Am Dienstag wurden die Guide-Michelin-Sterne verliehen. Restaurantkritiker Carsten Henn kann nicht alle Entscheidungen nachvollziehen.
Carsten Henn zu Guide Michelin 2023„Dass Gut Lärchenhof keinen zweiten Stern erhalten hat, ist ein Skandal!“
Ich gebe zu: während der Live-Übertragung aus dem Karlsruher Konzerthaus habe ich mitgefiebert, als die neuen Sterne-Restaurants verkündet wurden. 34 sind es in diesem Jahr und eines davon findet sich in Köln. Julia Komps „Sahila“ war vor der Verleihung sicher der heißeste Tipp für ein neues Sterne-Restaurant in der Dom-Stadt. Aber die alte Tante Michelin hat in den letzten Jahren allzu oft bewiesen, dass sie Küchenstile nicht begreift, die sich von der Haute Cuisine entfernen.
Komps Ansatz eines Menüs, das eine kleine Weltreise darstellt, hätte durchaus zu ungewöhnlich für die Test-Equipe aus Karlsruhe sein können. Aber Komp beherrscht ihr Handwerk eben auch souverän, da stimmen die Garpunkte, da sind die Saucen souverän gearbeitet, und auch die eingesetzten Produkte wissen zu überzeugen.
Julia Komps Restaurant scheint seit Eröffnung Ende 2021 sehr gut ausgelastet, aber der Stern wird ihm sicherlich einen weiteren Schub verleihen. Zudem: wie lange lässt sich damit werben, dass man einst die jüngste Sterneköchin Deutschlands war (damals im Schloss Loersfeld, Kerpen), wenn man aktuell keinen Stern mehr innehat? Darüber muss sich die sympathische Julia Komp nun keine Gedanken mehr machen.
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Mit ihr hat eine der kreativsten und individuellsten Köchinnen Deutschlands mit dem eigenen Restaurant den Stern errungen: herzliche Gratulation dazu! Zusammen mit Sonja Baumann aus dem „NeoBiota“ hat Köln nun zwei Sterneköchinnen. Nur 4 % der Sterneköchinnen sind Frauen – unter den in Karlsruhe neu ausgezeichneten waren es gerade einmal zwei!
Carsten Henn zur Verleihung der Guide-Michelin-Sterne
Bis auf den Frauenanteil schaut die Gesamtbilanz Kölns gegenüber anderen deutschen Großstädten allerdings verhalten aus. Nicht nur, weil mit dem „Le Moissonnier“ bald eines von nur zwei 2-Sterne-Restaurants in Köln seine Pforten schließt (und mit einem bisher unbekannten Konzept wieder eröffnet), sondern auch, weil mit dem Maître im Landhaus Kuckuck ein Kölner Restaurant seinen Stern verloren hat.
In der Szene hat das allerdings nicht für Verwunderung gesorgt, Altmeister Erhard Schäfers Küchenleistungen galten schon länger als schwankend, das Gourmetrestaurant besteht nur aus wenigen Tischen und wirkt wie ein Appendix zur feinbürgerlichen Küche des Landhauses. An guten Tagen speist man hier allerdings weiterhin überzeugend und so klassisch wie es sich kaum noch findet.
Manch einer mag zur Verleihung der Michelin-Sterne mit der Hoffnung geblickt haben, dass Joachim Wisslers „Vendôme“ im Grandhotel Schloss Bensberg den im letzten Jahr verlorenen dritten Stern postwendend zurück erringt. Schließlich hat der Großmeister aus dem Bergischen sich eine mehrmonatige Kreativpause gegönnt, seinen Stil entschlackt und gekonnt modernisiert.
Michelin schätzt Edelprodukte und lehnt Modernität ab
Wissler wird wohl trotzdem nicht ernsthaft damit gerechnet haben, dass ihn der Michelin wieder in den Koch-Olymp hebt – wo ihn mehrere andere Gourmetführer übrigens weiterhin sehen. Wen der Michelin einmal abstuft, den stuft er so schnell nicht wieder auf, wenn überhaupt. Bedauerlich, dass dadurch Wisslers wiedererstarkte Küchenleistung nicht belohnt wird.
