Die Politik fordert nun eine verbindliche Pflegeplanung für die Stadt Leverkusen.
Demografischer WandelWie sich der Fachkräftemangel auf die Pflege in Leverkusen auswirkt
Gute viereinhalb Monate ist her, dass der Arbeitskreis Berufsbetreuer in Leverkusen sich in Sorge mit einer Petition an die Stadt gewandt hat, damit „stationär pflegebedürftige Leverkusener Bürger in Leverkusen einen Heimplatz finden“, wie es damals hieß. Inzwischen haben sich die Fraktionen von Grünen, SPD und CDU auf einen Antrag für den nächsten Sitzungsturnus verständigt, in dem sie eine „verbindliche kommunale Pflegebedarfsplanung“ ab 2024 fordern.
Die gebe es schon in einigen anderen Städten in NRW, teilen die drei Fraktionen mit. Darin soll hinterfragt werden – und zwar anhand „objektiver Kriterien“ –, ob bestehende Angebote ausreichend oder ob und welche weiteren Kapazitäten nötig sind. Da sei mehr als jetzt gesetzlich vorgeschrieben.
„Unter Zeitdruck gelingt es schon jetzt nicht mehr, einen Heimplatz in Leverkusen zu finden“, lässt sich SPD-Fraktionsvorsitzende Milanie Kreutz zitieren. Stefan Hebbel, CDU-Fraktionschef, kommentiert: „Es kann nicht sein, dass teilweise schon jetzt ein älterer Mensch nur deshalb länger im Krankenhaus bleiben muss, weil sonst kein Platz vorhanden ist.“
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Leverkusen: 22 Prozent sind 65 Jahre und älter
Gesetzlich vorgeschrieben ist es für eine Kommune, alle zwei Jahre eine „Kommunale Pflegeplanung“ zu erstellen. Diese beinhalte zwar Zahlen, meinen CDU, Grüne und SPD, aber kaum eine Planung. Deshalb wollen sie das Instrument „Verbindliche kommunale Bedarfsplanung“ nutzen. Weil es immer mehr ältere Menschen und damit immer mehr Pflegebedürftige gebe, müsse man eine gute Planung regelrecht zu einem „Stadtziel“ machen.
Die aktuellsten Zahlen zum Thema Pflege, die die Stadt Leverkusen auf Anfrage des „Leverkusener Anzeiger“ herausgibt, haben den Stand 31. Dezember 2022. Demnach sind 36.138 von 168.901 Menschen in Leverkusen 65 Jahre und älter, das macht 21,5 Prozent. 6186 sind älter als 84.
Es gibt zwölf stationäre Altenpflegeeinrichtungen mit 1342 Plätzen, davon 97 eingestreute Kurzzeitpflegeplätze. Dazu hat Leverkusen vier ambulant betreute Wohngruppen mit insgesamt 47 Plätzen, 35 ambulante Pflegedienste (im Dezember 2022 waren es noch 30) und sechs Tagespflegen mit insgesamt 99 Plätzen. Seit 2012 hat Leverkusen 106 stationäre Pflegeplätze verloren.
Den Zahlen nach waren 2021 12.255 Menschen in Leverkusen insgesamt pflegebedürftig (in 2003 waren es noch 3491, 2013 5319). Die Zahl steigt dem demografischen Wandel folgend also rasant an. Von den 12.255 Pflegebedürftigen weist die Stadt 1179 für stationäre Pflege aus, 1947 für ambulante.
Leverkusen: Berufsbetreuer hatten Petition eingebracht
1179 Menschen in stationärer Pflege bei 1342 Plätzen, die Zahlen scheinen also nicht alarmierend zu sein. Für Martin Kaldik vom AK Berufsbetreuer in Leverkusen hat die Sache aber einen Haken. Die Berufsbetreuer organisieren für demente, psychisch kranke, alkoholkranke und geistig behinderte Menschen unter anderem die Organisation von Pflegeplätzen, wenn sie das krankheitsbedingt selbst nicht könne.
Nachdem Kaldik und der AK die Petition eingereicht hatten, habe es ein Gespräch mit dem Sozialdezernenten Alexander Lünenbach gegeben. Auch der habe diese Zahl mitgeteilt. Aber, meint Kaldik: Der Großteil dieser in Leverkusen untergebrachten Menschen seien keine Leverkusener. Das habe zur Folge, dass mehr als 500 pflegebedürftige Leverkusenerinnen und Leverkusener unfreiwillig in anderen Kommunen untergebracht werden.
Und nicht nur das: Angesichts hoher Baukosten, Zinsen und nicht zuletzt durch den Fachkräftemangel zweifelt er daran, dass Träger von Pflegeeinrichtungen ihre Kapazitäten besonders erweitern werden.
