Stephan Vehreschild scheidet Ende 2023 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt. Wie es für ihn weitergeht, erzählt er im Interview.
„Habe Tage, an denen ich kaum arbeitsfähig bin“Niederkassels Bürgermeister Stephan Vehreschild hört auf
Stephan Vehreschild (CDU) ist seit 2009 Bürgermeister der Stadt Niederkassel. Ende 2023 scheidet er aus gesundheitlichen Gründen aus dem Amt. Mit ihm sprach Peter Freitag.
Herr Vehreschild, am 31. Dezember legen Sie ihr Amt aus gesundheitlichen Gründen nieder. Wie geht es ihnen?
Stephan Vehreschild: Ich bin zufrieden, aber nicht gesund. Ich habe Tage, an denen ich kaum arbeitsfähig bin und Tage, die besser sind. Es wird noch ein langer Weg, richtig gesund zu werden.
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Auf Ihre Ankündigung gab es unterschiedliche Reaktionen. Verständnis, Bedauern, aber auch Kritik. Wie haben Sie das erlebt?
Mich haben relativ wenige kritische Stimmen erreicht. Man muss ja auch sagen, dass es zwischen einem politischen Statement und einer persönlichen Meinung oft große Unterschiede gibt. Die meisten hatten Verständnis oder haben sogar gesagt, das ist die einzig richtige Entscheidung.
Sie gehen in einer Krisensituation. Kommunale Steuern sind rekordverdächtig hoch, die Stadt ist in der Haushaltssicherung.
Meine ganze Amtszeit über herrschte eine besondere Situation. Als ich 2009 anfing, hatten wir gerade die Finanzkrise. Und die Krisen haben sich fortgesetzt: die Flüchtlingskrise 2015, die Pandemie, die Unwetterereignisse 2021 und jetzt Kriege. Wir sind seit 2009 quasi im Krisenmodus, und auch die finanzielle Situation der Stadt war 2009 schon so, dass mein Amtsvorgänger sagte, er sei gespannt, wie lange ich es schaffe, nicht ins Haushaltssicherungskonzept zu geraten.
Jetzt ist die Situation da.
Ja, das ist bedauerlich, aber nicht unbedingt überraschend, weil sich das seit vielen Jahren abzeichnete. Andererseits ist das eine große Möglichkeit, sich zu konsolidieren. Wir haben viele Kommunen im Rhein-Sieg-Kreis, die in der Haushaltssicherung sind, und die sagen, das ist für die Kommunen eine Chance, sich auf originäre Aufgaben zu konzentrieren und deshalb gar nicht so schlecht. Das war auch einer der Gründe, warum ich unbedingt bis zum Jahresende noch im Amt geblieben bin. Ich wollte nicht während einer laufenden Haushaltseinbringung das Rathaus verlassen, sondern erst, wenn Haushalt und Haushaltssicherungskonzept genehmigt sind.
Schaffen Sie das denn?
Wir haben gerade aus dem Kreishaus die Signale bekommen, dass in den nächsten Tagen die Genehmigung des Haushaltes und des Haushaltsicherungskonzeptes kommt.
Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für die finanzielle Schieflage der Stadt? Viele im Stadtrat haben sich von der Entwicklung öffentlich ja sehr überrascht gezeigt.
Solche Äußerungen gehören leider häufig zur Politik. Die Gründe sind, dass wir eine zumindest von uns als ungerecht empfundene Schlüsselzuteilung der Landesmittel haben. Die Stadt Niederkassel hat bezüglich ihrer Parameter an vielen Stellen ungünstige Voraussetzungen. Das führt dazu, dass wir beispielsweise deutlich schlechter abschneiden als etwa die Stadt Siegburg mit vergleichbarer Einwohnerzahl.
Wir haben sozusagen eine zu gute Sozialstruktur und kriegen deshalb aus dem Sozialstrukturschlüssel viel weniger Zuweisungen als andere Kommunen. Und unsere Wirtschaftskraft ist deutlich geringer als etwa die von Troisdorf, wo es große Gewerbegebiete gibt. Nicht zuletzt haben unsere Einwohner eine relativ starke Steuerkraft, weshalb wir auch in diesem Bereich weniger Schlüsselzuweisungen erhalten.
Gibt es auch hausgemachte Gründe?
In den vergangenen Jahrzehnten hatten wie viele größere Projekte, wie etwa den Kita-Ausbau. Wir sind eine der wenigen Kommunen, die die Nachfrage nach Kita-Plätzen komplett befriedigen können. Wir haben für alle Schulformen Plätze im Angebot, deshalb gibt es ja auch die Erweiterung des Schulzentrums Nord. Das ist in vielen andere Kommunen nicht so. Damit bewegen wir uns sicher am oberen Level der Komfort-Erwartungen. Wir geben zu den Kita-Plätzen jährlich mehr als zehn Millionen Euro aus Steuermitteln dazu. Insofern ist das hausgemacht. Wenn man es aber nicht anbietet, hat man andere Probleme – ein Teufelskreis.