Auch das „Ox & Klee“ hatte manch einer auf der Rechnung für höhere Weihen, schließlich hält die junge, ambitionierte Truppe um Daniel Gottschlich nicht damit hinter dem Berg, dass sie ihren Weg noch lange nicht am Ende sieht. Aber ihr Küchenstil ist zum einen sehr modern – und Modernität ist nichts, was der Michelin per se schätzt – zum anderen wird nicht nur auf klassische Edelprodukte gesetzt – die der Michelin per se allerdings sehr schätzt.
Gottschlich muss sich aber nicht grämen, durch die Abwertung von Frank Rosins Restaurant in Dorsten führt er bald eines von nur noch drei 2-Sterne-Restaurants in NRW (neben dem Vendôme das „Coeur D’Artichaut“ in Münster, welches den zweiten Stern in diesem Jahr erhalten hat). Einen 3-Sterner gibt es nicht. Bayern und Baden-Württemberg haben da deutlich mehr zu bieten.
NRW und Köln: Diese Sterne sind verdient
In NRW selbst kann sich Köln allerdings an der Spitze wähnen: 56 Sterne-Restaurants gibt es im Bundesland, davon 13 in Köln – auf Platz zwei folgt mit neun Restaurants Düsseldorf. In der verbotenen Stadt haben mit dem „Berens am Kai“ und dem „Setzkasten“ gleich zwei Häuser ihren Stern verloren, ein neues Sternerestaurant kam mit dem „Pink Pepper“ dazu.
Als Skandal muss man bezeichnen, dass das Restaurant im Gut Lärchenhof (Pulheim) nicht endlich den längst überfälligen zweiten Stern erhalten hat. Da raufe nicht nur ich mir die Haare, auch viele andere Restaurantkritiker sehen die Küche von Torben Schuster längst auf diesem Niveau. Wie hier eines der größten Kochtalente Deutschlands sträflich übergangen wird, das grenzt an bösen Willen. Schuster hätte nicht nur einfach zwei Sterne verdient, es wären noch dazu zwei starke Sterne. Mit dem Kölner „La Societe“ gibt es ein weiteres Restaurant, bei dem zwei Sterne angemessen wären.
Zu den Übergangenen muss man auch das ITO zählen, aber – siehe oben – asiatische Küche ist nicht das Ding des Michelin, womit er die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Mit dem „Phaedra“ gehört eines von Kölns besten Restaurants ebenfalls nicht zu den ausgezeichneten. Vor den Toren der Stadt hat Daniel Lengsfeld im Gasthaus Scheiderhöhe (Lohmar) einen beeindruckend eigenständigen Stil mit hochklassigen Produkten entwickelt, auch ihm ist zu gönnen, dass in den nächsten Jahren ein Stern dafür verliehen wird.
Zwei Kölner Restaurants mit Bib-Gourmand-Auszeichnung
Etwas unter dem Radar gesegelt ist, dass zwei weitere Kölner Restaurants eine Bib-Gourmand-Auszeichnung erhalten haben (nur 28 wurden in diesem Jahr deutschlandweit neu vergeben). Diese seit 1997 verliehene Kategorie steht für Restaurants, die das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bieten - was in Zeiten steigender Preise und knapper Kassen immer wichtiger wird.
Mit der „Caruso Pastabar“ und der „HENNE Weinbar“ wurden – längst überfällig! - zwei Häuser ausgezeichnet, die seit Jahren völlig zu Recht ausgesprochen gut besucht sind, weil sie nicht auf irgendwelche Bewertungen schielen, sondern auf zufriedene Gäste setzen. Drei weitere Träger dieser Auszeichnung gibt es in Köln: Capricorn (i) Aries, Gasthaus Scherz, Piccolo.
Alles in allem wirkte die pompöse Gala in Karlsruhe vor dem Hintergrund der großen Personalprobleme und des enormen Kostendrucks in der Gastronomie wie eine abgehobene Theatervorstellung. Antworten auf die Zukunft der Kulinarik sind vom Michelin nicht zu erwarten, eine angemessene Darstellung von Deutschlands kulinarischen Landschaft, die vielfältiger als je zuvor ist, auch nicht. Die vor einiger Zeit eingeführten grünen Sterne für nachhaltig arbeitende Restaurants erscheinen als Feigenblatt.