Touristen wundern sich, die Bürgergemeinschaft Altstadt prangert den Zustand des „Hühnergassenviertels“ schon seit Jahren an.
„Wer es schick mag, sollte vorbeigehen“Dreck, Leerstand, Urin – Kölns Schandfleck in der Altstadt
Es ist bekannt, dass sich die Schönheit Kölns nur bedingt durch eine Stadtrundfahrt erschließt. Ob in der Bimmelbahn oder im Doppeldeckerbus: Wer als Tourist hier erstmals unterwegs ist, mag erahnen, wie groß die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg gewesen ist – aber ebenso feststellen, dass die Entscheider in der Zeit danach auch ein Händchen für Bausünden hatten.
Dass es jedoch gerade im Herzen des touristischen Kölns ein Areal gibt, das aus Baulücken, Leerstand, Spielhalle, Obdachlosenquartier, Müllablage, Wildpinkelecke und Fast-Food-Angebot besteht, überrascht dann nicht nur jene Besucher, die schon andere Domstädte wie Mailand, Wien, Rom oder Florenz gesehen haben.
Köln: Kritik an Zuständen zwischen Alter Markt und Heumarkt
„Seltsam, sehr seltsam“, sagt etwa Pete Mallory und schaut auf die Gebäude an der Straße Unter Käster zwischen Alter Markt und Heumarkt. Der Engländer ist mit Freunden auf einer Autotour durch Deutschland. „Da hinten sitzt man schön“, sagt Mallory und zeigt Richtung Alter Markt. „Und da vorne sieht es auch nett aus“, womit er den Heumarkt meint.
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Aber genau dazwischen tut sich ein Bild auf, das für die Touristendestination Köln ein „No-Go“ ist. Hinter blickdichten Bauzäunen an Unter Käster riecht es nach Urin, ein Geldautomat steht unweit eines Obdachlosenlagers mit Holzplatten vor einem verwaisten Hauseingang.
Fliegen kreisen windgeschützt unter der Decke, ein paar Meter weiter bietet ein Imbiss Pommes und Currywurst an, angrenzend zu einer Spielhalle. Der Boden ist übersät mit alten Kaugummiflatschen, getrockneten Essensresten und anderen Flecken.
Es ist ein Zustand, der vor allem vielen Anwohnenden schon lange ein Dorn im Auge ist. „Seit rund 30 Jahren kämpfen wir gegen diese Zustände“, sagt Joachim A. Groth von der Bürgergemeinschaft Altstadt. „Sujet jiddet wirklich nur in Kölle“, könnte man zynisch sagen, so der Vorsitzende.
Altstadt Köln: Baulücken zeugen noch heute vom Krieg
Von Unter Käster in der Hühnergasse einbiegend, wird es optisch nicht besser. Auch die Baulücke über der berühmt-berüchtigten Kneipe „Hühnerfranz“ zeugt noch heute als Wunde des Krieges – das Rathaus in Sichtweite, wo jeden Tag zahlreiche Hochzeitspaare den schönsten Tag ihres Lebens feiern wollen.
Vor allem diese Stelle in der Altstadt hinterlässt bei vielen Besuchern Eindruck. Im Internet finden sich Bewertungen wie diese: „Wer es schick mag, sollte dran vorbeigehen.“ Oder: „Muss man einfach gesehen haben. Die schäbigste und zugleich deutschlandweit durch den Kießling-Skandal in die Geschichte eingegangene Gasse in Kombination mit der legendären Szenekneipe Hühnerfranz. Das ist das komplett aus der Zeit gefallene Nachkriegsköln.“
1983 war der deutsche General und stellvertretende Nato-Oberbefehlshaber Günter Kießling entlassen worden. Er wurde als Homosexueller diffamiert, man wähnte ihn unter anderem in einem einschlägig bekannten Lokal neben dem „Hühnerfranz“ – bis sich herausstellte, dass es sich um einen Doppelgänger handelte. Das Erscheinungsbild der Hühnergasse hat sich bis heute kaum verändert – nur dass aktuell noch das Ecklokal an der Gasse zum Alter Markt leer steht und zu einer Seite mit Spanplatten versehen ist – Farbschmierereien inklusive.
