2012 urteilte Ex-Verkehrsminister Groschek (SPD) über die Leverkusener Brücke: „Hier kann man nichts mehr reparieren.“ Ende 2023 soll nun der erste Neubau stehen – aber Leverkusen bekämpft die Verbreiterung. Dieser Text ist erstmals am 26. November 2022 veröffentlicht worden.
Meistgelesen 2022Mega-Stelze – Der Alptraum der Leverkusener Rheinbrücke ist noch nicht zu Ende
Den 30. November 2012 wird Michael Groschek sein Lebtag nicht vergessen. Mitten in der Eröffnungsveranstaltung des neuen Besucherzentrums und der Gastronomie auf dem Drachenfels in Königswinter ereilt den damaligen Verkehrsminister des Landes ein Anruf aus der Chefetage des Landesbetriebs Straßen NRW.
„Man hat mir gesagt, dass die Leverkusener Rheinbrücke kurz vor der Teilsperrung steht und sie auch durch permanente Schweißarbeiten nicht zu retten ist“, erinnert sich der SPD-Politiker. Zwei Stunden später klettert Groschek auf der Leverkusener Rheinseite in den Brückenkasten. „Als ich die teilweise bleistiftbreiten Risse in den tragenden Elementen gesehen habe, war ich echt konsterniert und fassungslos. Das hätte ich so nicht für möglich gehalten.“
Zehn Jahre später muss die Brücke immer noch durchhalten, wird in ihrem Bauch permanent geflickt und geschweißt, weil eine Vollsperrung ein nicht mehr beherrschbares Verkehrschaos auslösen würde. Voraussichtlich bis Ende 2023. Dann soll, wenn alles nach Plan läuft, der erste Teil des Neubaus für den Verkehr freigegeben werden.
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„Das Gute im Schlechten war, dass diese Brücke zum Symbol für den katastrophalen Zustand der gesamten Infrastruktur in Deutschland geworden ist, auch wenn wir darauf gerne verzichtet hätten“, sagt Groschek heute. „Es gab damals Gutachten, die schon zehn Jahre alt waren und das Drama von Leverkusen mehr oder weniger ausführlich vorhergesehen haben. Die sind aber sehr schnell wieder in der Schublade verschwunden. Auch mir sind sie erst viel später bekannt geworden.“
Leverkusener Rheinbrücke: Land kündigt Generalunternehmer nach Streit um Stahlbauteile
Mehrere Anläufe, die Brücke nach aufwendigen Reparaturarbeiten doch wieder für den Schwerlastverkehr freigeben zu können, werden im Herbst 2016 aufgegeben. Das Land muss Millionen in groß angelegte Sperranlagen investieren, um Lkw fernzuhalten.
Auch der Neubau steht unter keinem guten Stern. Im April 2020 kündigt Straßen NRW den Vertrag mit dem Generalunternehmer nach einem Qualitätsstreit um Stahlbauteile aus chinesischer Produktion. Das wirbelt den ursprünglichen Zeitplan wieder durcheinander und führt zu einer Verzögerung von zwei Jahren.
Leverkusener Rheinbrücke: Das Projekt kratzt an der Milliardengrenze
Und die Kosten explodieren. Das gesamte Projekt, damit ist der Neubau beider Brückenteile und der Abbruch der alten Brücke gemeint, ursprünglich mit 363 Millionen Euro kalkuliert, kratzt längst an der Milliarden-Grenze.
Elf Jahre Bauzeit für eine neue Brücke – und das auch nur, weil der Verkehrsausschuss des Bundestags im März 2015 ein beschleunigtes Planverfahren beschließt, das bei möglichen Einwendungen und Klagen nur noch eine Instanz vorsieht: das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Eine Änderung mit gravierenden Folgen für die Menschen in Leverkusen, die für einen langen Tunnel kämpfen, der von Merkenich bis zum Kreuz Leverkusen führen soll.
Gut zwei Jahre später, im Oktober 2017, scheitert das Leverkusener „Netzwerk gegen Lärm, Feinstaub und andere schädliche Immissionen“ (NGL) in Leipzig mit seiner Klage gegen den Brückenneubau.
Mega-Stelze durch Leverkusen taucht 2013 erstmals in Bauplänen auf
Dass es nicht nur eine neue Rheinbrücke gehen würde, sondern auch sonst alles neu gemacht werden muss, was da an Autobahn durch Leverkusen führt, war vor zehn Jahren, als das Brückendrama begann, nur wenigen bewusst. Es dauerte, bis die Gefahr erkannt wurde. Sie besteht darin, dass die Planer nach der Maxime handeln: keine Experimente.
Was das nicht nur für die Anwohner der A 1 - und auch der A 3 -, sondern für weite Teile der Stadt bedeutet, wurde 2013 klar: In Plänen für die neue Autobahn 1 zwischen der Rheinbrücke und dem Leverkusener Kreuz tauchte eine Mega-Stelze auf. Schon heute liegt die Fernstraße dort auf lauter aneinander gestellten Brücken und einem Damm. Das ist nur aus dem Geist der 1960er Jahre heraus verständlich.
Umso mehr Unverständnis ernteten die Planer von Straßen NRW, als sie mit derselben Konstruktion an die Öffentlichkeit traten. Nur viel größer: 52 Meter breit wäre die Trasse wegen der zehn Fahrspuren und Standstreifen.
Nicht nur die Breite der neuen A 1 schockiert. Auch die Höhe: Auf der aufgeständerten Autobahn müssen fünf bis sechs Meter hohe Wände montiert werden, um den Lärm einzudämmen. Es droht ein Beton-Koloss, der selbst den an gigantische Verkehrsbauwerke gewöhnten Leverkusenern Schrecken einjagt.