Liegen in der aktuellen Krise auch Chancen?
Ja, wir haben dieses Jahr eine vorläufige Haushaltsführung, und das bedeutet absolute Haushaltsdisziplin. Wir müssen nur aufpassen, dass die nicht zu lange dauert, weil natürlich dann Maßnahmen wie die Sanierung von Straßen und Gebäuden nicht mehr gemacht werden können. Durch eine Haushaltssicherung bindet man sich langfristig an seine Beschlüsse. Und neue Dinge lassen sich nur durch Einsparungen an anderer Stelle finanzieren.
Nicht erst seit der Ratsentscheidung zur Steuererhöhung, beklagen viele Ratsmitglieder, dass sie massiv verbal angegriffen werden. Wie erleben Sie das?
Das geht schon an die Substanz, vor allem bei den ehrenamtlichen Politikern. Das Meckern und Motzen ist gerade in der anonymen Form sehr einfach. Wenn man meint, meckern zu müssen, dann muss man zumindest wählen gehen. Aber das ist bei den beiden Wahlen im Dezember ja nur mit einer vergleichsweise geringen Beteiligung geschehen.
Können Sie vor diesem Hintergrund politisch Interessierten überhaupt empfehlen, sich stärker zu engagieren?
Absolut. Wenn ich mich kritisch äußere, sollte ich auch den Mut haben, mich einzubringen, um es besser zu machen. Das war mein Beweggrund, in die Politik einzusteigen. Ich war als Elternvertreter an der Schule aktiv und bin als Gast zu politischen Ausschusssitzungen gegangen, um mir das anzuhören. Und dann war klar: Da würde ich gern mitmischen, weil ich an der einen oder anderen Stelle die Sache anders gesehen habe.
Ich glaube, in unserer gut ausgebildeten Bevölkerung gibt es viele geeignete Personen, die ja auch in ihren Unternehmen Entscheidungen treffen. Die haben auch das Potenzial, Politik mitzugestalten. Ich bin fest davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die sich interessieren, aber bislang keine Möglichkeit gefunden haben, um mitzumachen. Vielleicht engagieren sich viele aber auch nicht, weil sie sich hier wohlfühlen und es ja läuft.
Wie schwer fällt es Ihnen, aus dem Amt zu scheiden?
Eigentlich wäre ich gar nicht mehr im Rathaus, weil ich noch Resturlaub habe. Aber ich habe bis zum Ende die Verantwortung, dass die Dinge laufen. Es gibt Tage, da denke ich, es wird Zeit, etwa wenn man bei Sitzungen die Leitung übernehmen soll, weil man der Älteste ist. Aber es gibt auch Situationen, wo ich denke, das war jetzt das letzte Mal, dass du in diesem Ausschuss die Tür hinter dir zugemacht hast – und dann kommt Wehmut auf. Ich kann mich noch nicht wirklich damit anfreunden und habe auch für die letzten Tage des Jahres noch Termine gemacht. Und dann muss ich doch den Schlüssel abgeben und mich mit der neuen Situation anfreunden.
Was sind Ihre Pläne für den Ruhestand?
Die nächste Zeit geht es erst mal ganz intensiv um meine Gesundheit. Und dann möchte ich meiner Frau und der Familie auch etwas von der Zeit zurückzugeben, die ich in den vergangenen 15 Jahren nicht für sie hatte. Wenn ich in sechs Monaten hoffentlich wieder richtig fit bin, lasse ich die Dinge auf mich zukommen. Ich habe viele Gedanken, aber noch nichts entschieden.
Welchen Ratschlag haben Sie an Ihren Nachfolger Matthias Großgarten?
Ich kann ihm nur empfehlen, immer gut zuzuhören – allen und mit Empathie. Und er darf seine Freunde und die Familie nicht vergessen.
Zur Person
Stephan Vehreschild (CDU) wurde bei den Kommunalwahlen im August 2009 erstmals zum Niederkasseler Bürgermeister gewählt. Er trat die Nachfolge seines Parteifreundes Walter Esser an. Bei den Wahlen 2014 und 2020 wurde er jeweils im ersten Wahlgang von den Wählerinnen und Wählern im Amt bestätigt. Der 64-Jährige war zuletzt auch Sprecher der 19 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Rhein-Sieg-Kreis.
Vehreschild ist gelernter Tischlermeister und arbeitete vor seiner Wahl zum hauptberuflichen Bürgermeister als Sicherheitsberater bei der Berufsgenossenschaft Holz in Köln.