Bereits 2004 hatte der Verein „City-Marketing“ einen Vorstoß gemacht, um die Lage zu verbessern. 2012 erstellten dann mehrere Initiativen eine knapp 80-seitige Dokumentation, in der sie die Missstände im Viertel zwischen Alter Markt, Marsplatz, Seidenmacherinnengässchen und Unter Käster zum Teil drastisch schilderten: „Warum bis heute ein an Armseligkeit kaum zu überbietendes Stricher- und Drogenviertel sich um die Hühnergasse und unterhalb des Rathaus-Balkons gehalten hat und sich nunmehr in immer kürzeren Abständen in Szene setzt, bleibt für viele und gerade Kulturtouristen ein Rätsel“, hieß es damals.
Die Hoffnung, dass der Bereich an der Hühnergasse in ein Sanierungsgebiet einbezogen werden könnte, zerschlug sich jedoch. 40 Prozent der Eigentümer müssten zustimmen, dass sie für eine bauliche Veränderung ihrer Immobilie bereit seien. Da die Besitzverhältnisse jedoch komplex sind, fehlte es an der erforderlichen Zustimmungsquote.
„Ein Sanierungsgebiet dient dazu, städtebauliche Missstände oder funktionelle Schwächen zu beheben, wesentlich zu verbessern oder umzugestalten“, heißt es seitens der Stadt. Da dafür umfangreiche vorbereitende Untersuchungen erfolgen müssen, müsse das Areal größer ausfallen als nur das sogenannte „Hühnergassenviertel“. So hatte es von 1978 bis zum Jahr 2000 bereits ein Sanierungsgebiet inklusive des Areals gegeben, und zwar unter dem Titel „Altstadt/Dom-Rhein“.
Die Zustände haben sich dadurch jedoch nicht verändert. So stellt auch die Stadt auf Anfrage fest: „Die private Bausubstanz ist überwiegend renovierungsbedürftig.“ Planungen, den Bereich aufzuwerten, gibt es aktuell in Verwaltung und Stadtrat nicht. Eine Stadtsprecherin verweist auf die Sozialarbeit vor Ort und das Verkehrskonzept Altstadt, als 2020 unter anderem die Hühnergasse zur Fußgängerzone eingerichtet wurde.
Das sei erschreckend wenig, moniert die Bürgergemeinschaft. „Man muss sich fragen, warum die Stadt für das ‚Hühnergassenviertel‘ seit Jahrzehnten kein Interesse zeigt“, so Groth. „Schon die Vorgänger von Oberbürgermeisterin Henriette Reker haben aus ihrem Arbeitszimmer auf diese Ecke geschaut.“ Dass die Stadt durchaus Möglichkeiten habe, zeige das nicht weit entfernte Weinhaus Brungs, das die Stadt nach einem Ratsbeschluss von 2019 für drei Millionen Euro erwarb.
Der Verfall nicht nur im „Hühnergassenviertel“ werde durch die Vielzahl an Massenevents begünstigt, meint Groth. Man müsse sich allein anschauen, wie viele Fast-Food-Läden es inzwischen an der Hohe Straße gebe. „Auf der anderen Seite haben wir keine grüne Architektur in der Altstadt, keine Baumpflanzungen, keine Flächenentsiegelungen wie etwa in Bonn, keine Bereiche werden geschont“, so Groth.
Die neue Kampagne „Haltet Köln sauber“, die das Verständnis und Bewusstsein auf die Sauberkeit im Domumfeld stärken soll, sei zumindest ein Anfang. Auch die Bürgergemeinschaft Altstadt beteiligt sich neben zahlreichen lokalen Organisationen an der Initiative der Stadt. Groth: „Wir müssen die Gleichgültigkeit über die Verwahrlosung aus den Köpfen bekommen.“