Wolfgang Klein, Direktor der Caritas in Leverkusen, begrüßt den Vorstoß der Politik, eine verbindliche Pflegeplanung anzustreben. „Auch in Leverkusen gibt es die Tendenzen, Pflegeplätze abzubauen, obwohl der Bedarf gegeben ist. In so einer Situation ist es wichtig, die Planung auf eine valide Grundlage zu setzen.“ Grundsätzlich sei der Fachkräftemangel in der Pflege deutlich zu spüren. In den Caritas-Einrichtungen hätten die Angestellten eine starke Bindung zu ihren Häusern. Das habe man besonders beim Hochwasser 2021 gemerkt.
In einer Einrichtung, die vor 15 Jahren gebaut worden sei, und ein Sieben/Sieben-Arbeitsmodell (sieben Tage arbeiten, siebe Tage frei) praktiziere, gebe es kaum Probleme, Nachwuchs zu finden. Im Altenzentrum St. Elisabeth dagegen schon. Einmal, weil die Folgen des Hochwassers nach wie vor zu spüren seien. Und weil das Äußere durch Bauarbeiten derzeit nicht gerade einladend sei: „Hierauf reagieren Bewerber, da kann die Einrichtung so gut sein wie sie will.“
Ausbildungsbewerber registriere die Caritas viele, allerdings lasse sich nur eine begrenzte Zahl gut einbinden, wenn man eine gute Ausbildungsbegleitung sicherstellen wolle, erklärt Wolfgang Klein. Außerdem sei der theoretische Teil der Ausbildung ein Problem: Er sei schlecht finanziert und es gebe zu wenig Schulplätze. Ein angehender Pflegeazubi müsse sich für einen Schulplatz bei einem freien Träger bewerben, hier sei das Land gefordert.
Fachkräftemangel in den Krankenhäusern
Der Fachkräftemangel in der Pflege trifft aber nicht nur Einrichtungen wie Seniorenheime. Auch die Krankenhäuser müssen um Pflegepersonal kämpfen. Im Sankt-Remigius halte sich der Mangel zwar noch in Grenzen, aber „wie alle Krankenhäuser haben wir natürlich offene Stellen“, teilt Julia Schwab, die dortige Pflegedirektorin, mit.
Was ihr mehr Sorge macht, ist der deutlich erhöhte Krankenstand im Gesundheitswesen. Ihren Eindruck bestätigt auch der BKK-Gesundheitsreport von 2022, der mit 25,7 Ausfalltagen in der Krankenpflege deutlich höhere Quoten ausweist als der Schnitt aller Beschäftigten (18,2). Daher müsse das Krankenhaus daran arbeiten, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten. Grundsätzlich fehlten dem Krankenhaus auf jeder Station zwei bis vier Pflegekräfte mehr, um zum Beispiel Ausfälle zu kompensieren.
„Flächendeckende Vakanzen“ vermeldet auch Annette Lenz-Holdinghausen, die stellvertretende Pflegedirektorin des Klinikums Leverkusen. Aber auch sie und ihr Team sicherten durch cleveres Schichtmanagement und engagierte Mitarbeit die Versorgung der Patienten. Lenz-Holdinghausen ist seit 1991 in der Pflege. Es habe immer wieder Aufs und Abs gegeben, was den Nachwuchs in ihrer Branche angehe.
800 Pflegende gibt es am Klinikum, das ist etwa ein Drittel der Gesamtbelegschaft. Das Klinikum hat eine eigene Pflegeschule am Standort und bildet selbst aus, zweimal im Jahr starten neue Pflegeazubis. Ab dem 1. November bietet das Klinikum eine einjährige Ausbildung zur Pflegefachassistenz an, die kann man auch mit Hauptschulabschluss beginnen und ist für Quereinsteiger geeignet.
Ansonsten versuche das Krankenhaus bei der Nachwuchssuche, so nah wie möglich an der Zielgruppe dran zu sein, erklärt Christina Kühr aus der Unternehmenskommunikation. Whatsappbewerbungen sind ebenso möglich wie das Ausfüllen eines Online-Formulars in nur 60 Sekunden. Auch Fachkräfte aus dem Ausland sind für das Klinikum attraktiv. So habe man in Serbien und Mazedonien Speeddating veranstaltet, in deren Folge potenzielle Pflegekräfte in Leverkusen hospitieren.
Das Sankt-Remigius-Krankenhaus habe seine Ausbildungszahlen vervierfacht, teilt Julia Schwab mit. Es gibt in Opladen ein hauseigenes Integrationskonzept für Pflegefachpersonen in der Anerkennung, Prämien für Einspringdienste und eine Aktion mit dem Titel „Mitarbeitende werben Mitarbeitende“.
Von der Politik würde sich Schwab die vollständige Refinanzierung aller Pflegefachpersonen wünschen, ebenso bessere Gehälter und die Integration der Pflegekammern in Gesundheitsfragen. Sie findet auch, dass in Zeitarbeitsfirmen nur nach Tarif bezahlt werden solle.