. Ich möchte noch einen Appell an die Leverkusener richten: Ich bin in den vergangenen Wochen oft darauf hingewiesen worden, dass man auch die Schäden beachten muss, die bei jüngeren oder älteren Menschen auftreten, die die Krankheit überstanden haben. Wenn man hier einen schweren Verlauf hat, müssen wir davon ausgehen, dass es bleibende Lungenschäden (so genannte Fibrosen) geben kann. Dass man vielleicht etwas kurzatmig bleibt oder anfälliger für zukünftige Covid-19-Ausbrüche. Bei Patienten, die beatmet werden müssen, bleiben häufig auch Schäden am Gehirn zurück. Die Denkleistung eines Menschen nimmt oft ab, wenn er länger beatmet werden musste – egal, aus welchem Grund. Daher möchte ich an alle Leverkusener appellieren: Seien Sie solidarisch! Schützen Sie sich selbst und andere! Eine Infektion mit dem Coronavirus kann lebenslange Konsequenzen haben. Nehmen Sie es also ernst, ernster als die Grippe. Ich danke jedem, der sich an die Maßnahmen hält und ich habe auch das Gefühl, dass das in Leverkusen bislang weitgehend der Fall ist.

Das Gespräch führte Agatha Mazur