Leverkusen hofft auf neuen grünen Verkehrsminister Oliver Krischer
„Die meisten hier würden die Sonne nicht mehr sehen“, beschrieb gerade Horst Müller die sich anbahnende Realität. Er gehört seit zehn Jahren zu den Kämpfern in einer der Bürgerinitiativen gegen einen rücksichtslosen Ausbau der Autobahnen. Als vor einem Monat Oliver Krischer zusammen mit Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath sowie mehreren Bundes- und Landtagsabgeordneten die Stelze in Augenschein nahm, kam Müller dazu.
Seine Hoffnung: Dass an den Ausbauplänen noch gedreht werden kann. Zum einen, weil Krischer als neues Mitglied der Landesregierung den Titel „Umwelt- und Verkehrsminister“ trägt. Zum anderen, weil die Grünen jetzt an der Landes-, wie der Bundesregierung beteiligt sind. Das ist wichtig, weil Nordrhein-Westfalen zwar eine Ausbauplanung bevorzugen kann, die Entscheidung aber beim Bund liegt. Der bezahlt die Bundesautobahnen schließlich auch.
Noch hat die neue Konstellation Leverkusen nichts gebracht. Auf dem Tisch liegen in Berlin die Pläne für eine Mega-Stelze für die A 1 und eine aufgebohrte A 3, für die eine Menge Häuser abgebrochen werden müssen, um sie durchs eng zugebaute Leverkusen zu stemmen. Ein Alptraum, zu dem früh Alternativen erdacht wurden, zunächst von Bürgern.
Konzept für einen langen Tunnel liegt seit 2013 auf dem Tisch
Ende 2013 legten die Straßenbau-Ingenieure Rolf Kraneis und Lutz von Waldowski ein Konzept vor, für das bis heute eine politische Mehrheit in Leverkusen kämpft: Statt auf einer aufgebohrten Stelze soll die A 1 in einem Tunnel verschwinden, der bis zum Leverkusener Kreuz reicht. Kraneis hat selbst Autobahnen geplant, dass der Tunnel „baubar“ ist, wurde ihm von Straßen NRW bescheinigt.
Tatsächlich wurde das Konzept zur Blaupause für einen - allerdings kürzeren - A-1-Tunnel, den die staatlichen Planer entwarfen. Der Nachteil: Er wäre doppelt so teuer wie die Stelze. Deshalb landete das Konzept im Papierkorb, als der Bundesverkehrsminister noch Andreas Scheuer hieß. Aus dem hat es auch sein Nachfolger Volker Wissing noch nicht herausgeholt.
Lauterbach favorisiert Tunnel-Idee
Die bedrohlichen Pläne haben weitere Kenner der Straßenbaumaterie auf den Plan gerufen. Mit Unterstützung des SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach wurde ein langer Rheintunnel konzipiert. Er sollte die Brücke komplett ersetzen. Nachdem deren Bau beschlossen war, labelten die Befürworter das Konzept um: Die „Kombilösung“ sieht nun vor, dass der Fernverkehr durch einen langen Tunnel von Köln-Merkenich bis zum Kreuz Leverkusen fährt, der Regionalverkehr nach Leverkusen und zur A 59 über die Brücke. Wofür die eine Hälfte reichen würde, die gerade im Bau ist.
Mehrheitsfähig ist diese Lösung nicht, auch wenn sie den kleinsten Eingriff garantieren würde in einer Stadt, über die wegen der vielen Verkehrsadern schon jetzt gewitzelt wird: „Sieht aus der Luft aus, als wäre da einer mit dem Eierschneider dran gewesen.“
Weil konstruktive Kritik bisher nicht gefruchtet hat, wurde es vor einem Jahr destruktiv. In einem Akt der Verzweiflung verabredete Leverkusens Stadtrat eine Total-Blockade: keine Informationen mehr an die Autobahn-Planer. Und: Ist der Straßen-NRW-Nachfolger Autobahn GmbH überhaupt eine Behörde, mit der man zusammenarbeiten muss?
Stadt muss ihre Hinhalte-Taktik nach Gerichtsurteil aufgeben
Die Antwort auf die zweite Frage kam Anfang Oktober vom Kölner Verwaltungsgericht: Ja, natürlich muss man zusammenarbeiten. Die Hinhalte-Taktik ist gescheitert. Bleibt eine letzte Hoffnung: Schon jetzt ist der Autobahn-Ausbau in Leverkusen dermaßen in Verzug, dass die Entscheider in der Zwischenzeit schlauer werden konnten. Und das Experiment der Tunnellösung vielleicht doch eine Chance erhält.
Zehn Jahre nach seinem Besuch im Brückenkasten gibt sich der ehemalige NRW-Verkehrsminister selbstkritisch. „Wir haben politisch bei der Frage versagt, wie eine angemessene Infrastruktur in einer vom Export abhängigen Volkswirtschaft wie der deutschen aussehen soll“, resümiert Groschek und betont, das gelte für alle Parteien. „Wenn wir die Verkehrswende wollen, brauchen wir eine ganz andere Ertüchtigung und Ausbauperspektive für die Schieneninfrastruktur. Das ist eine Frage der Finanzierung, der Grundstücksmobilisierung und der Durchsetzung staatlicher Planungshoheit. Die viel gescholtenen Italiener haben es geschafft, in kürzester Zeit einen Ersatzneubau für die eingestürzte Brücke in Genua zu realisieren. Das ist auch ein dicht besiedelter Raum. So etwas ist bei uns unvorstellbar.“
Unsere besten Texte 2022 – dieser Text ist erstmals am 26. November 2022 veröffentlicht worden.